Corona

Wirksam ohne Evidenz

Hintergrund-Medienrunschau vom 11. Juni 2022

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(Redaktion/11.6.22) Die Maßnahmen nützen nichts. Oder fast nichts. Zumindest gibt es keine Daten. Schon lange nicht. Aber sie sollen weiter gehen. Im Herbst. Mit diesen knappen Worten kann man die Meldungen der vergangenen Tage zum Thema Corona zusammenfassen. Die Süddeutsche Zeitung konnte bereits in den Entwurf des Textes der Sachverständigen hineinschauen, die die Corona-Maßnahmen im Auftrag der Bundesregierung evaluieren. Die Zeitung zitiert einiges und fällt ein vernichtendes Urteil. Warum? Weil das Falsche drin steht?

Schauen wir einmal hinein in das, was Christina Berndt da zu Tage gefördert hat. Die Immunologin wurde 2021 immerhin Wissenschaftsjournalistin des Jahres. Sie schreibt: „Folgt man den Schlussfolgerungen der Autoren des Kapitels, dann gibt es letztlich kaum Belege für den Nutzen der verschiedensten Maßnahmen zwischen Kontaktbeschränkungen und 3-G-Regeln – mit Ausnahme des Maskentragens in Innenräumen.“ Verantwortlich für das Kapitel sei Hendrik Streeck, dem im Artikel an mehreren Stellen implizit aber auch explizit vorgeworfen wird, er wolle nur eine vorgefasste Meinung bestätigt sehen. Gegen die Maßnahmen.

Berndt verweist auf anonyme Kritiker der vorliegenden Entwürfe, die laut Streeck noch gar nicht fertig sind. Details ersparen wir uns schon deshalb. Und wenn dann gar nichts mehr hilft, die Evidenz ganz zu fehlen scheint, gibt es immer noch einen Ausweg: „Nur weil es keine Evidenz gibt, heißt es nicht, dass Maßnahmen nicht wirken, mitunter fehlen eben nur die Daten, die die Wirkung belegen.“ Aha.

Ist das dieser „Zombiejournalismus“, über den der Medienkritiker Marcus Klöckner vergangenes Jahr ein ganzes Buch geschrieben hat? Der ohne Evidenz wirksam ist und sich in den Köpfen der Menschen festsetzt? Bei Covid-19 beobachtet Klöckner eine „Abwesenheit von Journalismus“, eine „Manipulation der Massen“, die mit Angst gelenkt würden. Und noch ein wenig mehr aus diesem Buch, das sich im Ganzen wie ein zorniger Essay, ein atemloser Abgesang auf den Journalismus liest: „Was Journalisten im Verbund mit Politikern und einem überschaubaren Kreis von Experten sowie Vertretern der Justiz angerichtet haben, ist kaum in Worte zu fassen. Heftige Grundrechtseinschränkungen fußten über Monate auf Rechtsverordnungen, deren Fundament so tragfähig war wie ein Becher Joghurt…“ Christina Berndts Text reiht sich in diese Tradition ein. Sie will offenbar ein Zeichen setzen. Ein Zeichen gegen möglicherweise verheerende Ergebnisse der Evaluierung.

Wir sind nicht gerade als Freunde der FDP bekannt, geben an dieser Stelle aber gerne Wolfgang Kubicki recht, der den Artikel der Süddeutschen ebenfalls mit deutlichen Worten kritisiert hat. Die Zeitung leiste dem Wissenschaftsjournalismus einen Bärendienst.

Denn der Eindruck, der fatalerweise hängenbleibt, ist, dass es nunmehr vorrangig um die Aufrechterhaltung von politischen Narrativen geht – und die Süddeutsche ist hierbei mittendrin. Die Evaluationsgruppe handelt im gesetzlichen Auftrag und wird die Ergebnisse nach bestem Wissen erarbeiten und der Bundesregierung vorlegen. Anschließend kann und muss die Debatte beginnen, nicht vorher auf der Grundlage eines Zwischenstandes. Die Erklärung der Redakteurin ,nur weil es keine Evidenz gibt, heißt es nicht, dass Maßnahmen nicht wirken‘ ist im Übrigen hochproblematisch. Nach fast zweieinhalb Jahren muss es möglich sein, die Wirkungsweise von einzelnen Maßnahmen zu benennen. Gelingt dies nicht, dürfen diese Maßnahmen nicht mehr eingesetzt werden. Deutschland ist immer noch ein Rechtsstaat. (Facebook, 8.6.22)

Nun kann man – und sollte das auch – sehr wohl die Frage nach dem Zustand des Rechtsstaats stellen. Hierzu ein kleiner Querverweis auf eine Kritik am Bundesverfassungsgericht nach dem Urteil zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht (Libra Rechtsbriefing, 25.5.22). Aber das soll heute nicht weiter Thema sein. Interessant ist im Übrigen, inwieweit sich Christina Berndt auch selbst widerspricht. Erinnern wir uns daran, dass sie geschrieben hat, dass die Maßnahmen auch wirken könnten, selbst wenn es keine Evidenz gebe. Wie passt das mit einer anderen Aussage von ihr zusammen? Wenn keine Studien vorhanden sind, die die Wirksamkeit beweisen, dann werde nicht berichtet. Auf jeden Fall nicht positiv. Sagte sie vor knapp zwei Jahren und meinte die Homöopathie (Süddeutsche, 14.9.20). Klar, gegen den Vorwurf des Doppelstandards wehrt sich Berndt (Twitter, 8.6.22). Wir haben eine Pandemie! Eine Notlage! Die will sich eine Frau Berndt nicht von einem Sachverständigengremium klein reden lassen. Könnte ja sein, dass das, was sie in den vergangenen zwei Jahren so berichtet hat, doch gar nicht so dramatisch war, wie sie es gemacht hat? (Artikelübersicht bei der Süddeutschen)

Zurück zum Homöopathievergleich, den wir im übrigen den immer wieder scharfen Gegenüberstellungen von „Argo Nerd“ auf Twitter verdanken, der unseres Wissens als Erster auf die Widersprüche hingewiesen hat. Die Widersprüche sind eben keine, da wegen der Not kurzfristig reagiert werden musste und die Homöopathie lange Zeit zum Beweis gehabt hätte. Ob sie ihn nun erbracht hat oder nicht (bzw. wie sie das tat, denn vermutlich liegt hier der Knackpunkt), das soll hier gar nicht Thema sein. Interessant ist, dass die Argumentation Berndts typisch ist für viele Journalisten. Sie rechtfertigen alle Maßnahmen und verlieren dabei aus den Augen, welch fundamentale Grundrechtseinschränkungen diese in den vergangenen zwei Jahren bisher ohne Evaluation nach sich zogen. Man könnte mit den Neulandrebellen fragen: Ist das Qualitätsjournalismus oder kann das weg? (Neulandrebellen, 11.6.22)

Wer Gegenargumente zu Berndts konkreten Einlassungen lesen will, findet sie auch unter den Antworten im oben zitierten Tweet. Oder bekommt eine Übersicht bei Transition News (Transition News, 9.6.22). Bei den Kollegen steht ebenfalls ein Artikel, der den der Süddeutschen zusammenfasst (Transition News, 10.6.22) – schließlich befindet sich dieser hinter einer Bezahlschranke.

Es gibt natürlich eine Person, deie wir bei diesem Thema nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Sie wissen schon, wen wir meinen, oder? Denjenigen, der die Evaluation der Maßnahmen in Deutschland hintertreibt, wo er kann. Und allein dessen Benennung in Zeiten der Suchmaschinenoptimierung Klicks generiert. Also machen wir es doch: Karl Lauterbach natürlich. Jens Berger hat den Skandal, wie die Evaluation der Maßnahmen von oberster verantwortlicher Stelle hintertrieben wird, kürzlich zusammengefasst. Er schreibt über den Sachverständigenrat, der sie zu leisten hat:

Doch bereits mit der Ernennung dieses Sachverständigenrats zeigten Regierung und Bundestag, was sie von diesem gesetzlichen Auftrag halten – nämlich nichts. So findet man beispielsweise im Sachverständigenrat keinen einzigen Epidemiologen, dafür aber sechs Juristen. Unabhängig sind viele der Mitglieder auch nicht. So nahm bis vor kurzem auch der umstrittene Berliner Virologe Christian Drosten einen Sitz in diesem Sachverständigenrat ein. Drosten war es jedoch, der in seiner Funktion als Regierungsberater genau die Maßnahmen empfohlen hat, die er nun in seiner Funktion als Sachverständiger evaluieren sollte. Da wurde der Bock zum Gärtner gemacht. Dass die Verantwortlichen die Folgen ihrer Expertisen trotz offenkundiger Interessenkonflikte selbst evaluieren – so etwas erwartet man eher in einer Bananenrepublik als in einem funktionierenden Rechtsstaat. (Nachdenkseiten, 8.6.22)

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Da haben wir wieder den Rechtsstaat. Siehe oben. An dieser Stelle müssen wir bedauernd feststellen, dass bei den Zeitungen links des Mainstreams das Problem von Evaluierung und Evidenz keinen Platz bekommt. Sie schweigen sich aus. Nebenfolgen der Impfung? Interessiert kaum. Kritik an dem Vorgehen der Behörden? An Ministern? Staatskritik gar? War mal Thema bei den Linken. Heute zumindest bei Corona nicht mehr. Da müssen wir an dieser Stelle zur Bild-Zeitung verweisen, wenn der besagte Minister mit einer Studie, ja was wohl, ist doch Lauterbach, warnt, die auf der Basis von Daten von zwei Personen fußt (Bild, 7.6.22). Aber wir schweifen ab. Es bleibt den Alternativmedien im Internet vorbehalten, kritische Nachfragen zu stellen und die Finger in die Wunden des Mainstream-Zombiejournalismus zu legen. Wobei Zombies das mit den Fingern in der Wunde kaum weh tun dürfte. Das Bild passt. Leider. Denn Änderungen sind nicht zu erwarten, wie wir gerade beim zweiten Großthema der Zeit erfahren.

Zum Krieg allerdings heute nichts mehr, oder zumindest nicht mehr viel. Reinhard Lauterbach, weder verwandt noch verschwägert, schreibt in der jungen Welt (immerhin hier ist auf die Zeitung Verlass) über die Lage im Donbass. Und die sieht für die Ukraine schlecht aus. Der Siegfrieden ist in weiter Ferne (junge Welt, 10.6.22). Das sieht auch Florian Rötzer so, der sich aktuell mit den Diskussionen in den USA befasst hat. Dort sind Geheimdienste sauer, dass sie mehr über russische als über ukrainische Pläne wissen (Overton Magazin, 9.6.22). Ja die Ukrainer sind also keine guten Verbündeten. Wussten wir schon. Wollte aber kaum jemand hören. Oder besser lesen. Dass immerhin Sie bis hierhin gelesen haben, freut uns wie immer. Bleiben Sie uns gewogen, schauen Sie wieder rein, bilden Sie sich ihre eigene Meinung und schreiben Sie uns, wenn Sie möchten an redaktion@hintergrund.de.

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