Europäisches Parlament

Weiterhin nur ein Scheinparlament

Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024: Die Europäische Union (EU) greift immer tiefer in das Leben ihrer Bürger ein. Hervorgegangen aus einer Wirtschaftsgemeinschaft, welche die Schaffung einer Zollunion und eines unbegrenzten Binnenmarktes als Ziele hatte, ist sie längst zu einem Gebilde mutiert, das sich anmaßt immer mehr Bereiche des gesellschaftlichen Lebens der Mitgliedsländer zu regulieren. In zehn Tagen wird das Europäische Parlament gewählt. Was aber darf es überhaupt entscheiden? Unser Autor hat als Wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Fraktion des Parlaments gearbeitet und fasst die Kompetenzen und Entscheidungswege zusammen.

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Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer Rede zur Lage der Union im Europaparlament im September 2023.
Foto: European Union 2023– Source: EP. Lizenz: CC BY, Mehr Infos

Die Europäische Union (EU) verfügt über einen eigenen Haushalt, einen Gerichts- und einen Rechnungshof sowie die gemeinsame Währung Euro, der in zwanzig ihrer 27 Mitgliedsländer Zahlungsmittel ist. Der in über sechzig Jahren angewachsene Bestand gemeinsamer Rechtsakte, der sogenannte Acquis communautaire, umfasst neben den Verträgen inzwischen Tausende Richtlinien, Verordnungen und Beschlüsse.

Die EU leistet sich auch ein eigenes Parlament. Dessen Abgeordnete werden alle fünf Jahre von den Bürgern direkt gewählt. Im Juni 2024 ist es wieder so weit. Doch diese Einrichtung ist für die EU-Befürworter zugleich ein Grund für Besorgnis, nehmen doch im Vergleich zu nationalen Wahlen regelmäßig bedeutend weniger Menschen an den Urnengängen teil. Europaweit waren es 2019 nur knapp über 50 Prozent. In Deutschland lag die Beteiligung bei 61,4 Prozent und damit höher als bei den vier vorangegangenen Europawahlen. Doch im Vergleich mit der Bundestagswahl im September 2021, an der sich 76,4 Prozent beteiligten, war sie weiterhin sehr niedrig. »Eine Fassade ohne Substanzdahinter«

[…]

Wer erlässt die Gesetze der Union?

Dem Europäischen Parlament wird nicht nur das Recht vorenthalten, den Kommissionspräsidenten und damit die Spitze der EU-Exekutive bestimmen zu können. Es besitzt auch kein Initiativrecht, was bedeutet, dass es keine Gesetze aus seiner Mitte heraus vorschlagen kann. Es hat nicht einmal das Recht, zu verlangen, dass die von ihm selbst mitbeschlossenen Richtlinien und Verordnungen überarbeitet oder
aufgehoben werden. Die Stellung des Parlaments ist daher in legislativen Fragen aufgrund der Bestimmungen der EU-Verträge schwach. Nicht einmal zur Regelung seiner eigenen Angelegenheiten ist es befugt. So liegt es nicht in seiner Kompetenz festzulegen, wo es tagen will. Die unsinnige und kostenaufwendige Aufteilung auf zwei Parlamentssitze in Brüssel und Straßburg kann es nicht per Beschluss aufheben, ist sie doch vertraglich festgeschrieben.

Nun wird gesagt, dass das Parlament zwar nicht das Initiativrecht besitzt, es doch aber immerhin dem Rat im Gesetzgebungsverfahren gleichgestellt sei. Und in der Tat: Seit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags teilen sich beide Organe dieses Recht. Das Mitentscheidungsverfahren wurde zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren in so gut wie allen Politikbereichen aufgewertet.

Wie aber ist dieses Mitentscheidungsverfahren im Einzelnen ausgestaltet? Laut Vertrag besteht es aus drei Stufen. In den beiden ersten geht es darum, Kompromisse zwischen den beiden Gesetzgebungsorganen Rat und Parlament zu erzielen. Kommt es dabei zu keiner Einigung, so hat das Parlament in der dritten Stufe das Recht, seinen Willen gegenüber Kommission und Rat durchzusetzen. Dafür benötigt es jedoch eine absolute Mehrheit der gewählten Abgeordneten. Eine solche Mehrheit ist in dem zersplitterten EP allerdings nur äußerst schwer herstellbar, setzt es sich doch traditionell aus einer Vielzahl größerer und kleinerer Fraktionen zusammen.

Schon um nur einfache Mehrheiten zu erreichen, müssen regelmäßig mindestens drei, oft sogar vier Fraktionen zusammenwirken. Die Herstellung einer absoluten Mehrheit der gewählten Abgeordneten ist unter diesen Umständen fast unmöglich. Das Mitentscheidungsverfahren unter voller Ausnutzung seiner möglichen drei Stufen wird daher so gut wie nie angewendet. Das Parlament versucht stattdessen regelmäßig, seine Interessen auf dem Verhandlungsweg mit dem Rat im sogenannten Trilog-Verfahren innerhalb der ersten Stufe durchzusetzen.

Am Ende der Verhandlungen wird das Trilog-Ergebnis dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt, womit das Verfahren – das sich formal immer noch im Stadium der ersten Lesung befindet – abgeschlossen wird. Konnten die Ausschüsse des Parlaments den ursprünglichen Beschluss noch ausführlich beraten und wurde er in alle EU-Amtssprachen übersetzt, so gilt das alles nicht für den im Trilog ausgehandelten Text. Dieser wird regelmäßig erst wenige Tage vor der abschließenden Parlamentsabstimmung und dann auch nur auf Englisch als Antrag weniger großer Fraktionen eingebracht. Da es sich in diesem Stadium um einen Vorschlag des Trilogs handelt, der vom Rat bereits gebilligt worden ist, kann das Parlament diesen auch nicht mehr abändern. Es kann ihn nur annehmen oder ablehnen.

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Mittlerweile erfolgt über 80 Prozent der EU-Gesetzgebung per Trilog. Die offizielle Gleichstellung von Parlament und Rat im Gesetzgebungsverfahren hat somit in der Praxis ein höchst undurchsichtiges Verfahren des Aushandelns hinter verschlossenen Türen hervorgebracht. Das hat mit dem eigentlich vorgesehenen Mitentscheidungsverfahren nicht mehr viel zu tun.

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