Wer die Fakten checkt, bestimmt die Wahrheit
Am 1. November startet eine neue Allianz zwischen deutschsprachigen Nachrichtenagenturen und Correctiv, dem bekanntesten Portal vermeintlicher Faktenchecker. Die EU-Kommission fördert diese Allianz, die mit dem Anspruch antritt, Desinformation zu bekämpfen. Aber welche Fakten sind es, um die es da geht? Was haben die Faktenchecker in den vergangenen Jahren gemacht, was machen sie aktuell und was nicht? Die Hintergrund-Medienrundschau vom 28. Oktober 2022.
Die Wahrheit ist bedroht. Die Bedrohung kommt aus dem Internet. Von Websites wie Rubikon, Apolut oder RT und vielleicht auch von uns bei Hintergrund. Aber es gibt ein Gegenmittel: Den Faktencheck. Seit einigen Jahren sind viele tapfere Kämpfer gegen Fake News unterwegs und klären auf, was falsch zu sein hat. Was nicht geschrieben werden sollte, zumindest aber nicht bei Facebook und Co. verbreitet werden darf. Was wie eine Dystopie klingt, an Zeiten offener Zensur erinnert, ist längst Realität. Die Faktenchecker sind im Auftrag der vermeintlichen Wahrheit unterwegs. Wer kann etwas gegen die Wahrheit haben? Und wenn diese Wahrheit zufälligerweise so klingt, wie es die Regierungen wollen, wie Tagesschau, Heute, Spiegel und Süddeutsche berichten, dann ist das eben so. Dann ist das die Wahrheit.
Klar, wir sehen das anders. Ein kritischer Blick auf die Faktenchecker soll Thema dieser Medienrundschau sein. Warum? Es gibt einen aktuellen Anlass. Neben den vielen fragwürdigen Beispielen für Faktenchecks, deren Aufgabe es ist, das herrschende Narrativ zu bestätigen und von denen wir einige am Ende vorstellen, entsteht gerade eine neue Allianz. Eine Allianz der Faktenchecker in Deutschland und Österreich. Wo sich vermeintliche Unwahrheiten länderübergreifend verbreiten, müssten sich auch diejenigen vernetzen, die von sich behaupten, für die Wahrheit einzutreten. So zumindest unsere kritische Interpretation eines Artikels der Deutschen Presseagentur (dpa), die Teil der neuen Verbindung sein soll:
Im Kampf für eine aufgeklärte Gesellschaft setzen daher auch Faktencheck-Organisationen auf Netzwerke und Zusammenarbeit. Am 1. November startet ein deutsch-österreichisches Projekt, das die Vernetzung der Faktencheck-Teams in beiden Ländern untereinander und mit Kolleginnen und Kollegen in der ganzen Europäischen Union auf eine neue Stufe hebt. Im German-Austrian Digital Media Observatory, kurz GADMO, arbeiten mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa), der Agence France Press (AFP), der Austria Presse Agentur (APA) und dem unabhängigen Recherche-Netzwerk Correctiv erstmals die führenden Faktencheck-Organisationen im deutschsprachigen Raum zusammen. Zudem üben die Praktiker den Schulterschluss mit der Forschung: Sie kooperieren mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Technischen Universität Dortmund und des AIT Austrian Institute Of Technology. (dpa, 25.10.22)
Die großen Agenturen, die zusammen den Nachrichtenmarkt in Deutschland und Österreich beherrschen, vereinigen sich also mit Deutschlands Ober-Faktenwächtern von Correctiv sowie mit Wissenschaftlern. Sie beobachten künftig gemeinsam die Medien. Welche Medien? Vor allem die alternativen, wie bei den heutigen Faktencheckern üblich. Und wer bezahlt das alles? Schauen wir noch ein wenig weiter im dpa-Text:
Das deutsch-österreichische GADMO ist Teil eines EU-weiten Netzwerks. Koordiniert wird es vom European Digital Media Observatory, kurz EDMO. Es soll als unabhängige Beobachtungsstelle unter anderem bewerten, ob die Digitalkonzerne Vorgaben aus Brüssel für den Kampf gegen Desinformation korrekt umsetzen. Ziel der EU-geförderten Einrichtung ist es außerdem, Faktenchecker, Forschungsteams und weitere Expertengruppen aus allen EU-Ländern im Kampf gegen Desinformation zusammenzubringen. (dpa, 25.10.22)
Die EU will koordinieren, was gegen Desinformation getan wird. Und was Desinformation ist, bestimmen die Faktenchecker. Man bleibt unter sich und da ist dann auch klar, wessen Wahrheit vertreten wird. Die Wahrheit der Herrschenden, die der EU-Spitze. Die lässt sich das Ganze auch etwas kosten. Was der dpa-Text an dieser Stelle verschweigt, finden wir beim Branchendienst Meedia (auf Basis einer Pressemitteilung der dpa): „GADMO wird dabei in den ersten zweieinhalb Jahren von der EU-Kommission gefördert.“ (Meedia, 25.10.22) Die EU koordiniert nicht nur, sie bezahlt die Chose also auch gleich noch. Wer zahlt, bestimmt die Fakten. Wie viel Geld fließt, wurde bislang nicht mitgeteilt.
Beim Kampf gegen Fake News gibt es heute eine ähnliche Begriffsverdrehung wie an vielen anderen Stellen (siehe auch das Corona-Neusprech-Kompedium bei norberthaering.de). Dort wo Krieg scheinbar Frieden bedeutet und die Friedensfreunde von einst immer mehr Panzer in ein Kriegsgebiet schicken, wird mit dem Credo des Kampfes für eine „aufgeklärte Gesellschaft“ zensiert. Denn nichts anderes tun die Faktenchecker, wenn sie bestimmte Inhalte in den sogenannten sozialen Netzwerken als Desinformation kennzeichnen. Entweder werden diese Inhalte sofort gelöscht – und ihre Verbreiter oft gleich mit – oder die Verbreitung wird zumindest eingeschränkt. Und das, wo heute die Netzwerke einen großen Teil dessen bestimmen, was die Allgemeinheit zu lesen bekommt.
Geschichte der Faktenchecks
Entstanden sind die Faktenchecker von heute quasi als Antwort auf Vorgänger, die das ähnliche taten, jedoch die „falschen Medien“ in den Fokus nahmen. Denn sie schauten sich den Mainstream kritisch an. Der Medienwissenschaftler Michael Meyen hat sich intensiv mit dem Thema befasst, sein Interview mit dem Schauspieler Volker Bruch für die Reihe #allesaufdentisch hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Faktenchecker und die Kritik an ihnen im vergangenen Jahr breit rezipiert und vom Mainstream verteidigt wurden. In einem seiner Beiträge zum Thema schaut Meyen noch einmal zurück zu den Anfängen, die insbesondere nach dem 11. September, der Lüge von den Massenvernichtungswaffen im Irak und dem anschließenden völkerrechtswidrigen Krieg liegen. Er schreibt dazu:
Die Glaubwürdigkeit des Journalismus retten: Das ist die Idee, die die Pioniere von Factcheck.org (gegründet 2003) oder PolitiFact (2007) antreibt. In Kurzform: nicht mehr alles melden, was im Kongress und anderswo behauptet wird, sondern den Dingen auf den Grund gehen. Man könnte auch sagen: das tun, wofür wir den Journalismus bezahlen. Nicht Sprachrohr, Schoßhündchen oder gar Wachköter der Macht sein, sondern Kritiker und Kontrolleur. (Medienrealität, 5.9.21)
Die Faktenchecker von damals hatten gute Voraussetzungen: Das Internet ermöglicht relativ viel Publizität mit relativ wenig finanziellem Einsatz. So konnten auch kleine Projekte die großen Leitmedien korrigieren. Und an ihrer Glaubwürdigkeit kratzen. Noch einmal Michael Meyen:
Der Erfolg der ersten „Faktenchecker“ hat all die auf den Plan gerufen, die das Internet als Bedrohung sehen. Wenn die Menschen dem Fernsehen und den Zeitungen nicht mehr glauben wollen, wenn sie anfangen, selbst nach Wahrheiten zu suchen oder gar welche zu produzieren, dann müssen wir dem einen Riegel vorschieben – am besten unter einem Label, das sich bewährt hat, noch nicht verbraucht ist und die Werte verkörpert, für die einst der Journalismus angetreten war. Objektivität. Transparenz. Fakten. Die nackte Wirklichkeit gewissermaßen, unbestechlich und ein für allemal festgestellt. (Medienrealität, 5.9.21)
Es geht um Definitionsmacht, schreibt Meyen. Und die Faktenchecker definieren. Sie definieren, was wahr zu sein hat und was falsch. Und ganz zufälligerweise ist meist das wahr, was die westlichen Regierungen dazu erklären und was den großen Geldgebern nützt. Denn neben der EU-Kommission oder auch Facebook und Google sind es insbesondere sogenannte Philanthropen wie der Ebay-Gründer Pierre Omidyar sowie Stiftungen, die in den Händen derer sind, die das entsprechende Geld haben. Und wer zahlt, bestimmt die Fakten. Wir sagten es bereits. Bevor wir gleich zu ein paar aktuellen Beispielen kommen, eine Klarstellung: Natürlich steht im Internet viel Unsinn und Propaganda. Aber beides finden wir auch in Tageszeitung und Zeitschrift. Radio und Fernsehen verbreiten oft dasselbe. Michael Meyen stellt in einem weiteren Text zum Thema klar, dass es gleichwohl keine Faktenchecker der genannten Sorte braucht:
Orientierung ist wichtig, gerade in Zeiten wie diesen. Dafür braucht der Journalismus aber, das dürfte schon deutlich geworden sein, kein neues Ressort. Er hat alle Formate, die dafür nötig sind. Pro und Contra, Gastbeiträge, Interviewspalten oder Reportagen, die genauso nach Stimmenvielfalt rufen wie all die schönen Quasselrunden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. (Multipolar, 9.10.21)
Es bräuchte kein neues Ressort. Aber es gibt eines. Und es gibt Netzwerke wie die „Trusted News Initiative“ (TNI), die von der BBC gegründet wurde und die bereits 2019 davor warnte, dass Impfgegner die Demokratie bedrohten. Später hätten die Medien, die sich zur TNI zusammengeschlossen haben, unter anderem verhindert, dass die Menschen in den USA erfahren konnten, wie man Covid-19 behandelt. So lautet zumindest der Vorwurf des Kardiologen Peter McCullough. Ganz offen hat die BBC zudem davon berichtet, dass die TNI die „Verharmlosung“ von Corona bekämpfen werde und die Impfung unterstütze (Rubikon, 15.1.22).
Womit wir in der Gegenwart und bei einem besonders perfiden Faktencheck-Beispiel angekommen sind, das Norbert Häring in der vergangenen Woche seziert hat. Der Handelsblatt-Journalist und Blogger hat in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Machenschaften der Faktenchecker hingewiesen. Jetzt hat er sich den Faktenfuchs des Bayerischen Rundfunks zur Brust genommen, der zu den öffentlich-rechtlichen Mitgliedern der mittlerweile recht großen Faktencheck-Familie gehört. Jener Faktenfuchs versucht sich an der Delegitimierung einer Studie, die zum Ergebnis hatte, dass die Rate schwerwiegender Nebenwirkungen bei den Impfstoff-Zulassungsstudien – es geht um Corona – höher war als angegeben. Wer im Sinne der TNI die Impfung unterstützen will, muss jetzt einschreiten. Zumal dann, wenn genau diese Studie an verschiedenen Stellen sogar im Mainstream zitiert wird, zum Beispiel beim MDR (MDR, 13.10.22). Hier Norbert Härings Resümee zum BR-Faktencheck, wir empfehlen die Lektüre seines ganzen Beitrags:
Der „Faktencheck“, den wir mit unserer Demokratieabgabe für den Rundfunk finanzieren dürfen, besteht aus der kritischen Meinung eines „irischen Wissenschaftsautors“, die sehr drastisch formuliert ist, aber völlig ohne Belege auskommt; jedenfalls wird uns nichts in der Richtung mitgeteilt. Hinzu kommt der Vorwurf der Rosinenpickerei, der niemand Konkretem zugeordnet wird. (norberthaering.de, 16./21.10.22)
Dabei pickt der Faktenfuchs selbst in den Rosinen herum, die er möglicherweise mittels Google-Suche von Studientitel plus „Kritik“ gefunden hat. So entdeckt er fragwürdige Kritiker und ignoriert die zustimmende Begutachtung anderer Experten für die Veröffentlichung in der wissenschaftlichen Zeitschrift. Das, was oft alternativen Medien vorgeworfen wird, nämlich dass sie sich nur jenes herauspicken, was ihrem verqueren Weltbild entspricht, trifft hier eindeutig zu.
Dass die „Faktenchecker“ eher „Narrativbewahrer der Herrschenden“ genannt werden müssten, zeigt auch ein aktueller Text des Infosperber. Anhand der sogenannten Laborhypothese und dem Umgang damit analysiert Urs P. Gasche die Funktion der Faktencheck-Organisationen. Und er stellt klar, wie viele angebliche Fakten sich später als falsch herausgestellt haben. Konsequenzen? Keine. Zitieren wir ein Beispiel aus der Fußnote des Textes von Gasche:
Am Beispiel von Dr. Wolfgang Wodarg lässt sich belegen, wie falsch das Team von Correctiv im März 2020 mit seiner Einschätzung lag. Viele Behauptungen des Faktenchecker-Portals sind mittlerweile auch offiziell widerlegt. So hat z. B. selbst Herr Wieler vom RKI am 6.10.2021 in der Bundespressekonferenz von der Vergleichbarkeit von Influenza- und Corona-Viren gesprochen. Mehrere Studien haben mittlerweile auch festgestellt, dass in der Bevölkerung eine Kreuzimmunität mit anderen Corona-Viren besteht. Von der Öffentlichkeit wird Dr. Wolfgang Wodarg trotzdem weiterhin als „Aluhutträger“ wahrgenommen. (Infosperber, 19.10.22)
Eine nachträgliche Überprüfung eigener Faktenchecks findet offenbar nicht statt. Da gäbe es viel zu tun. Stattdessen üben sich Faktenchecker, in diesem Fall die dpa, in der Interpretation von Orwells Roman 1984 und dem darauf aufbauenden Film. Sie arbeiten sich an einem Zitat ab, das aus dem Film stammt, nicht aber in der Romanvorlage zu finden ist. Deswegen gibt es den Stempel „Fehlinformation“ bei Facebook. Orwell habe nicht geschrieben: „Wir müssen Energie sparen, für den Krieg, der dem Frieden dient. Der Strom wird jetzt abgeschaltet.“
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Zugegeben, dieser aktuelle Bezug findet sich also nur im Film, nicht im Buch. Aber deswegen ein ausführlicher Faktencheck? Wolf Wetzel, der das Film-Zitat ohne direkte Roman-Entsprechung (indirekte gibt es natürlich schon) bei Facebook geteilt hat, hätte ein paar Vorschläge, wo die Faktenchecker besser ansetzen könnten. Bei Regierungsvertretern nämlich (Nachdenkseiten, 24.10.22). Das aber passiert nicht, solange diese nicht in Ungnade gefallen sind wie Orban oder Trump.
Faktenchecks müssen wir weiterhin machen. Und das werden wir im Rahmen unserer Möglichkeiten auch tun. Hier in der Medienrundschau und in unser sonstigen Berichterstattung. Für heute beenden wir diesen unappetitlichen Blick in die Abgründe des „Antijournalismus“ (Norbert Häring). Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung, bleiben Sie uns gewogen und schreiben Sie gerne an redaktion@hintergrund.de