Ukraine-Krieg

Wenn Präsidenten „schwurbeln“

Olaf Scholz hat sich auf seiner Südamerikareise eine Abfuhr abgeholt. Brasiliens Präsident Lula will lieber auf Frieden und Verhandlungen in der Ukraine drängen als Munition liefern. Der deutsche Medien-Mainstream ist sauer. Die Hintergrund-Medienrundschau vom 3. Februar 2023.

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Olaf Scholz bei Brasiliens Präsident Lula.
Foto: Ricardo Stuckert für @LulaOficial, Mehr Infos

Der deutsche Haltungsjournalist hat seine Haltung. Daneben gibt es nichts. Zumindest nichts Vernünftiges. Wer den feststehenden Ansichten zuwiderläuft, der schwurbelt, ist ein Querdenker. Diskussion gibt es nur im Rahmen eines engen Korridors. Waffen für die Ukraine? Muss sein. Flakpanzer? Klar. Gefechtspanzer? Klar. Flugzeuge? Darüber darf man noch diskutieren. Derzeit. Über den Rest nicht. Pazifismus hat ausgedient. Zumindest in den deutschen Redaktionsstuben. Sicher, hier und da gibt es andere Stimmen und auch das mit den Panzern war nicht allen Journalisten im Mainstream recht. Aber den allermeisten. Wenn dann so ein dahergelaufener schwurbelnder Querdenker kommt und neben dem Bundeskanzler von Frieden und Verhandlungen faselt, muss man ihn diffamieren. Selbst wenn es der brasilianische Präsident ist.

Das zumindest tat die Focus-Redaktion. In ihrem Ukraine-Ticker heißt es zur Kanzlerreise nach Brasilien: „Während Scholz daneben steht, schwurbelt Brasiliens Präsident zu Putins Angriffskrieg.“ (Focus, 31.1.23) Nimmt man das Zitat, das im Text folgt, so könnte man wirklich von „Schwurbeln“ sprechen, schwänge nicht dieser Tage bei diesem Wort eine eindeutige Wertung mit. Denn Lula da Silva drückt sich kompliziert aus: „Aber ich denke immer noch: wenn einer nicht kämpft, kämpfen zwei nicht. Du musst Frieden auch wollen.“ Der mitreisenden Journaille war das zu viel. Gordon Repinski, stellvertretender Chefredakteur von The Pioneer, dem Medienprojekt von Gabor Steingart, schrieb auf Twitter:

Lula analysiert den Ukraine-Krieg auf Querdenker-Niveau: „Keiner möchte zurückweichen“, sagt er, „man weiß nicht, warum der Krieg angefangen hat. (Twitter, 1.2.23)

Wer sich wie Repinski laut Pioneer-Website um die SPD, die Grünen und die Weltpolitik kümmert, der müsste eigentlich wissen, was es mit dem Krieg auf sich hat. Und dass Lula vermutlich aus diplomatischen Gründen nicht noch deutlicher wurde. Wer sich die ganze Pressekonferenz mit den Fragen der Journalisten einmal durch- und die Windungen des Bundeskanzlers nachlesen will, der kann dies auf der Website der Bundesregierung.

Neben seinen abwägenden Worten zum Krieg – vor seinem Amtsantritt war Lula deutlicher geworden (Zusammenfassung: Weltwoche, 2.11.22) – brachte sich Brasiliens Präsident auch als Vermittler ins Spiel. Das aber ist mit dem deutschen Mainstream nicht zu machen. Ein Unterhändler, der der Ukraine eine Mitschuld am Krieg gibt? Kann nicht sein. Darf nicht sein. Neutralität ist nicht. Diplomatie offenbar auch nicht. Was in Deutschland gilt, hat auch auf der Weltbühne zu gelten. Es gibt nur blau-gelbe Freiheitshelden oder Putinknechte. Ronald Nelles vom Spiegel schreibt:

Lula kündigte an, mit China einen gemeinsamen Versuch starten zu wollen, im Ukrainekrieg zu vermitteln. Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob die Ukrainer mit einem Vermittler wie Lula viel anfangen könnten. Seine Kommentare beim Scholz-Besuch dürften in dieser Hinsicht jedenfalls wenig hilfreich gewesen sein. Dafür klingt der Brasilianer dann doch sehr wie jemand, der in seiner Jugend zu viel Radio Moskau gehört hat. (Spiegel, 1.2.23)

Jens Berger hat sich die Reaktion der deutschen Medien auf Lulas Vorschlag ebenfalls angeschaut und fasst für die Nachdenkseiten zusammen:

Für die deutschen Kommentatoren kommt nur ein „Vermittler“ in Frage, der die ukrainische oder besser westliche Extremforderung, die auf eine Niederlage Russlands und auf einen Sieg der Ukraine hinausliefe, als nicht verhandelbare Position mit in die Verhandlung bringt. Ein solcher Vermittler wäre aber keiner, da er von Russland nicht akzeptiert werden würde. (Nachdenkseiten, 1.2.23)

Noch weiter geht da Jürgen Hardt, der allerdings auch CDU-Politiker ist. Neutralität dürfe es nicht geben, sagte er im Deutschlandfunk. Durch Lulas vermeintliche Neutralität werde es schwieriger, „die Völkergemeinschaft möglichst geschlossen gegen Russlands völkerrechtswidriges Handeln zu positionieren“. (Deutschlandfunk, 31.1.23) Irgendwie haben es so einige in Deutschland nicht mitbekommen, dass die „Völkergemeinschaft“ alles andere als geschlossen ist. Politiker wie Journalisten.

Aber in Deutschland stehen auch nicht alle Reihen geschlossen. Nicht mal im (vermeintlichen) Mainstream, dem sich die Berliner Zeitung schon deshalb oft nicht anschließt, weil sie andere Stimmen zu Wort kommen lässt:

Auf Twitter wird, wie üblich, grob geholzt und unterstellt, Lula bediene damit nur Kremlpropaganda. Auch die überwiegende Zahl der Berichte in den deutschen Medien sind ein Paradebeispiel für einseitigen Journalismus: Verhandlungen werden grundsätzlich diskreditiert und als Putin-Narrativ dargestellt, Kriegslogik und Waffenlieferungen meist unreflektiert begrüßt. (Berliner Zeitung, 2.2.23)

Bestes Beispiel hierfür ist der Stern. Dort fährt ein Experte mit dem Panzer vor. Zumindest hat man beim „Sicherheitsexperten“ Claus Möllring den Eindruck.

Beide Kriegsparteien stellen sich darauf ein, dass nach dem Ende des Winters die Kämpfe noch zunehmen werden. Einen schnellen Weg zu einem Verhandlungsfrieden sieht Mölling nicht. “In der Konsequenz ist dieses Gemetzel – der Tod vieler tausend Menschen – notwendig”, sagte Mölling. Es gehe darum, Russland zu verdeutlichen, dass es mit der Fortsetzung seiner Aggression keinen Vorteil erzielen kann: „So bitter das ist: Man wird diese Erkenntnis erst auf dem Schlachtfeld hervorbringen.“ (Stern, 31.1.23)

Krieg bis zum letzten Ukrainer. Ein notwendiges Gemetzel. Der offenbar kriegsbesoffene Möllring, stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), sieht in der Ukraine eine „heroische Gesellschaft“ entstehen. „Heroische Gesellschaft“, positiv hervorgehoben. Man ist im Kriegsmodus. Die Propagandamaschine läuft. Wobei man bei solchen Vorposten der USA in Deutschland wie der DGAP nichts anderes erwartet.

Andere Vorposten wie die taz bemühen sich in Verniedlichung des Krieges. Auf die Weigerung der brasilianischen Seite, Munitionslieferungen freizugeben, titelt sie: „Lula blockiert Gepardenfütterung“ (taz, 31.1.23). Wir reden von tödlichen Geschossen. Futter? Ist klar. Das ist etwa auf dem Niveau von Katrin Göring-Eckart, die twitterte: „Der Leopard ist befreit“. Und auch das Auswärtige Amt betreibe Außenpolitik auf „Emoji-Niveau“, wie es die NZZ treffend charakterisierte (NZZ, 31.1.23, Bezahlschranke). Gibt es schon einen Leichen-Emoji?

Bevor wir ganz im Sarkasmus versinken, schauen wir auf realistischere Darstellungen. Denn auch diese gibt es – selbst im Mainstream. So war die Anne-Will-Sendung vom Sonntag laut Zusammenfassung der Süddeutschen zumindest etwas nachdenklicher. Und manche Journalisten, in diesem Fall Georg Mascolo, äußern ein Grundverständnis für die Politiker, „die gerade Gefahr laufen, historisch zu versagen – indem sie entweder die Ukraine zu wenig unterstützen oder einen dritten Weltkrieg auslösen“. Wobei nicht einmal definiert wird, was eigentlich die Ukraine wirklich unterstützten soll bzw. was mit Ukraine gemeint ist. Selenskyj? Die Ukrainer? Der Talkshow-Kommentator der SZ fasst zusammen:

Dieses, aus ukrainischer Sicht, quälend langsam Vorwärtstasten des Westens, immer näher an das Schlachtfeld heran, wird noch lange weiter gehen. Es werden noch sehr viele Ukrainer sterben. Und niemand kann garantieren, dass man am Ende sagen wird: Ihr Tod hat sich gelohnt. (Süddeutsche, 30.1.23, Bezahlschranke)

Das bleibt natürlich in der Kriegslogik verfangen. Welcher Tod lohnt sich? Aber man ist dem Mainstream heutzutage schon dankbar, wenn jemand neben Kriegshetze und Panzerjubelei überhaupt noch den Funken eines weitergehenden Gedankens zu Papier bringt. Auch der Welt-Korrespondent in Brüssel hat sich Gedanken gemacht und schaut in die Zukunft. Denn das fehlt aktuell: Wohin die ganze Chose uns führt. Und welches Ziel eigentlich verfolgt wird, wenn die Panzer gen Osten rollen. Natürlich, Baerbock und Co. schwafeln von der „Niederlage Russlands“. Aber wer Ahnung von der Materie hat, der weiß, dass das kaum gelingen kann – ohne Bodentruppen der NATO und damit einer direkten Konfrontation. Die wiederum in der Apokalypse enden dürfte. Was also schreibt Christoph B. Schlitz in der Welt?

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Die internationale Gemeinschaft leistet sehr viel zur Unterstützung der Ukraine. Aber es ist immer noch viel zu wenig, damit Kiew seinen berechtigten Anspruch auf territoriale Integrität durchsetzen kann. Dahinter kann man nur Kalkül vermuten. Wer mit westlichen Diplomaten spricht, hört immer häufiger von der Angst vor einer Eskalation, von der Sorge vor einer Kriegsmüdigkeit der demokratischen Gesellschaften und von der Hoffnung auf einen baldigen Waffenstillstand. Und genau auf diesen schnellen Waffenstillstand läuft das Engagement des Westens mittlerweile hinaus – stillschweigend natürlich. Das Ergebnis wird sein: eine amputierte Ukraine. (Welt, 31.1.23 Bezahlschranke)

So könnte es kommen. Der große Aufschrei der Kriegstreiber wird dann durch die Medien dröhnen. Davon können wir ausgehen. Locker lassen bei ihrem Kampf gegen die Russen werden sie dann nicht, die Kriegstreiber um Baerbock, Göring-Eckart, Fücks, Strack-Zimmermann und Co. Wir werden sie und ihre Gesinnungsgenossen der Presse weiter verfolgen. Für heute ist die Medienrundschau aber an ihr Ende gekommen. Bleiben Sie uns gewogen, schauen Sie wieder rein und schreiben Sie uns gerne an redaktion@hintergrund.de.

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