Staatsgelder an Journalisten

Trolle der Regierung

Wer für RT DE arbeitet oder deren Inhalte verbreitet, agiert als Troll von Putins Gnaden. So könnte man die Tagesschau verstehen. Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks arbeiten indes ebenfalls für eine Regierung, wenn auch die deutsche. Als Trolle? Vielleicht, zumindest wirkt die „Berichterstattung“ oft so. Nachgewiesen sind jetzt jede Menge Honorare von Bundesministerien für ARD- und ZDF-Mitarbeiter sowie deren Kollegen aus der Privatwirtschaft. Die Hintergrund-Medienrundschau vom 10. März 2023 mit einer weiteren Folge aus der unendlichen Reihe: „Die Doppelmoral und der Mainstream“.

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Eine Journalistin und der Kanzler: Auch Linda Zervakis (früher ARD jetzt ProSieben) ist auf der Liste.
Foto: Jan Zappner/re:publica, Lizenz: CC BY-SA, Mehr Infos

Eine aktuelle Enthüllung unserer Lieblings-Investigativreporter kommt gerade zur rechten Zeit. Zumindest aus Sicht der Tagesschau. Denn während immer mehr Kritik an der Staatsnähe von öffentlich-rechtlichen und anderen Journalisten aufkeimt, erscheint quasi zeitgleich am Dienstag dieser Woche eine neuerliche „Recherche“ über RT DE und deren russischen Machenschaften auf der Tagesschau-Website (tagesschau.de, 7.3.23).

Die Kritik an den „staatsnahen“ deutschen Journalisten stützt sich wiederum auf eine Anfrage der AfD-Fraktion (Bundestag, 7.3.22). Diese wollte wissen, wie viele Journalisten in den vergangenen Jahren für Ministerien und Bundesbehörden gearbeitet haben und wie hoch deren Honorare waren. Die Bundesregierung antwortete, erstaunlich ausführlich. Seitdem existiert eine Liste, aufgeteilt in öffentlich-rechtlich und privatwirtschaftlich. Insgesamt 200 Journalisten werden dort durchnummeriert aufgeführt, aus Datenschutzgründen könne man keine Namen nennen, heißt es in der Antwort auf die Anfrage. Einige sind indes bereits „enttarnt“ worden, hierzu gleich noch mehr.

Die Gesamthöhe der Honorare ist mit knapp 1,5 Millionen Euro verhältnismäßig gering, PR-Agenturen sind teurer. Man kann also auch sagen: Die Regierungsnähe dieser 200 Journalisten ist recht billig erkauft worden. Denn mal ehrlich: Wer von Ministerien oder Behörden Geld erhält, von dem sind keine wirklich kritischen Berichte über die eigenen Financiers zu erwarten. Und auch andersrum passt es: Wen die Regierung oder die Behörden auswählen, für sich zu arbeiten, dürfte vorher kaum durch grundlegende Kritik aufgefallen sein. Übrigens: Mindestens von zwei Stellen gibt es keine Auskünfte. So fehlt in der Liste das Auswärtige Amt. Es hatte allerdings nach Recherchen von Florian Warweg durchaus Journalisten beschäftigt (Nachdenkseiten, 8.3.22). Die zweite Stelle ist der Bundesnachrichtendienst. Dessen Zusammenarbeit mit Journalisten könne aus Gründen des Staatswohls nicht offengelegt werden.

Bevor wir uns die Liste und die verschiedenen Stimmen dazu einmal genauer anschauen, ein kleiner Einschub: Natürlich wissen wir, dass gerade freie Journalisten oft schlecht bezahlt werden. Auch wenn sie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten, kann es durchaus passieren, dass sie eine längere Durststrecke ohne lukrative Aufträge durchmachen müssen. Wer dann von einem Ministerium angesprochen wird, ob er eine Veranstaltung moderieren oder Führungskräften eine Interviewschulung geben kann, der wird gerne zusagen.

Allerdings dürfen wir davon ausgehen, dass die meisten Journalisten, die von der Regierung für verschiedene Dienstleistungen beauftragt werden, zu den bekannteren und besser bezahlten gehören. So wie Linda Zervakis, die als ehemalige Tagesschau-Sprecherin und jetzige ProSieben-Moderatorin zu denjenigen auf der veröffentlichten Liste gehört, die leicht zuzuordnen sind, zumal ihre Weigerung, eine Zahlung des Kanzleramts offenzulegen, bereits kürzlich für Aufregung sorgte (taz, 27.2.23). Sie selbst weist jetzt die Kritik zurück. Sie habe sich zu keiner Zeit vereinnahmen lassen (Rheinische Post, 9.3.22).

Wir erwarten gleichwohl keine tiefgreifende Kritik an der Regierung von Linda Zervakis, die dafür auch bisher nicht bekannt war. Die grundsätzliche Frage, ob die offenkundige Nähe vieler Journalisten zu Politik und Behörden nicht ein Problem darstelle, haben auch die Kollegen im Mainstream erkannt. So fragt sich t-online.de:

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion lässt vermuten, dass viele der genannten Journalisten fest angestellt für die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten arbeiten. Das legt die Frage nahe, ob es inhaltliche Bedenken geben könnte – etwa, weil die Journalisten in ihrem Hauptjob die Themengebiete bearbeiten, zu denen sie auch im Auftrag der Regierung arbeiten. Weiterhin bleibt offen, ob diese Nebentätigkeiten mit den Compliance-Regelungen der Sender vereinbar sind. (t-online.de, 8.3.23)

Und bezogen auf die Pressesprecher-Lehrgänge, die ein ÖR-Mitarbeiter im Finanzministerium – damals noch unter Olaf Scholz – abhielt, fragen sich die t-online-Autoren:

Schulte hier ein Journalist die Pressesprecher für Interviews, die er am Ende selber führte?

Solange nicht klar ist, wer hier genau die Führungskräfte des Ministeriums weiterbildete, bleibt ein Beigeschmack. Eine weitere Frage stellt Welt-Redakteurin Anette Dowideit:

Warum müssen Ministerien überhaupt das Geld der Steuerzahler für Einsätze von Journalisten ausgeben – wo sie doch Pressesprecher beschäftigen, die zuvor oft selbst bei Zeitungen oder TV-Sendern gearbeitet haben und die somit in der Lage sein dürften, Podiumsdiskussionen und Preisverleihungen zu moderieren? (Welt, 9.3.23, Bezahlschranke)

 Kollegen der öffentlich-rechtlichen Sender erhielten zudem viel öfter Aufträge von den Ministerien als solche, die bei privaten Medienunternehmen angestellt sind, stellt Dowideit – hoffentlich neidlos – fest. Eines bleibt in jedem Fall in ihrem Artikel offen: Wer ist „Journalist 165“, der beim selben Arbeitgeber wie sie, also beim Axel Springer Konzern, angestellt ist? Allerdings: Die Frage nach der Identität mag zwar im Einzelfall erhellend sein, das Grundproblem der Einflussnahme und vor allem der Regierungsnähe ist jedoch ein generelles. Da brauchen wir die Namen nicht, von denen beispielsweise das Team von Ex-Bild-Chef Julian Reichelt einige herausgefunden haben will (pleiteticker.de, 8.3.23), t-online.de nennt einige Weitere (t-online.de, 9.3.23).

Interessant beim zweiten Artikel auf t-online.de ist aber insbesondere die Einlassung von Frank Überall, dem Vorsitzenden des Deutschen Journalistenverbandes. Er wird unter anderem zitiert mit den Worten: „Die Kolleginnen und Kollegen sind dafür ausgebildet. Vielleicht ist es sogar besser, wenn ein Journalist oder eine Journalistin moderiert als ein Beamter aus dem Ministerium.“ Wobei wir das Thema ja bereits hatten, die Welt-Kollegin wies darauf hin, dass es durchaus Beamte oder andere Mitarbeiter in den Ministerien gibt, die eben auch dafür ausgebildet sind. Frank Überall schwimmt in seinen Aussagen, schließlich muss er die Interessen seiner Mitglieder verteidigen und gleichzeitig den Ruf des Journalismus wahren. Und so fordert er Transparenz. Gegenüber dem Sender, für den die Journalisten frei tätig sind und gegenüber den Kollegen. Weiter heißt es in dem Artikel:

Besonders schwierig wird es, wenn man für ein Ministerium arbeitet und dann gleichzeitig über ähnliche Themengebiete schreibt. So sei ein Fall bekannt geworden, in dem ein Journalist die Rede für einen Dax-Vorstand geschrieben habe, dann aber auch über genau die Veranstaltung berichtete. Und sogar noch von einer „starken Rede“ des Vorstandes schrieb. „Hier muss eine Brandmauer her“, fordert Überall. Im politischen Raum sei das fatal. Ein Verbot von Nebentätigkeiten sei arbeitsrechtlich aber schwierig. Jeder Einzelfall müsse genau geprüft werden.

 Auffällig ist, dass der übliche Reflex unterbleibt, den unliebsamen Fragesteller – in diesem Fall also die AfD-Bundestagsfraktion – zu denunzieren und damit vom Thema abzulenken. Man hat das Gefühl, zumindest einigen aus der Medienbranche sei der Ernst der Sache und der Verlust ihrer Glaubwürdigkeit bewusst. Und gerade bei t-online.de hätten wir nach vielen Erfahrungen aus der Vergangenheit Schlimmeres erwartet. Die FAZ thematisiert die Fragesteller dann doch:

Was die AfD mit ihrer Anfrage bezweckt, kann man sich denken: Wer zahlt, schafft an. Wer Journalisten beschäftigt, bestimmt die Musik – und schon haben wir das regierungsfreundliche Medienkonzert. Das aber ist ein Trugschluss, solange die Betreffenden ihre eigentliche Aufgabe von den Jobs auf Steuerzahlerkosten trennen und klar zu erkennen ist, wann wer welche Rolle übernimmt, und sich Aufträge für bestimmte Journalisten und Medien nicht eklatant häufen. Ein gewisser öffentlich-rechtlicher Überhang ist in der dreißig Seiten langen Liste der Bundesregierung schon zu erkennen. Und Fernsehgesichter werden wahrlich nicht unterbezahlt. Zur Vorurteils- und Verschwörungsproduktion taugt das aber erst in dem Moment, in dem herumgeeiert wird wie im Fall von Linda Zervakis. (FAZ, 8.2.23, Bezahlschranke)

Überträgt man diese Aussage auf den anderen Fall, den wir zu Beginn unseres Artikels angerissen haben, dann wird es interessant. Denn das würde schlussendlich bedeuten, dass die Journalisten von RT DE nicht automatisch russische Staatspropaganda betrieben, nur weil sie für einen Sender schreiben, den Russland finanziert. Das wird ihnen von vielen, unter anderem von genanntem Frank Überall, vorgeworfen. Oder verstehen wir etwas falsch?

Wenn also Journalisten im Dienste der Bundesregierung nicht als Trolle der Regierung agieren, dann wären jene Journalisten, die RT DE bezahlt, auch nicht automatisch dergleichen. Wobei wir das mit den Trollen zugegebenermaßen etwas überzeichnen. Und es ist auch etwas anderes, ob man direkt auf einer Website, die von einem Staat finanziert wird, einen Artikel schreibt oder ob man eine Veranstaltung moderiert. Aber der Unterschied ist graduell und eine finanzielle Beziehung gibt es in jedem Fall. Eine zwischen Journalist und Regierung, mit der deutschen oder der russischen.

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Apropos Trolle: Die Tagesschau spricht in ihrem aktuellen Text nicht von freien Journalisten sondern von extra angeheuerten Trollen aus sogenannten Fabriken, die für die Verbreitung von Inhalten auf Social Media verantwortlich sind. Warum kommen uns bei diesem Stichwort die US-Geheimdienste in den Sinn? Und es geht der Tagesschau auch gar nicht um Inhalte bei RT, von denen hält sich die Redaktion geschickt fern. Sie moniert in ihrer Recherche, dass die Zensur nicht allumfassend ist und Beiträge weiterhin gelesen werden können. Immerhin haben die Autoren auch bei RT nachgefragt. Man werde weiterhin alle Möglichkeiten nutzen, die Inhalte zu verbreiten, heißt es aus Moskau. Schwieriger wird es indes für die RT-Mitarbeiter und freien Journalisten in Deutschland, die oftmals Recherchen anstoßen, die andere Medien gar nicht erst antasten. Die RT DE Productions GmbH muss sich aus Deutschland zurückziehen (junge Welt, 23.2.23).

Meinungsfreiheit? Hatten wir mal. Wenn die Meinung aus Russland kommt oder von dort finanziert wird, ist sie untersagt. Der andere Blick, die kritische Recherche können Sie aber zuweilen eher auf den Websites von RT finden als bei der Tagesschau. Wenn Sie denn die Website finden. Da Sie dieser Medienrundschau bis hierher gefolgt sind, setzen wir auf ihre Medienkompetenz. Sie werden einen Weg finden, es gibt Apps, Websites mit aktuellen Links zu RT und immer wieder Verweise auf Facebook. Was ja gerade der Tagesschau missfällt. Wir hingegen informieren uns immer mal wieder gerne auch auf anderen Websites, bilden uns unsere eigene Meinung, bleiben offen und kritisch. Das raten wir auch Ihnen. Schreiben Sie uns, wenn Sie mögen an redaktion@hintergrund.de und schauen Sie gerne wieder vorbei. Und: Abonnieren Sie unseren Newsletter!

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