Neue Treibjagd auf Daniele Ganser
Der bekannte Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser ist derzeit auf Vortragsreise und spricht über die Hintergründe des Ukrainekrieges. Eine Allianz aus Politik und Haltungsjournalisten stellt sich dagegen. Erste Hallen haben bereits Verträge gekündigt, Ganser wehrt sich. Die Hintergrund-Medienrundschau vom 10. Februar 2023.
Deutschlands Haltungsjournalisten haben ein Lieblingswort: Umstritten. Es lässt sich immer einsetzen, wenn man jemanden von hintenrum durch die kalten Küche diskreditieren will. Umstritten, das sind Menschen, die nicht die Positionen des Mainstream vertreten. Also Ulrike Guérot, Sahra Wagenknecht oder Michael Lüders. Man kann sie nicht ignorieren, aber man kann sie framen. Eben als „umstritten“. Natürlich sind auch Olaf Scholz, Annalena Baerbock oder Robert Habeck umstritten. Aber im Mainstream ist es, wenn überhaupt, ihre Politik.
Wer auf der „anderen“ Seite steht, gilt als Person umstritten. Und er verkündet – in der nächsten Steigerungsstufe – „Verschwörungstheorien“, agiert als „Verschwörungserzähler“, „Verschwörungs-Unternehmer“ oder ist gar ein „Verschwörungsguru“. Bietet jemand mehr? Die Verleumdungsskala des Mainstream scheint nach oben offen. Zumindest wenn es um Daniele Ganser geht, dem diese Zuschreibungen zuteil werden.
Der Schweizer Historiker und Friedensforscher, der bereits früh Autor unseres Hintergrund-Magazins war, ist derzeit wieder in vielen Medien präsent. Jedoch als Zielscheibe. Denn Ganser ist derzeit auf Vortragsreise zum Thema Ukraine. Er spricht in einigen der großen Hallen Deutschlands, kann dort eine Gegenposition zum Mainstream-Narrativ vertreten. Kann er? Das ist derzeit offen. Denn eine Allianz aus Medien und Lokalpolitik, flankiert von einigen zivilgesellschaftlichen Gruppen, versucht sich an der Verhinderung. In zwei Fällen hatten sie bereits Erfolg. Zumindest vorerst.
Begonnen hatte die aktuelle Kampagne gegen Ganser im beschaulichen Bensheim an der südhessischen Bergstraße, ob ihres Klimas auch „deutsche Riviera“ genannt. Dort trat Ganser Mitte Januar auf Einladung des Vereins „Lebenskunst“ auf. Was nicht allen gefiel. Unter anderen protestierte die Bergsträßer „Initiative Vielfalt Jetzt“. Ausgerechnet eine Gruppe, die vorgeblich für Vielfalt steht, zensiert. Aber natürlich nur im Namen der guten Sache. Die Bösen sollen draußen bleiben. Und wer sind die Bösen? Die, die die Narrative der Herrschenden in Frage stellen.
Nach ersten lokalen Berichten (Darmstädter Echo, 12.1.23 und Bergsträßer Anzeiger, 14.1.23, Bezahlschranke) übernahm der Hessische Rundfunk mit seiner Hessenschau (hessenschau, 14.1.23). Es folgte die Frankfurter Regionalredaktion von t-online.de und auch das SPD-nahe Portal Endstation Rechts sprang schnell auf den Diffamierungszug auf. Es erfand gleich noch eine neue Vokabel im Geiste Coronas. den Verschwörungsbooster (Endstation Rechts, 17.1.23). Nun denn.
Wir verlinken die genannten Medien zu Dokumentationszwecken. Wenn Sie sich die Beiträge anschauen, merken Sie: Es gibt kaum eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Gansers Positionen. Es sind immer die gleichen unappetitlichen Versatzstücke, die zusammengepackt werden, wie bei t-online.de im Bericht über den „umstrittenen Historiker“.
Ganser erlangte mit seiner 2005 veröffentlichten Dissertation „NATO-Geheimarmeen in Europa“ Bekanntheit. Seitdem verbreitet er in diversen Publikationen und Interviews Verschwörungstheorien zum 11. September und Theorien aus dem „Querdenker“-Spektrum. Während der Pandemie hatte Ganser eine von ihm wahrgenommene Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften mit dem „Dritten Reich“ verglichen, in dem die Nazis den Holocaust an den Juden verübten. (t-online.de, 15.1.23)
Schlagworte und Verdrehungen. Und ein eigenartiger Bezug auf das Dritte Reich. Als ob die Leser über den Holocaust nicht Bescheid wüssten. Aber jener muss genannt und irgendwie in Verbindung mit Ganser gebracht werden. Irgendwas bleibt hängen. Ist er etwa ein Relativierer? Und natürlich rechts. Oder? Das Framing verfängt indes nicht bei allen. Der Bergsträßer Anzeiger ist nach den insgesamt vier Vortragsterminen vor Ort voll der lobenden Worte für den Referenten (Suchergebnisse auf der BA-Website).
Mit dem Vortrag in Bensheim aber fing die aktuelle Welle lediglich an. Auch andernorts wurden die Freunde des gepflegten Verbots aktiv. Und sie machten mobil, wie es ihre Art ist. Die Stadtratsfraktion der Grünen in Dortmund war „entsetzt“ über Gansers geplanten Vortrag in der Westfalenhalle. Kurz nach dem Wirbel in Bensheim begannen sie an einer Absage durch die Westfalenhalle, die ein städtisches Tochterunternehmen ist, zu arbeiten. CDU und ein „Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus“ schlossen sich an (Chronologie: Ruhr24). Die Lokalpresse berichtete breit, zudem wieder t-online.de und der WDR, bei dem eine Grüne Stadträtin vor einem Mikrofon über „menschenverachtendes Gedankengut“ bei Ganser fabuliert (WDR, 6.2.23).
Nicht fehlen darf bei solcherlei Diffamierung der Antisemitismusvorwurf. Aktuell aufgrund von Gansers Auftritt im Film „Pandamned“. Der Filmemacher fragte ihn darin nach Spaltungen in der Vergangenheit. Ganser antwortete, es habe lokale Spaltungen gegeben, in Europa zwischen Katholiken und Protestanten, im deutschen NS-Faschismus zwischen Nazis und Juden oder in Kambodscha. Ganser erinnert an die Killing Fields in den 1970er Jahren. Dort wurden Menschen umgebracht, es sei „ein Wahnsinn gewesen“. Nun aber gebe es weltweit eine Spaltung zwischen Ungeimpften und Geimpften (Video mit Timecode).
Man kann an Gansers Vergleichen sicherlich kritisieren, dass die Spaltung eine existenziell andere Qualität hat, wenn Menschen nicht „nur“ ausgegrenzt, sondern umgebracht werden und Ganser dies nicht verdeutlicht. Aber Antisemitismus? Und außerdem: Wir reden über eine kleine Stelle in einem Dokumentarfilm, nicht über eine wissenschaftliche Abhandlung. Ganser geht es darum, dies kann man dem Ausschnitt allerdings entnehmen, dass Menschen gespalten und gegeneinander aufgehetzt werden. Auf dieser Grundlage wäre dann ein erneuter Krieg möglich. Die Soziologin Pia Lamberty sagt hingegen: „Die Logik seiner Aussagen lautet, wenn man es zu Ende denkt: Die Ungeimpften sind die neuen Juden. Auch das ist eine Form des Antisemitismus.“ (BR-Faktenfuchs, 22.5.22) Mosche Zuckermann schrieb vor einigen Jahren das Buch „Antisemitismus als Herrschaftsinstrument“ (Promedia Verlag). Wir fühlen uns (mal wieder) daran erinnert.
Nach Dortmund gab es in dieser Woche dann auch noch eine Absage in Nürnberg. Dort titelt ein Regionalportal „keine Nazis auf dem Reichsparteitagsgelände“ und schreibt:
Die Sozialdemokraten fordern nun, dass Veranstalter vorab prüfen müssen, ob auftretende Künstler bereits mit rassistischen oder verschwörungsideologischen Aussagen aufgefallen sind. Dieser „Demokratie-Check“ soll für Auftritte am ehemaligen Reichsparteitagsgelände gelten sowie in der ebenfalls zum Areal zählenden Meistersingerhalle und den geplanten sogenannten Ermöglichungsräumen für Kulturschaffende in der Kongresshalle. (nordbayern.de, 8.2.23)
Wer soll das prüfen? Auf welcher Grundlage? Vermutlich ist alles undemokratisch, was die SPD für undemokratisch hält. Aber stets im Dienst der guten Sache. Albrecht Müller konstatiert treffend:
Heute kommt der Faschismus im Gewand des Antifaschismus. Was in Dortmund [und wir ergänzen: in Nürnberg und anderswo] gerade passiert, ist ein neuer Beleg für diese schlimme Entwicklung. (Nachdenkseiten, 24.1.23)
Auch in Kiel fordert ein SPD-Abgeordneter die Absage von den Betreibern der örtlichen Arena. Sie mögen doch den „den gleichen Mut“ besitzen wie die Dortmunder Westfalenhalle „und seinen Auftritt auch unter Hinnahme juristischer Risiken absagen“. Auch das stand wieder bei t-online.de, das sich dann auch noch in der Dachzeile des Textes auf die Schultern klopft, denn die Berichterstattung und die Absage-Forderungen erfolgten auf einen eigenen Bericht (t-online, 9.2.23).
Die Beschäftigung mit und die Verleumdung von Ganser durch die t-online.de-Redaktion scheint mittlerweile eine Obsession zu sein – vermutlich generiert Ganser Klicks. Es gibt mittlerweile eine Art Überblicks-Artikel – neben vielen anderen (t-online, 9.2.23). Man verteidigt alle Mainstream-Narrative und aktuell wird skandalisiert, dass Ganser über das Schicksal von Sophie Scholl und den Umgang mit ihr spricht. Er vergleiche sich mit der Widerstandskämpferin gegen die Nazis. Er muss ein Nazi sein.
Wir brechen die Darstellung an dieser Stelle ab und verweisen noch auf einige Leserbriefe an die Nachdenkseiten (Nachdenkseiten, 9.2.23). Der Umgang mit Ganser ist ein Lehrstück für Framing, Propaganda, Kontaktschuldvorwürfen und die Einengung des Meinungskorridors. Denn es werden sämtliche Mechanismen verwendet, die in der aktuellen Kampagnenführung gegen die „Gegner“ immer wieder zu beobachten sind: Ein prominenter Vertreter der Gegenöffentlichkeit, der die Narrative des Mainstream in Frage stellt, wird mit aus dem Zusammenhang gerissenen Aussagen, mit teilweise längst vergangenen Verbindungen (in diesem Fall zum Compact-Magazin) und der stetig wiederholten Aussage, seine Thesen seien „umstritten“, „abseitig“, „von der Wissenschaft widerlegt“ an den Pranger gestellt. Dann noch eine Prise Verschwörungs-, Antisemitismus- und Nazivorwürfe dazu und schon ist der Kritisierte zum Freiwild geworden, das es zu erlegen gilt. Die Haltungsjournaille von t-online.de und Co. stürzt sich drauf und ist stolz darüber, wenn sie die Treibjagd in der Allianz der Herrschenden aus Politik und Medien erfolgreich beendet. Erfolg ist, wenn sie mal wieder jemand aus der Öffentlichkeit gedrängt haben.
Warum Ganser? Er wurde mit seinen Studien zu Geheimarmeen der NATO bekannt. Ein Thema, das den Mächtigen nicht passt: Der US-Imperialismus und seine lange Arme nach Europa. Ganser schaute genauer hin, was am 11. September 2001 passierte. Und er wies auf die Unstimmigkeiten hin. Er ist eloquent, sachlich, fand sein Publikum. Natürlich verdient er damit auch sein Geld. Seine Gegner hassen ihn wegen des Erfolgs und natürlich vor allem wegen seiner bohrenden Recherchen. Wie die Diffamierung läuft und welche Rolle Wikipedia als immer wieder zitierte Quelle dabei spielt, hat Markus Fiedler vor einigen Jahren in einem Film dargestellt (wikihausen.de). Laut Wikipedia verbreitet Ganser Verschwörungstheorien. Die Basis dafür: Mainstream-Quellen. Mainstream-Journalisten nutzen vice versa Wikipedia als Quelle über Ganser als Verschwörungstheoretiker. Wikipedia hat neue Quellen, die die Behauptungen untermauern. Ein Zitatkreislauf zur Verstärkung des Narrativs. Andere Stimmen, beispielsweise die Nachdenkseiten oder wir, gelten bei Wikipedia als nicht seriöse Quelle.
Was Ganser selbst sagt, gibt es derzeit nur in „umstrittenem“ Umfeld zu lesen und zu hören. Denn selbstverständlich kommt er im Mainstream kaum zu Wort und wenn, dann muss er sich verteidigen. Ausführlicher zu hören ist er aktuell in einem Interview mit dem österreichischen Regionalsender RTV von Ende Januar, das – Stand heute, 10. Februar – noch auf Youtube zu finden ist (Youtube, 30.1.23).
Gegen die Kündigung der Verträge wehren sich Ganser und die Veranstalter seiner Vorträge. Sie wollen nicht klein beigeben. In einem Appell richten sie sich an die Friedensbewegung:
Dr. Daniele Ganser braucht nun die Hilfe der Friedensbewegung umso mehr! Unterstützt uns dabei, wieder in einen wertschätzenden Dialog zu kommen. Helft uns, dass der ehrliche Willen nach Weltfrieden wieder als höchstes Gut gilt. Richtet euch entschlossen gegen jede Kriegstreiberei und lasst es euch nicht gefallen, dass der Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes, der die Meinungsfreiheit garantiert, mit Füßen getreten wird. Steht ein für echte Demokratie und Menschenrechte. (apolut, 9.2.23)
Uns geht es natürlich nicht um eine Glorifizierung von Ganser, selbstverständlich kann man ihn sachlich kritisieren. Warum auch nicht? Aber einer unsachlichen Diffamierung treten wir selbstredend entgegen. Und natürlich soll er auch auftreten können. Das gilt für Daniele Ganser und genauso für Roger Waters, Anna Netrebko (hessenschau.de, 26.1.23) oder Uwe Steimle (Nachdenkseiten, 10.2.23), um zwei weitere Kandidaten der aktuellen Cancel-Welle zu nennen. Um sie können wir uns heute aber nicht mehr kümmern. Schauen Sie selbst nach, bilden Sie sich ihre eigene Meinung und bleiben Sie uns gewogen. Sie erreichen uns unter redaktion@hintergrund.de. Wir freuen uns immer über Anregungen, Lob und Kritik.
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