Ein Posten zu viel
Im Wirtschaftsministerium zieht ein Mann die Strippen: Patrick Graichen. Der Staatssekretär wechselte einst aus dem Umweltministerium in einen Lobbyverband für den „Klimaschutz“ und kehrte mit dem Regierungswechsel zurück ins Ministerium. Schon vor dem Amtsantritt war für ihn die Wärmepumpe die Schlüsseltechnologie der Zukunft für die „Wärmewende“, jetzt will er sie den Hausbesitzern quasi per Gesetz vorschreiben. Und Graichen agiert auch auf andere Weise, denn scheinbar versucht er, an entscheidenden Stellen enge Vertraute zu installieren. Was mittlerweile auch dem Mainstream aufgefallen ist. Die Hintergrund-Medienrundschau vom 5. Mai 2023.
Ohne ihn hätten wir gefroren. Patrick Graichen hat eine Energiekrise abgewendet. Das sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck über seinen wichtigsten Mitarbeiter. Ein positives Statement passt gut zu einem Fehler, den Habeck eingestehen musste. Denn dessen Staatssekretär Graichen war maßgeblich daran beteiligt, dass sein Trauzeuge Michael Schäfer Geschäftsführer der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (DENA) werden sollte. „Sollte“ deshalb, weil es jetzt anders kommen könnte. Neben den lobenden Worten über seinen Mitarbeiter haben Habeck und Graichen den „Fehler“ eingestanden und sich entschuldigt. Der Minister hat ein neues Besetzungsverfahren angekündigt. Ist die Sache damit erledigt? Keineswegs. Denn die Personalie Schäfer war vielleicht der eine Posten zu viel, der das Netz um Patrick Graichen zum Zerreißen bringen könnte.
Es ist nicht die erste Personalie mit Geschmäckle, die im Wirtschaftsministerium verhandelt wird. Hinzu kommt noch einiges mehr. Graichen gilt als Architekt der Energiewende, ein fleißiger Arbeiter im Hintergrund, der die Gesetze kennt und neue schreibt. Auf ihn will Habeck nicht verzichten, weswegen er derzeit noch im Amt ist. Wenn Graichen jedoch gehen müsste, würde er vermutlich weich in ein Netz aus NGOs fallen, das sich die Grünen in den vergangenen Jahren rund um das Thema Klima und Energiewende aufgebaut haben. Auch dazu ist in den vergangenen Tagen einiges in den Medien berichtet worden. Und während in den letzten Monaten vor allem Portale abseits des Mainstream immer wieder auf die delikaten Personalentscheidungen geschaut haben, ist das Thema nun in der Mitte bei den Leitmedien angekommen. Genau deshalb wurde es gefährlich für Habeck und seinen Staatssekretär und deshalb musste er reagieren.
Ein ausführlicher Bericht in den Leitmedien kam indes bereits vor anderthalb Jahren kurz nach dem Regierungswechsel von der taz. In etwas belustigendem Ton schrieb Bernhard Pötter über die „Energiewende als Familienbetrieb“, denn neben Graichen wurde auch Michael Kellner Staatssekretär bei Habeck. Kellner ist mit Graichens Schwester Verena verheiratet. Sie ist Vizevorsitzende des BUND und wie ihr zweiter Bruder Jakob Mitarbeiter des Freiburger Öko-Instuituts, einer Einrichtung, die immer mal wieder Gelder aus verschiedenen Ministerien erhält. Angesichts dieser Personallage überlegte Pötter:
Wenn Familienfeiern langweilig werden, kann der Graichen/Kellner-Clan also immer noch über die Reform der Marktstabilitätsreserve im Emissionshandel oder die Ausgleichmechanismusverordnung im EEG plaudern. (taz, 19.12.21)
In der Zeitung, die den Grünen nahesteht, wurde das mögliche Problem der Verfilzung zwar benannt, aber als quasi gelöst beschrieben:
Damit aber bei Graichen/Kellner aus der Schwäger- keine Vetternwirtschaft wird, macht das Ministerium die Wahlverwandtschaften im Amt gleich öffentlich. Außerdem werde „selbstverständlich sichergestellt, dass keine Interessenkonflikte bei der Vergabe von Studien oder Aufträgen entstehen“, heißt es. Die „hierfür notwendigen Schritte und Strukturen“ würden „rechtssicher eingerichtet und umgesetzt“.
Die Grünen sind eben Moralisten und beugen vor. Wir wissen heute: Das hat nicht geklappt. Bevor wir weiter auf den Fortgang der Geschichte und den aktuellen Fall sowie die Berichterstattung schauen, stellen wir kurz den Hauptdarsteller vor. Denn Patrick Graichen steht nicht von ungefähr im Mittelpunkt dieser Affäre, die nach Ansicht der Grünen und ihrer Unterstützer gar keine ist. Jürgen Trittin sieht eine gezielte Kampagne der Union gegen Robert Habeck (Berliner Zeitung, 3.5.23). Was soll er auch anderes sagen?
Ein aufschlussreiches und aktuelles Porträt von Graichen liefert der Cicero – leider hinter der Bezahlschranke. Das Magazin findet eine treffende Überschrift. Graichen sei ein verbeamteter Lobbyist. In der Tat. Unter Rot-Grün arbeitete er im Umweltministerium als Referent von Staatssekretär Rainer Baake, einem der wichtigsten Wegbereiter für Wind- und Sonnenergie in der Bundesrepublik. Minister war damals Trittin. Auch nach dem Regierungswechsel 2005 blieb Graichen im Umweltministerium, am Schluss war er Referatsleiter für Klima- und Energiepolitik. 2012 ließ er sich beurlauben, um gemeinsam mit Baake die Lobbyorganisation „Agora Energiewende“ aufzubauen. Deren Führung übernahm er 2014, als Baake Staatssekretär im Wirtschaftsministerium wurde. Nach der jüngsten Bundestagswahl bekam Graichen diesen Posten, die Beurlaubung endete.
Was Grüne bei anderen Branchen gerne kritisieren, den geschmeidigen Wechsel zwischen Politik und Lobbyorganisationen, ist für sie offenbar kein Problem mehr, wenn es um die vermeintlich richtige Sache geht. Dabei sind die „Erneuerbaren Energien“ längst kein Spielzeug weltverbessernder Idealisten mehr, sondern eine milliardenschwere Industrie. Und die Ampelkoalition vertritt eins zu eins deren Interessen. (Cicero, 2.5.23, Bezahlschranke)
Auch weitere Posten im wichtigen Energiesektor sind in der Hand der Grünen. Wir stimmen Cicero-Autor Daniel Gräber zu, dass es höchst bedenklich ist, wenn ein solch bedeutender Sektor von den Grünen dominiert wird. Zumal dann, wenn sie ihre radikalen Umbaupläne des Energiesektors von einem Lobbyverband erarbeiten lassen und anschließend systematisch darangehen, Vertreter anderer Positionen, zum Beispiel in Bezug auf die Nord Stream Gaspipelines, aus ihren Posten zu drängen. Denn nichts anderes tat Patrick Graichen gemeinsam mit seinem engen Mitarbeiter Christian Maaß. Maaß arbeitete vor seiner Einstellung im Ministerium bei den Hamburger Grünen und dem Hamburg-Institut, einem weiteren Lobbyverband für die Energiewende. Die Zeit berichtete bereits vergangenen Sommer darüber, dass das Ministerium – also in diesem Fall Maaß und Graichen – den Verfassungsschutz eingeschaltet hatte, um missliebigen „Kollegen“ eine verdächtige Kremlnähe nachzuweisen.
Im Visier des Verfassungsschutzes stehen nach Recherchen der ZEIT jetzt allerdings zwei leitende Beamte des Wirtschaftsministeriums, die in Schlüsselpositionen mit der Energieversorgung zu tun haben. Wird die Geopolitik von heute also doch wieder mit den Methoden von gestern inszeniert? (Zeit, 31.8.22, Bezahlschranke)
Viel mehr als Fragen und Mutmaßungen enthält der Artikel nicht. Florian Warweg, der den Fall kurze Zeit später für die Nachdenkseiten aufgriff, fasst zusammen:
Gefunden hatte der Verfassungsschutz nach umfassender Untersuchung (z.B. Analyse der privaten Freundschaften und Flugreisen der letzten Jahre) übrigens nichts, außer einen Auslandsaufenthalt in Russland in Jugendjahren bei einem der Beamten sowie eine wie auch immer definierte „emotionale Nähe zu Russland“. (Nachdenkseiten, 22.9.22)
Mit dieser Aktion von Graichen und Maaß wurde jedoch innerhalb des Ministeriums und später auch nach außen klar gemacht: Wer nicht für uns ist, der ergreift für Russland Partei und ist unser Gegner. Das Ministerium wurde auf Linie gebracht. Warweg greift in seinem Artikel auch interne Protokolle auf, in denen eine schlechte Stimmung unter den Beamten beschrieben wird. Und er thematisierte die Schwestern- und Schwagerwirtschaft. Wir hatten den Text damals gelesen, hielten das Thema zunächst für „kalten Kaffee“, bis einige Medien den grünen Filz wieder aufgriffen und dann auch der Spiegel-Kolumnist Alexander Neubacher von „Habecks Klüngelwirtschaft“ schrieb.
Nun könnte man sagen: Ist doch smart, wenn ein Clan für den Erfolg zusammenhält, siehe Kelly Family, Waltons, Remmo-Clan. Man könnte allerdings auch auf den Gedanken kommen, dass es sich um einen besonders schamlosen Fall von Klüngel handelt, der bei jedem anderen Minister zu einem Sturm der Entrüstung führen würde, womöglich gar zu Rücktrittsforderungen. Doch irgendwie ist es Habeck gelungen, die Sache wegzudrücken. Als Medien wie die »taz« vor gut einem Jahr erstmals kritisch über das Friends-&-Family-Ressort berichteten , erklärte das Ministerium, es werde »selbstverständlich sichergestellt, dass keine Interessenkonflikte bei der Vergabe von Studien oder Aufträgen entstehen«. Na dann. Dass Michael, Patrick, Verena, Jakob, Felix, Rainer und die ganze Sippschaft mit den Interessen von Robert je in Konflikt geraten könnte, darf wohl tatsächlich ausgeschlossen werden. (Spiegel, 22.4.23, Bezahlschranke)
Für den Mainstream ging es damit erst richtig los. Denn was der Spiegel schreibt, hat immer noch Gewicht. Andere Medien folgten, recherchierten und berichteten. Und Patrick Graichen sah sich genötigt, so heißt es an einigen Stellen, dem Minister die aktuelle Postenvergabe an seinen Trauzeugen zu beichten. Der Skandal weitete sich aus und damit wären wir in der Gegenwart angekommen, in der sich die Berichte häufen und unübersichtlich werden.
Wir blicken aber vorerst noch einmal zu den Kollegen des liberal-konservativen Meinungsmagazins Tichys Einblick. Für diese steht die Bundesregierung – so der aktuelle Titel des gedruckten Heftes – für „Sozialismus in Grün“. Was natürlich Quatsch ist, handelt es sich doch bei Klima- und Energiewende um ein Milliardenprojekt eines neoliberalen Kapitalismus, der sich stetig neue Geschäftsfelder suchen muss. Dafür liefern dann die grünen Think Tanks wie Agora Energiewende, das Öko-Institut oder Maaß‘ Hamburg-Institut die passenden Studien (und das Personal). Im Hintergrund stehen millionenschwere Stiftungen um Hal Harvey, den wir an dieser Stelle aus Platzgründen nicht weiter vorstellen können. Eine aktuelle Grafik über die Verbindungen des Lobbyisten liefert Bild, 3.5.23. Schon früher wiesen andere Medien auf seine Rolle hin.
Auch wenn sie bei der Bewertung falschliegen, können die Mitarbeiter von Roland Tichy dennoch gut recherchieren. Sie haben Patrick Graichen bereits lange Zeit verfolgt. Weit vor den meisten anderen berichteten sie über die Personalien im Ministerium – auch schon im Dezember 2021, ein paar Tage vor dem zitierten launischen taz-Artikel. Als nun die „Qualitätspresse“ auf den Zug aufsprang, machte sich Tichy-Redakteur Marco Gallina so seine Gedanken. Seine Erfahrungen erinnern ein wenig an unsere rund um die Recherche zum „Karlatan“ Karl Lauterbach (Medienrundschau vom 17.3.23):
Die großen Medienhäuser dürften also die Posse um die schrecklich nette Familie schon früher gekannt haben. Womöglich wärmen sie diese jetzt auf, nachdem die Heizungssache mit Habeck nicht so rund läuft und man versucht, die Schuldigen für die baldige Enteignung zu finden. (Tichys Einblick, 24. April 2023)
Denn ohne Patrick Graichen wäre das neue und nun viel kritisierte Gesetz zum Verbot fossiler Heizungen vermutlich nicht denkbar. Zeit-Redakteure, die sich für den Artikel mit dem Staatssekretär zum Hintergrundgespräch getroffen haben, schreiben:
Man stellt Hardliner ein, damit die strenge Vorlagen schreiben. Und damit man selbst dann umso schöner durch Kompromisse glänzen kann. Bad cop, good cop: Auch bei Graichen und Habeck war diese Aufgabenteilung von Anfang an klar. Der eine schwingt den Heizhammer. Der andere gibt den Wärmepumpenflüsterer. (Zeit, 3.5.23, Bezahlschranke)
Bevor wir noch kurz auf die weitreichenden Folgen der Arbeit von Graichen hinweisen, ein paar Worte zur aktuellen Arbeit der Medien. Da wird von den einen etwas als neu dargestellt, was andere längst berichtet hatten. Man schreibt, ohne zu zitieren munter voneinander ab und vor allem auch von den Medien abseits des Mainstream – ohne Quellenangabe. Eben wie beim Karlatan und den Berichten auf unserer Website, wobei dessen Verfehlungen vermutlich zu lange her sind und für viele zu abstrakt scheinen, sodass der Gesundheitsminister noch nicht über sein Lügengebäude gestürzt ist.
Auffällig ist zudem, dass die Hauptnachrichten des Fernsehens zunächst schwiegen. Die Tagesthemen griffen die Affäre auf, gar mit Kommentar. In der 20-Uhr-Sendung indes zumindest bislang keine Erwähnung. Im ZDF hieß es dann am gestrigen Donnerstag (4.5.) kurz nach 19 Uhr: „Schon länger gibt‘s Vorwürfe Vetternwirtschaft im Grün-geführten Wirtschaftsministerium.“ Der unbedarfte Zuschauer mag sich gefragt haben, warum er davon noch nichts gehört hat? Zumal jetzt auf einmal ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss von der Opposition gefordert wird. Das musste wohl sein, damit die Heute-Redakteure endlich das Thema aufgreifen. Die CDU kritisiert in dem Beitrag, dass die Berechnungen der Regierung zum neuen Gebäudeenergiegesetz (GEG) falsch seien und überspitzt gesagt ein Familienclan über die Zukunft der deutschen Heizenergie entscheide.
Und das ist das eigentliche Thema: Die Gesetzgebung, deren Folgen für die Bürger enorm sein werden, sofern das neue GEG in der bisherigen Form verabschiedet wird. Zwei Mitarbeiter der Linksfraktion haben sie Anfang der Woche im Cicero zusammengefasst. Sie sprechen von gerade einmal 1,4 Prozent weniger CO2-Ausstoß und von Habecks „Harakiri“.
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Bei der Förderung wird der Ottonormalverbraucher so behandelt wie der Villenbesitzer. Beide bekommen genauso viele Fördereuro – was für eine Ungerechtigkeit einer Regierung mit zwei vermeintlich linken Parteien! Für viele Bürger bedeutet das Heizungsgesetz eine beispiellose Wohlstandsvernichtung, da sie auf mindestens der Hälfte der Kosten sitzen bleiben. Wir reden hier über Geld, das die meisten nicht haben. Die übergriffige Politik der Ampel ist ein Anschlag auf die Mittelschicht. Für Mieter könnte das Heizungsgesetz zu einem historischen Mietpreistreiber werden. (Cicero, 1.5.23)
Lassen wir diese Kritik erst einmal so stehen. Der Artikel enthält einiges mehr, was es zu bedenken gilt. Das Thema ist wichtig und wir werden es sicher wieder aufgreifen. Und auch schauen, wie es mit der Personalie weitergeht, an der so vieles zu hängen scheint. Die Medienrundschau ist für heute an ihren Schluss gekommen. Bleiben Sie uns gewogen, bilden Sie sich Ihre eigene Meinung und schauen Sie wieder vorbei. Gerne können Sie uns auch schreiben an redaktion@hintergrund.de.