Der Milliardär und die Meinungsfreiheit
Twitter gehört jetzt Elon Musk. Und im Mainstream geht die Angst vor Hass und Hetze um. Schließlich hat Musk angekündigt, dass künftig auf Twitter weniger gemaßregelt werden soll. Der Milliardär gibt sich als Kämpfer für die Meinungsfreiheit. Was ist dran an der großen Übernahme und wird Twitter besser oder nur anders? Die Hintergrund-Medienrundschau vom 4. November 2022.
„Der Vogel ist befreit.“ Das twitterte der neue Chef nach der teuren Übernahme des Zwitscherportals. Jetzt hat Elon Musk also einen Vogel. Wortwitze gab es einige rund um die Übernahme von Twitter. Witze über ein Milliardengeschäft, das wahlweise die Meinungsfreiheit – zumindest die auf Twitter – wiederherstellt oder erst in Gefahr bringt. Der reichste Mensch der Welt und die freie Rede. Nun ja. Wir sind da skeptisch. Und gleichzeitig schauen wir mit Befremden auf die Reaktionen derer, die durch Musks Übernahme die Rückkehr der Hassrede fürchten. Rückkehr?
SPD-Co-Chefin Saskia Esken verlässt den Dienst, kritisiert in der Zeit das Geschäft von Musk sowie das digitale Business in Gänze und fordert, dass „wir“ uns das Internet zurückholen sollen.
Die Ökonomie von Aufmerksamkeit und Empörung, wie wir sie heute in den sozialen Medien erleben, beschädigt unsere politische Kultur. Hass und Hetze bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt, Kampagnen zur Desinformation und Manipulation der öffentlichen Meinung gefährden unsere Demokratie. (Zeit, 27.10.22)
Ja, liebe Saskia Esken, wie war das noch mit den „Covidioten“, von denen Sie damals am 1. August 2020 auf, ja natürlich, Twitter gesprochen hatten (Twitter, 1.8.20)? Meinen Sie das mit Hass und Hetze, die unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen? Ach nein, wenn die richtige Seite hetzt, gilt das als sachlich. Und folgerichtig wurde es von Twitter auch nicht verbannt. Wie so vieles von dem, was gegen Ungeimpfte oder wahlweise Kritiker der Ukraine-Unterstützung in der vergangenen Zeit getwittert wurde. Allein der Kanal von Ex-Botschafter Melnyk erweist sich als geschütztes Biotop für Hass und Hetze – aus der Sicht des Mainstream eben gegen die Richtigen. Ganz nebenbei, weil wir es weit oben im Artikel unterbringen wollen, auch wenn es nur sehr allgemein zum Thema passt: Wir machen da übrigens auch wieder mit. Seit dieser Woche „bespielen“ wir aufs Neue unseren Twitter-Account. Und freuen uns über Sie als Follower. Mit Elon Musk hat die Reaktivierung übrigens nichts zu tun.
Zurück zu Esken und ihrer Kritik. Das, was sie kritisiert, ist Teil der Doppelmoral der herrschenden Eliten. Meinungsfreiheit ist in Ordnung, aber nur in einem begrenzten Korridor. Wer den verlässt, wird ausgesperrt. Dumm ist nur, wenn jemand daherkommt, in diesem Fall noch dazu ein prominenter Multimilliardär, der eine andere Agenda als man selbst vertritt. Vielleicht auch andere Meinungen zulässt, die man selbst nicht teilt und bei denen es so bequem wäre, wenn sie ohne großes Getöse verschwänden. Denn so einfach, wie sich eine Saskia Esken die Welt vorstellt, ist sie eben nicht. Wer bestimmt denn, was Hass und Hetze sind, was Falschinformationen? Erinnern wir uns an die Faktenchecker, ihre Netzwerke und ihre Finanziers – in diesem Fall die Europäische Union – die Thema der Medienrundschau in der vergangenen Woche waren (Hintergrund, 28.10.22).
Wenn es um Politik geht, geht es nicht nur bei den Faktencheckern um Interessen. Ein Beispiel: Der Artikel der New York Post über Hunter Bidens Laptop war einer der Aufreger im US-Präsidentschaftswahlkampf vor zwei Jahren. Nun, so ganz ohne Getöse blieb die Geschichte nicht, aber der Artikel verschwand bei Twitter und Facebook. Eine aktuelle Recherche hat dies noch einmal in Erinnerung gerufen. Die Kollegen von The Intercept haben Anfang dieser Woche in einem umfangreichen Bericht dargestellt (The Intercept, 31.10.22), wie das mit der Zensur auf Twitter geht – und wessen Interessen da vertreten werden bzw. wurden:
Die im Oktober 2020 veröffentlichte Geschichte über Hunter Biden, die den Tatsachen entsprach, wurde von seinem Vater Joe Biden und den meisten Mainstreammedien als „russische Desinformation“ bezeichnet, und der Bericht, der in der New York Post erschien, wurde sowohl auf Facebook als auch auf Twitter unterdrückt. Ein Dokument vom März soll zeigen, wie Dehmlow [Abteilungsleiterin bei der FBI für ausländischen Einflussnahme] den Twitter-Führungskräften erklärt, dass subversive Informationen in den sozialen Medien die Unterstützung für die US-Regierung untergraben könnten. (RT, 1.11.22)
Facebook-Chef Zuckerberg und der damalige Twitter-Chef Jack Dorsey haben die Entscheidung gegen die New York Post mittlerweile bedauert. Eine Entscheidung, die zugunsten eines Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gefallen war – eines Kandidaten, der den beiden nahestand. Das heutige Bedauern klingt hohl, ist die Wahl doch längst Geschichte. Ob Vergleichbares unter Musk auch passieren kann? Vielleicht in die andere Richtung? Wir werden es sehen.
Musk will nun also auf Twitter weniger löschen lassen, erste Schritte in die Richtung sollen bereits unternommen worden sein (Berliner Zeitung, 1.11.22). Gleichzeitig soll die Plattform aber kein Ort des Grauens sein, stellte Musk vergangene Woche mit Blick auf die Werbetreibenden fest. Twitter müsse „warm und einladend für alle“ sein, zitiert ihn n-tv (n-tv, 27.10.22). Warm und einladend? Nun ja. FAZ-Kommentator Simon Strauss schreibt über Musk, dass dieser die Gesellschaft als einen Gemischtwarenladen betrachte, „in dem die unterschiedlichsten Meinungen wie Produkte nebeneinander um Aufmerksamkeit konkurrieren sollen“. Das heiße,
dass er die Existenz von Extremisten nicht grundsätzlich für verfassungsfeindlich hält, sondern darauf vertraut, dass der Markt ihren Einfluss durch das Gegengewicht von moderaten Anschauungen ausgleicht. Mit diesem libertären Urvertrauen ausgestattet, hat Musk jetzt das am stärksten strukturierende Netzwerk unserer im Wandel begriffenen Öffentlichkeit übernommen. (FAZ, 28.10.22, Bezahlschranke)
Ob Musk diese Vorstellung nun hegt oder nicht: Wir halten eine wirkliche freie Rede im Kapitalismus für eine Illusion. Wenn sie sich wie alles andere auf dem Markt beweisen muss, setzen sich wie stets die Reichen mit ihrem Geld durch. Das ist eine Binsenweisheit, die Musk auf Twitter selbst bestätigt. Seine Tweets sind keineswegs besonders originell, auch nicht hintergründig oder informativ. Aber sie werden gelesen, geliked und geteilt, weil sie von ihm sind. Vom reichsten Menschen der Welt. Geld regiert die Welt und natürlich auch Twitter. Der Mensch mit dem größten „Vermögen“ beherrscht nun das Lieblingsspielzeug der Medienmacher und der Prominenten – so könnte man das „am stärksten strukturierende Netzwerk“ (FAZ-Kommentator Strauss) auch beschreiben. Friedrich Küppersbusch stellt fest:
Elon Musk ist das personifizierte Fragezeichen, warum ein System, das erfunden wurde, um die absolute Macht Einzelner zu brechen einen absolut mächtigen Einzelnen produziert. (Küppersbusch TV, 1.11.22)
Wir sind also sehr weit davon entfernt, die Übernahme von Twitter durch Musk zu feiern. Uns geht es an dieser Stelle – wir haben es bereits deutlich gemacht – um die Doppelstandards von Personen wie Saskia Esken. Menschen, die jene kritisieren, die anderer Meinung sind als sie selbst und die daraus scheinbare Grundsatzdiskussionen machen. Der Journalist Tobias Riegel hat bereits im April, als die Übernahme von Twitter durch Elon Musk erstmals breit diskutiert wurde, auf diese Doppelstandards hingewiesen:
Wenn nun manche Medien bei Musk betonen, „der reichste Mann der Welt“ wolle durch eine „feindliche Übernahme“ nur „noch mehr“ Profit machen und diesen dann in Medienmacht umsetzen, so sind diese Befürchtungen wohl nicht ganz unbegründet – die Aussage ist aber mit viel Heuchelei verbunden: Den medial höchst aktiven Milliardären Jeff Bezos und Mark Zuckerberg wird dieser Vorwurf oft nicht in vergleichbarer Schärfe gemacht. (Nachdenkseiten, 19.4.22)
Nach vollzogener Übernahme formuliert Claudia Wangerin auf Telepolis eine ähnliche Position. Sie drückt ihre Verwunderung darüber aus, dass Twitter offenbar von einigen Kollegen im Mainstream als Leuchtturm der zivilisierten Debatte angesehen wird. Dies entnehme sie den Reaktionen auf Musks Übernahme.
Darf der das? – Diese Frage stellen sich momentan viele, die bisher kein grundsätzliches Problem damit hatten, dass Großkapitalisten so etwas können und dürfen. Sie haben sich nur bisher auf das Prinzip des gerechten Königs verlassen. Twitter war schließlich nie öffentlich-rechtlich und wurde nicht privatisiert. […] Aus anderer Sicht hat mit ihm die „falsche“ Kapitalfraktion das Ruder übernommen. Die stellvertretende ZDF-Chefredakteurin Anne Gellinek befürchtet, Musk könne „die Grenzen des Sagbaren“ erweitern. (Telepolis, 1.11.22)
Wir kommen gleich noch kurz auf die „falsche“ Fraktion auch in einer anderen Frage zurück. Zunächst weisen wir noch auf einen ähnlich gelagerten Kommentar aus der Berliner Zeitung hin. Federica Matteoni reagiert auf den laut verkündeten Weggang ihrer Kollegen von Twitter, die damit oft parallel Werbung für den Dienst Mastodon machten. Sie wird deutlich:
Droht Elon Musk mit zu viel Meinungsfreiheit, ist das der Grund, warum ihr alle geht, liebe Freunde? Es ist klar, euch geht es darum, dass rechte Hetze und Fake News auf Twitter nun ungehindert Einzug erhalten können. Aber während in den vergangenen Tagen der Hashtag #Mastodon trendete, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihr nur eure eigene Meinungsfreiheit behalten wollt, während die der anderen, die „schlechte“ Meinungsfreiheit, aus der öffentlichen Debatte verschwinden soll. (…) Soziale Medien waren nie ein von Widersprüchen befreiter „Safe Space“. Nichts gegen den Wunsch, unter sich zu bleiben. Aber das ist das Gegenteil von freier Debattenkultur, eher der narzisstische Wunsch nach Bestätigung, zu den „Guten“ zu gehören. Und das ist – neben Hetze und Fake News – eine der negativen Entwicklungen der vergangenen Jahre im Social Web. Ihr wollt alle zu Mastodon? Macht doch! Aber das geht auch ohne Drama. Bessere Menschen werdet ihr dadurch nicht. (Berliner Zeitung, 31.10.22)
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Da bleibt uns nicht mehr viel zu sagen. Stattdessen wollen wir noch einmal kurz auf einen anderen Aufreger aus dem Hause Musk hinweisen: Seinen Friedensplan für die Ukraine. Seine Vorschläge wurden als krude zurückgewiesen, sie wären aber interessant – auch wenn er kein öffentliches Mandat jenseits seines Milliardenvermögens hat (siehe oben und Telepolis, 13.10.22). Wir breiten das an dieser Stelle nicht weiter aus, sondern verweisen vielmehr auf eine umfangreiche Analyse von Peter Frey (Peds Ansichten, 31.10.22), der hinter Musks Überlegungen vor allem kommerzielle Interessen sieht. Was ja nun bei einem Milliardär nicht besonders verwundert.
Sind wir also gespannt, was mit Elon Musk und Twitter passiert. Bevor wir diese Medienrundschau beenden, möchten wir noch auf ein interessantes Gespräch bei Apolut hinweisen, bei dem es auch um Twitter bzw. die Nutzung des Dienstes durch Stefan Homburg geht. Auch wenn wir seine ökonomische Position nicht teilen: Das Gespräch haben wir sehr gerne gehört und legen es Ihnen auch ans Herz (Apolut, 24.10.22). Mit dieser Empfehlung für die anstehenden langen und dunklen Herbst- und Winterabende geht diese Medienrundschau zu Ende. Uns bleibt nur noch zu sagen: Bleiben Sie uns gewogen, bilden Sie sich Ihre eigene Meinung und schreiben Sie uns gerne, wenn Sie mögen, an redaktion@hintergrund.de.