Polen: Rechte Kräfte gewinnen Parlamentswahl
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Mit der Betonung sozialer Themen sowie dem Schüren von Ängsten gegenüber Flüchtlingen konnten die Nationalkonservativen den Wahlsieg erringen
Polen rückt politisch nach rechts: Bei der Parlamentswahl am Sonntag ist die nationalkonservative Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) klar stärkste Kraft geworden. Jüngsten Hochrechnungen zufolge stimmten 37,2 Prozent der Wähler für die Partei und ihre Spitzenkandidatin Beata Szydlo. Den Prognosen zufolge wird die PiS mit einer knappen Mehrheit alleine regieren können. „Dieser Sieg ist euer aller Verdienst“, sagte Szydlo vor jubelnden Anhängern.
Die liberalkonservative Bürgerplattform (PO) von Regierungschefin Ewa Kopacz kam danach lediglich auf 23,6 Prozent. Sie muss sich nach acht Jahren an der Regierung mit der Oppositionsrolle abfinden. Kopacz räumte am Abend ihre Niederlage ein – in ihrer Partei wurden Forderungen laut, sie möge den Vorsitz abgeben.
Im künftigen Parlament sind laut Prognosen fünf Parteien vertreten. Drittstärkste Partei ist demnach die konservative Bewegung Kukiz des ehemaligen Rockmusikers Pawel Kukiz, die 8,7 Prozent der Stimmen erhielt und auf 42 Abgeordnetensitze hoffen kann. Außerdem schafften die wirtschaftsliberale Partei Nowoczesna mit 7,7 Prozent und die Bauernpartei PSL mit 5,2 Prozent der Stimmen den Einzug ins Parlament. Die Linke hingegen ist erstmals seit dem Zusammenbruch des Sozialismus nicht im Abgeordnetenhaus vertreten.
„Der Sieg einer (einzigen) Partei ist in der polnischen Demokratie ungewöhnlich“, triumphierte PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczyński, der zugleich versprach, es werde „keine Rache geben, keine persönlichen Abrechnungen mit denen, die unterlagen“.
Nacht acht Jahren in der Opposition wird Kaczyński, zwischen 2006 bis 2007 bereits Ministerpräsident des Landes, nun wieder zum mächtigsten Mann Polens. Er strebt zwar keinen Regierungsposten im neuen Kabinett an, als unangefochtener Strippenzieher in der von ihm autoritär geführten Partei wird er in der neuen Regierung jedoch das Sagen haben.
Mit seiner polemisch-polarisierenden Art hatte sich Kaczyński als Regierungschef keine Freunde in Brüssel und Berlin gemacht. Seine EU-Skepsis begründet sich vor allem in seiner Auffassung, der Staatenbund diene zuvorderst Deutschlands Interessen. In vergangenen Wahlkämpfen hatte er immer wieder die antideutsche Karte ausgespielt.
So veröffentlichte er im Vorfeld der letzten Parlamentswahlen 2011 ein Buch, in dem er Berlin Großmachtstreben vorwarf und nebenbei Angela Merkel unterstellte, nur dank Unterstützung der Stasi zur Bundeskanzlerin gewählt worden zu sein.
Es sei noch zu früh, um abzuschätzen, inwieweit der Wahlsieg der Nationalkonservativen das gute Verhältnis zu Deutschland auf eine Probe stelle, kommentierte der Direktor des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt, Dieter Bingen, am Sonntag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur den Wahlausgang. Angesichts des Wahlsiegs der Partei des „außenpolitischen Bulldozers“ (Die Welt) könne es aber künftig schwieriger werden, gemeinsame Positionen mit Polen zu entwickeln, so Bingen.
Das polnische Nachrichtenportal Wpolityce, eines der meistgelesenen im Land, erwartet gar, „dass die medialen und finanziellen deutschen Ressourcen in Polen zur Zerstörung der neuen Regierung eingebracht werden“.
Auch das ohnehin bereits abgekühlte Verhältnis zum östlichen Nachbarn Russland dürfte sich mit dem Wahlsieg der Nationalkonservativen weiter verschlechtern. Als einer der ersten prominenten ausländischen Politiker hatte Kaczyński auf dem Maidan in Kiew zum Sturz der demokratisch gewählten ukrainischen Regierung unter Präsident Janukowitsch aufgerufen. Im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise und der sich daraus ergebenden Konfrontation mit Moskau beschwor er den Kampfgeist polnischer Soldaten, die bereit sein müssten, „sich für das Vaterland zu opfern“.
Erfolgsmischung: Ängste vor Flüchtlingen schüren und soziale Themen besetzen
PiS-Spitzenkandidatin Beata Szydlo gab sich bei ihren Wahlkampfveranstaltungen freundlich-sachlich und verzichtete auf die schrillen Töne, die die Partei-Anhänger von Kaczyński gewohnt sind – und mag damit neue Wählerschichten erreicht haben.
„Ich habe meine eigene Meinung“ war eine vielzitierte Aussage, mit der Szydlo im Wahlkampf Vorwürfen vorbeugen wollte, von ihrem Parteichef als Marionette ins Rennen um die Macht geschickt worden zu sein.
In der Betonung sozial- und wirtschaftspolitischer Themen wendete sich die Vize-Vorsitzende der PiS gegen die neoliberale Politik der Regierung. Die 52-Jährige versprach mehr finanzielle Hilfen für Familien und Rentner, mehr Unterstützung für Landwirte und ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für junge Polen.
Damit hatte sie den Nerv vieler Polen getroffen, in deren Geldbörsen sich die positiven Wirtschaftsdaten nicht widerspiegeln. Ihre Gegner werfen ihr leere – weil unbezahlbare – Versprechen vor. Die Pläne der designierten Regierungschefin würden schwerwiegende Folgen für die bisher stabilen Staatsfinanzen haben, kritisierten Vertreter der nunmehr abgewählten liberalkonservativen Regierung.
„Die Umsetzung angekündigter sozialer Wohltaten ohne Rücksicht auf Staatshaushalt und Konkurrenzfähigkeit Polens würde zu einer Destabilisierung führen, die den wirtschaftlichen Aufstieg Polens in den letzten Jahren stark gefährden würde“, meint auch der Direktor des Deutschen Polen-Instituts.
Bevor sich Szydlo bei den Parlamentswahlen am Sonntag behauptete, hatte sie sich bereits als Wahlkampfstrategin bewährt. Bei den Präsidentenwahlen im Mai leitete sie die Wahlkampagne des PiS-Kandidaten Andrzej Duda. Seinen Sieg hat er zu einem großen Teil ihr zu verdanken – auch Duda hatte vor allem auf soziale Themen gesetzt.
Wie andere rechte Parteien in Europa profitierte auch die PiS von der Flüchtlingskrise. Deren Auswirkungen sind zwar vergleichsweise gering, da Polen nicht an der Balkan-Route liegt, über die die Mehrzahl der Flüchtlinge in die EU gelangen will. Aber die vor einem Monat erfolgte Entscheidung von Premierministerin Kopacz, im Rahmen der EU-Quotenregelung siebentausend Menschen aufzunehmen, sorgte für scharfe Proteste.
Während auf den Straßen Nationalisten auf dutzenden Demonstrationen gegen die vermeintlich drohende Überfremdung protestierten – der Ausländeranteil in Polen liegt unter einem halben Prozent, dem niedrigsten Wert in der EU – nutzte auch die PiS die Gunst der Stunde, um gegen den Regierungsbeschluss zu polemisieren. Vertreter der betont religiös auftretenden Partei schüren dabei vor allem Ressentiments gegenüber Muslimen und wähnen sich als Verteidiger des christlichen Abendlandes.
So warnte Kaczyński vor „Scharia-Zonen“, sollten auch muslimische Flüchtlinge ins Land kommen. „Wir Polen wollen aber Herr im eigenen Haus bleiben“, zitiert Spiegel Online den Parteichef. Es seien die „Todfeinde“ Polens – eine Anspielung auf Deutschland – die das Land jetzt nötigen wollten, Muslime aufzunehmen. (1)
Flüchtlinge würden „allerlei Arten von Parasiten“ einschleppen, sagte Kaczyński während einer Rede im Endspurt des Wahlkampfs, aus dem er sich lange herausgehalten hatte. Auch Präsident Andrzej Duda warnte vor „möglichen Epidemien“ infolge der Aufnahme von Flüchtlingen. (2)
Angesichts dieser Aussagen fragt sich nicht nur die Zeit, ob sich die PiS wirklich erneuert hat oder ob ein Rückfall in die Jahre 2006/2007 droht, als Kaczyński als Ministerpräsident „einen scharfen, nationalistischen Rechtskurs eingeschlagen, die Spaltung in der Gesellschaft vertieft und Polen innerhalb der EU in kürzester Zeit isoliert“ habe (3) – zumindest in der Flüchtlingsfrage wird Polens neue Regierung absehbar einen Konfrontationskurs gegenüber Brüssel fahren.
(mit dpa)
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Anmerkungen
(1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/polen-nur-christliche-fluechtlinge-sind-willkommen-a-1054743.html
(2) http://news.yahoo.com/migrants-may-bring-epidemics-warns-polish-president-171724958.html;_ylt=A0LEVj534iNWyBsAsfRjmolQ
(3) http://www.zeit.de/2015/43/polen-wahlen-jaroslaw-kaczynski-pis