„Das wäre echt eine Katastrophe“
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Mit dem Wahlsieg der Konservativen in Spanien brechen für die linken kommunalen „Regierungen des Wandels“ noch härtere Zeiten an
Die Wahlen am Sonntag in Spanien haben gezeigt, dass das Schüren von Ängsten vor einer möglichen Regierungsbeteiligung von Podemos ihre Wirkung auf das Wahlvolk nicht verfehlt hat. Bürgerliche Medien beschworen venezolanische Verhältnisse im Fall eines Wahlsieges der Linkspartei herauf. Auch die aktuelle Debatte um den Brexit und eine generelle Angst vor Veränderung haben wohl viele Spanier – entgegen den anderslautenden Umfragen im Vorfeld der Wahlen – davon abgehalten, ihr Kreuz beim Linksbündnis Unidos Podemos zu machen.
In repräsentativen Umfragen, die kurz nach der Schließung der Wahllokale am Sonntagabend erhoben wurden, lag das Linksbündnis vor den Sozialisten der PSOE und wäre damit als zweitstärkste Kraft in das Parlament eingezogen. Eine linke parlamentarische Mehrheit war für einen kurzen Moment greifbar. Die Auszählung der Stimmen zeitigte aber ein anderes Ergebnis. Die regierende konservative Volkspartei (PP) unter dem amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy errang einen klaren Sieg. Im Vergleich zu den letzten Wahlen im Dezember vergangenen Jahres konnte sie eine halbe Million Wählerstimmen zusätzlich auf sich vereinigen, was einem Zuwachs von vierzehn Abgeordneten im Parlament entspricht. Dennoch verfehlte die PP wie schon im Dezember die absolute Mehrheit und steht daher erneut vor der schwierigen Aufgabe, eine Koalition zu bilden. Damals hätten PSOE und Podemos zusammen mit anderen, kleineren linken Parteien eine Regierung mit absoluter Mehrheit bilden können, aber die PSOE weigerte sich. Im Parlament mit seinen 350 Sitzen haben nun nur noch die PP und die PSOE die Möglichkeit, mit zusammen 222 Abgeordneten eine Regierungskoalition zu bilden.
Obwohl Spanien zu den wichtigsten Wirtschaften Europas zählt, ist das Land schon seit über einem halben Jahr praktisch ohne Regierung. Die Wahlen vom 20. Dezember 2015 markierten jedoch ein klares Ende des traditionellen Zwei-Parteien-Systems. Seit den im Mai letzten Jahres abgehaltenen Kommunalwahlen verwalten von der Podemos geführte sogenannte „Regierungen des Wandels“ einige der wichtigsten Städte des Landes, darunter Madrid, Barcelona, Cádiz, A Coruña, Oviedo oder Zaragoza. Mit den sehr begrenzten Ressourcen, über die sie verfügen, versuchen sie, die desolate wirtschaftliche und soziale Situation zu ändern.
Wir trafen Laura Migorana, Sprecherin von Podemos in Cádiz, vor dem Rathaus am Platz „San Juan de Dios“. An der Fassade des öffentlichen Gebäudes hängt ein Transparent mit der Aufschrift: „Für ein Europa der offenen Türen: die Grenzen töten“.
Frage: Wovon leben die Menschen hier?
Laura Migorana: Vom Tourismus. Es gibt auch den Hafen und die Werften und Industrie, aber die werden immer mehr abgebaut. In der EU haben wir eine Rolle als Peripherie-Wirtschaft, die vor allem auf dem Dienstleistungssektor basiert. Wenn in den Werken hier immer noch gearbeitet wird, dann ist das dem anstrengenden Kampf der Arbeiter während der letzten Jahrzehnte zu verdanken.
Wir von Podemos wollen die Wirtschaft auch in diesem Sinne diversifizieren. Hier in den Werken von San Fernando zum Beispiel werden zu einem großen Teil militärische Güter hergestellt. Warum produzieren sie nicht Solaranlagen oder Windräder? Das würden wir begrüßen und fördern.
Was hat Podemos seitdem erreicht, nachdem die Partei hier vor rund einem Jahr die Wahlen gewonnen hat?
Zunächst war das Ergebnis auch für uns eine Überraschung. Es gab viele Menschen, die dachten, die PP würde hier für immer regieren. Während unserer Amtszeit konnten wir die öffentlichen Schulden der Stadt um zehn Millionen Euro reduzieren. Zuvor gab es Investitionen, die überhaupt keinen sozialen Nutzen hatten, wie beispielsweise eine unnötige Brücke, die rund zwei Millionen Euro kostete. Die Schulden sind eine unserer Hauptsorgen, weil wir im sozialen Bereich unterfinanziert sind. Aber eigentlich müsste viel mehr investiert werden, anstatt den Haushalt weiter zu reduzieren.
Wie ist die soziale Lage in Cadiz?
Unsere Stadt ist eine der ärmsten in Andalusien. Viele Jugendliche müssen ins Ausland abwandern. Es gibt sehr viele Obdachlose und vor allem sehr prekäre Arbeitsbedingungen. Wir brauchen eine Koordinierung mit anderen Rathäusern, weil diese die Institutionen sind, die einem helfen. Wenn die Menschen zwangsgeräumt werden müssen, wenden sie sich an das örtliche Rathaus und nicht an das Ministerium in Madrid. Die Rathäuser müssen die Kompetenzen und wirtschaftliche Ressourcen haben, die sie brauchen, damit die nötigsten Bedürfnisse der Menschen gedeckt werden können.
Welche Maßnahmen hat eure Regierung ergriffen, um der Armut zu entkommen?
Wir haben Speisen für Kinder im Sommer eingeführt. Während der Ferien bleiben die Schulen und die Kantinen ja geschlossen. Damit die Kinder aus sozial schwächeren Haushalten auch während dieser Zeit anständig versorgt werden, können deren Familien das Essen in bestimmten Schulen für sie abholen, die extra dafür geöffnet sind.
Zudem führen wir auch gerade eine Studie durch, um die energetische Effizienz in den öffentlichen Gebäuden zu prüfen. Wir haben die besten Voraussetzungen, um uns selbst mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Die Zentralregierung in Madrid legt uns dabei jedoch Steine in den Weg. Mit dieser Studie möchten wir sowohl gegen den Klimawandel kämpfen, als auch Kosten sparen. Wir machen jede Woche einen Workshop mit Einwohnern in jedem Viertel, bei dem ihnen gezeigt wird, wie sie Strom sparen können.
Eines der größten Probleme in ganz Spanien sind immer noch die Zwangsräumungen, macht ihr auch etwas dagegen?
Wir haben ein Protokoll gegen Zwangsräumungen eingeführt. Es ist eine Vereinbarung mit der Justiz, die vorsieht, dass wir immer vorab informiert werden, wenn eine Zwangsräumung ansteht. Und jetzt haben wir das Programm „Gerechte Miete“ ins Leben gerufen. Wir arbeiten dabei mit den Mietern zusammen und fördern sie, damit sie beispielsweise Wohnungen renovieren können.
Wir haben viele kleine Sachen gemacht, unseren begrenzten Kompetenzen und Ressourcen entsprechend. Aber wir brauchen einen tieferen politischen Wandel. Unsere Priorität im Rathaus muss sein, dass wir zuerst die Bedürfnisse der Menschen bedienen, und nicht die Schuldenansprüche. Daher wäre es sehr wichtig, den Artikel 135 der Verfassung abzuschaffen, der eine Schuldenbremse festschreibt. Dafür brauchen wir aber eine Regierung, die das auch umsetzt.
Wäre ein Koalition mit der PSOE denkbar?
Wir möchten uns mit der PSOE verständigen, weil sie in Andalusien regiert, seit es hierzulande eine Demokratie gibt. Das Problem ist, dass sie viele der Kürzungen selbst eingeführt hat. Zum Beispiel ist sie verantwortlich dafür, dass die Gesundheitszentren in den ländlichen Dörfern, wo viele alte Menschen leben, jetzt nachmittags geschlossen bleiben. Aber natürlich haben wir noch die Hoffnung, dass sich die PSOE verändert.
Was würde passieren, wenn Unidos Podemos nicht an die Macht kommt? Wie schwierig stellt sich dann die Aufgabe für eine linke Stadt-Regierung dar?
Wir würden sehr darunter leiden. Die Menschen würden denken, ‚wir haben sie gewählt, aber sie tun nichts‘. Angesichts der Gesetzesvorgaben aus Madrid ist es verdammt schwer, unsere Aufgabe als Gemeinde zu erfüllen. Mit einer erneut von der PP geführten Regierung wird unser Haushalt vielleicht noch weiter gekürzt. Das wäre echt eine Katastrophe.
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Das Gespräch wurde einige Stunden vor der Bekanntgabe der Wahlergebnisse geführt. Die Stimmung nach der Auszählung war bei der Podemos-Wahlveranstaltung am Strand von La Caleta entsprechend traurig.
Alle Fotos: © Carmela Negrete