Wir Wegschauer: Ein Land im Bann der Kollektivscham
Milosz Matuschek kommentiert die ausbleibende Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen in Deutschland. Er sieht eine neue Schweigespirale am Werk und zieht Parallelen zur Geschichte. Der prototypische Diskurs im Sinne von Habermas, der für die Demokratie konstituierend sein soll, bleibe aus.
Im Reich der Lüge ist das Aussprechen der Wahrheit der eigentliche Verrat. Den neuen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ haben wir jetzt als Folge. Eine Mehrheit traut sich gar nicht mehr mit der eigenen Ansicht an die Öffentlichkeit, es folgt ein Rückzug ins Private, in die Echokammer des Stammtisches oder in die Schweigespirale und Vereinsamung. Diese Entwicklung kann nicht richtig sein, wenn man zugleich eine lebhafte Demokratie haben will. Entweder existiert diese, weil sie mit Leben gefüllt wird, oder sie steht schon längst zur Disposition. Dass der demokratische Prozess zunehmend oligarchisiert ist, mit einem verkrusteten Parteienapparat und einer De-facto-Elite an der Macht, konnte man schon 1966 bei dem Philosophen Karl Jaspers lesen, in seiner Streitschrift „Wohin treibt die Bundesrepublik?“. Das Buch wurde zum viel diskutierten Bestseller. Im besten Deutschland aller Zeiten sind solche Ideen allenfalls nicht satisfaktionsfähige Querdenkerliteratur.