Alles Terror oder was?

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Proteste gegen weiteren Datenaustausch mit den USA.

Von HELMUT LORSCHEID, 17. Juni 2008:

Es klingt so harmlos und gleichzeitig vernünftig – „Abkommen über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität“. (1)

Wer hat schon etwas gegen die Bekämpfung von Kriminalität und erst recht von „schwerwiegender“?

Doch in dem Abkommen geht es nicht wirklich um die Ahndung oder Verfolgung der Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen, nicht um die Verfolgung und Aufklärung von Massenmord, das Auffinden von Folterlagern und Geheimgefängnissen, nicht um die Bekämpfung eines Regimes, welches mit großer staatlicher und gleichfalls krimineller Energie die Bürger anderer Länder entführt und für Monate und gar Jahre in Eisenkäfige sperrt. Es geht nicht um die Ächtung eines Regimes, in dessen illegalen Lagern systematisch und mit ausdrücklicher Zustimmung des Präsidenten gefoltert wird, in dessen Auftrag Privatfirmen in fremden Ländern mehr oder weniger wahllos zufällig angetroffene Männer, Frauen und Kinder ermorden und dessen Regierung mit anderen Regierungen zwischenstaatliche Verträge extra dafür abschließt, damit diese Mörder Immunität an den Orten ihres Verbrechens genießen. Nein, um all dies geht es nicht, kann es auch nicht gehen, denn Vertragspartner der deutschen Bundesregierung ist die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Den Rahmen für diesen Datenabgleich bildet einmal mehr „die Bekämpfung des Terrorismus“. Wer oder was genau gemeint ist bleibt offen und damit interpretationsfähig.

Bundesregierung hofft auf Nachahmer in Europa

Zu Beginn des Vertragstextes werden zunächst einführende Feststellungen und Absichten formuliert. So zum Beispiel, dass die Vertragspartner auf Nachahmer innerhalb der Europäischen Union hoffen. Im Text heißt es wörtlich:

„Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika

– in dem Bestreben, durch partnerschaftliche Zusammenarbeit schwerwiegende Kriminalität, insbesondere den Terrorismus, wirksamer zu bekämpfen,

– in dem Bewusstsein, dass der Austausch von Informationen ein wesentlicher Faktor bei der Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität, insbesondere Terrorismus ist,

.in Anerkennung der Bedeutung der Verhütung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität, insbesondere des Terrorismus, bei gleichzeitiger Achtung der Grundrechte und -freiheiten, insbesondere des Schutzes der Privatsphäre,

dem Beispiel des Vertrags von Prüm über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit folgend,

in der Erwartung, dass die Vereinigten Staaten von Amerika und andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union dieses Abkommen als Beispiel für vergleichbare Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und diesen anderen Mitgliedstaaten ansehen könnten,

in dem Bestreben, die Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien im Geist der transatlantischen Partnerschaft zu verstärken und zu stimulieren,

sind wie folgt übereingekommen (…)  (1)

Es folgt Artikel 1 des Abkommens, in dem Begriffsbestimmungen festgeschrieben werden. Ausgetauscht werden sollen so etwa DNA-Profile, so genannte DNA Identifizierungsmuster sowie Fundstellendatensätze und unterschiedliche personenbezogene Daten.

Gegenanträge von FDP und Grünen

Bei der ersten Beratung im Deutschen Bundestag kritisierten Abgeordnete aller Oppositionsparteien das Abkommen. Anlass zur Kritik bot für alle drei Oppositionsfraktionen die Art des Zustandekommens dieses Vertrags ohne ausreichende Einbeziehung des Bundestages, der mangelnde Datenschutz in den USA sowie insbesondere der Artikel 12 des Abkommens, der die „Übermittlung von personenbezogenen Daten besonderer Kategorien“ regelt. Dort heißt es wörtlich: „Personenbezogene Daten, aus denen die Rasse oder ethnische Herkunft, politische Anschauungen, religiöse oder sonstige Überzeugungen oder die Mitgliedschaft in Gewerkschaften hervorgeht oder die die Gesundheit und das Sexualleben betreffen, dürfen zur Verfügung gestellt werden, wenn sie für die Zwecke dieses Abkommens besonders relevant sind.“ (1)

Die FDP-Fraktion forderte die Bundesregierung auf, „dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages einen Bericht vorzulegen, auf welcher Rechtsgrundlage die Daten gemäß Artikel 12 des Abkommens in Deutschland gesammelt werden, wo sie gespeichert werden und welche Stellen hierauf Zugriff nehmen werden.“

Außerdem beantragte die FDP dem Abkommen eine gemeinsame Definition terroristischer Straftaten bzw. schwerwiegender Kriminalität als Voraussetzung für den Austausch bzw. den Zugriff auf personenbezogene Daten zugrunde zu legen…“ (2)

In der Bundestagsdebatte zitierte die FDP-Abgeordnete Gisela Piltz (3) den europäischen Datenschutzbeauftragten Peter Hustinx, der bereits das Vorantreiben der EU-weiten Ausdehnung des Prümer Vertrages als „Albtraum“ bezeichnet hatte, weil die mit dem Prümer Vertrag verknüpften Datenschutzbestimmungen ein „kompliziertes Flickwerk“ seien. Der Prümer Vertrag, so die Liberale, sei damit „alles andere als ein gutes Vorbild“. Die Bundesregierung gehe aber nun sogar einen Schritt weiter und handele ein Sicherheitsabkommen mit den USA zum Austausch  von Daten aus, „ohne sich wenigstens an diesen zugegebenermaßen flickwerkartigen Datenschutzbestimmungen zu orientieren.“ Das verkaufe die Bundesregierung dann auch noch als politischen Erfolg. Dabei sei der Prümer Vertrag selbst in Europa bis heute nicht umgesetzt und eine Evaluierung gebe es auch nicht.

Frau Piltz fährt fort: „Wer sensible Daten wie die politische, religiöse oder sonstige Überzeugung, die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft, die sexuelle Einstellung und Gesundheitsdaten übermitteln will, ohne dabei Begriffe wie Terrorismus und Kriminalität ausreichend zu definieren, muss sich schon fragen lassen, wo sein Grundrechts- und Bürgerrechtsverständnis geblieben sei.“

Frau Piltz problematisierte auch die Tatsache, dass „in den USA polizeiliche Daten über Jahrzehnte gespeichert werden: bis zu 99 Jahre“. (3)

Nach Auffassung der Grünen brüskiert die Bundesregierung mit dem Abkommen die anderen EU-Staaten. Im Grünen-Antrag heißt es dazu, die Bundesregierung hätte „ein solches Abkommen, dessen Ansatz der Datenverfügbarkeit dem europäischen Vertrag von Prüm ähnelt,  (…) nicht im Alleingang mit den USA abschließen dürfen. Die Bundesregierung verletzt die Solidarität der Mitgliedstaaten der EU (…). Ein solcher Alleingang untergräbt die Verhandlungsmacht der EU gegenüber den USA und führt für die Bürgerinnen und Bürger der EU zu Rechtsunsicherheit.“

Die Grünen bezweifeln in ihrem Antrag auch die Rechtmäßigkeit des von der Bundesregierung geschlossenen Vertrages: „Die Übermittlung bestimmter im Abkommen genannter Daten erscheint grundsätzlich unzulässig. Auch wenn sie besonderen Bedingungen unterliegt, ist nicht erkennbar, wie die Weitergabe von Daten etwa über politische Anschauungen, die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, die Gesundheit oder gar das Sexualleben zur Erreichung der Ziele des Abkommens beitragen kann. Diese Daten müssen von der Übermittlung ausgenommen bleiben.“ (4)

Den Einwand des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Dr. Christoph Bergner, Artikel 12 sei doch gerade wegen der besonderen Schutzwürdigkeit dieser Daten so formuliert worden, griff auch der SPD-Abgeordnete Wolfgang Gunkel auf und erklärte, diese Daten könnten nur dann „übermittelt werden, wenn sie relevant  und für die Ermittlungen von Bedeutung sind“. Dies wiederum veranlasste den Grünen Abgeordneten Wolfgang Wieland in seiner Rede zu der Entgegnung: “Was soll denn das? Werden denn sonst irrelevante Daten übermittelt? Wieland findet es unerträglich, dass es dem Vertrag zufolge „irgendwelchen Amtsleuten“ gestattet wird, Informationen über „sexuelle Orientierung, Gewerkschaftszugehörigkeit oder sonst etwas an die USA zu übermitteln.“

Terrorismus ist nicht definiert

In seiner Rede kritisierte der Bundestagsabgeordnete Jan Korte (Die Linke) „da es keine praktische, nachvollziehbare Definition von Terrorismus gibt – auch nicht in diesem Abkommen – ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Das ist das Hauptproblem.“ Korte problematisierte auch den in den USA üblichen Datenaustausch zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. Korte: „Wenn wir darüber diskutieren, dass diese Daten – das ist in den USA anders als in der Bundesrepublik – zum Beispiel an die CIA, die NSA, das FBI und was weiß ich welche Geheimdienste und Halbgeheimdienstes es inzwischen dort gibt, weitergegeben werden, dann würde mich interessieren, wie Sie in diesen Verhandlungen darauf hingewirkt haben, dass diese Daten nicht für eine Praxis genutzt werden, die wir nicht mit rechtstaatlichen Grundsätzen vereinbaren können, die aber in den USA seit 2001 gang und gäbe ist“.Darauf gab es in dieser Debatte noch keine Antwort.

Geheimdateien über Gewerkschaftsmitgliedschaft und Sexuelle Orientierung?

In der einige Tage nach der Bundestagsdebatte veröffentlichten Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion Die Linke versuchte die Bundesregierung nochmals, die Notwendigkeit der Übermittlung der besonders problematisierten Daten zu rechtfertigen: “Die Relevanz der Gewerkschaftszugehörigkeit einer Person für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist in besonderen Fällen nicht vollständig auszuschließen. Sie dürfte jedoch allenfalls in seltenen Ausnahmefällen eine Rolle spielen, beispielsweise, wenn Anschlagsplanungen gegen eine oder von einer Person bekannt geworden sind, zu deren Identität nur bestimmte Anhaltspunkte, darunter womöglich eine bestimmte Gewerkschaftsfunktion, vorliegen. Daten, die das Sexualleben betreffen, dürften ebenfalls nur äußerst selten von Relevanz sein. Es kann jedoch auch insoweit nicht von vornherein völlig ausgeschlossen werden, dass etwa relevante Informationen zum Umfeld eines Terrorverdächtigen auch Rückschlüsse auf das Sexualleben des Betreffenden zulassen.“(5)

Eine Antwort, die zu phantasievollen Spekulationen Anlass gibt. Gehen Schäubles Terrorschützer davon aus, dass es Fälle gibt, wo man praktisch über den vermeintlichen Terroristen nur weiß, dass er Mitglied einer bestimmten Gewerkschaft ist? Was soll diese Information zur Identifizierung einer Person beitragen? Es sei denn, Gewerkschaftsmitglieder und Anhänger bestimmter Sexualpraktiken werden, wie in grausamer Vorzeit, weiterhin heimlich erfasst. Nur eines ist sicher – vor diesem Innenminister ist keiner sicher.

 

Quellen

(1) Text des Abkommens vom 11. März 2008

(2) http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/090/1609094.pdf

(3) http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16166.pdf

(4) http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/093/1609360.pdf

(5) Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke

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(Die Antwort lag noch nicht als Drucksache vor.)

 

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