Startrampe oder Resterampe?

Wahl ohne Gegenkandidat – Ex-Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer wird neue RBB-Intendantin

Der skandalgeschüttelte öffentlich-rechtliche Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) hat sich eine neue Intendantin gewählt. Doch die Art und Weise, wie die frühere stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer auf diesen Posten kam, könnte durchaus zum nächsten Skandal führen. Denn die Wahl verlief nicht nur chaotisch, sondern hinterlässt auch mehr als einen schalen Beigeschmack.

1687173008

Ulrike Demmer wird neue Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg. Der Rundfunkrat wählte sie am Donnerstag (16.06.23).
© rbb/Thomas Ernst, Mehr Infos

Wenn neugewählte Chefs in ihren Dankesreden davon sprechen, dass das Unternehmen oder die Organisation, deren Spitze sie gerade erklommen haben, „auf einem guten Weg“ seien, sollte man hellhörig werden. Woher wollen die neuen Chefs das nach noch nicht einmal einem Tag an den Schalthebeln der Macht eigentlich wissen?

Vielleicht ist die frühere stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer schon zu lange auf den Korridoren der Mächtigen unterwegs gewesen, sodass ihr nur wenige Augenblicke nach ihrer Wahl die klassische Politikerphrase, sie sehe den RBB „auf einem guten Weg“, allzu schnell über die Lippen kam. 1 Vielleicht war sie aber auch schlicht entsetzt darüber, dass der Weg, auf dem sie zur dritten Intendantin des mit zwanzig Jahren vergleichsweise jungen RBB gewählt worden war, eher einem zwielichtigen Konklave des Mittelalters ähnelte. Bei dem kamen die Päpste angeblich nach göttlichem Willen, in Wahrheit aber nach vorher inszenierten Absprachen in ihre Ämter. Möglicherweise wollte Demmer einfach irgendetwas Positives sagen.

Denn weder ist die drittkleinste Anstalt der ARD „auf einem guten Weg“ noch waren der Weg, der zu dieser Intendantenwahl führte, geschweige denn die Wahl selbst gut.

Bereits das Auswahlverfahren für die Kandidaten wies Merkwürdigkeiten auf und erzürnte Teile der RBB-Belegschaft, die einigermaßen fassungslos miterleben musste, dass sich nicht nur Führungsgremien der Anstalt, sondern auch der brandenburgische SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke ungeniert in den Findungsprozess einmischten. Es endete dann in einem Wahlkrimi, der die schließlich Erwählte mehr beschädigte als ehrte, weil man sich irgendwann in einem Anfall von Zynismus nicht mehr gewundert hätte, wenn die mit Schimpf und Schande vom Hof gejagte Patricia Schlesinger sich für ihre alte Stelle beworben hätte. Derart absurd lief diese Intendantenwahl am Ende ab. Aber der Reihe nach.

Beinahe fünfzig Bewerbungen waren nach der Ausschreibung 2 eingegangen. Am Ende blieben die frühere stellvertretende Regierungssprecherin von Angela Merkel, Ulrike Demmer, die Chefredakteurin des Digitalbereiches von ARD-Aktuell, Juliane Leopold, und die frühere Vodafone-Managerin Heide Baumann übrig. „Übrigbleiben“ wurde sowieso ein herausstechendes Merkmal der peinlichen Genese dieser Intendantenwahl.

Denn auf der Strecke blieb auch die Interims-Intendantin Katrin Vernau, die in aller Eile vom WDR nach Berlin beordert worden war, um den Augiasstall RBB wenigstens schon mal gut durchzulüften, übel riechende Kadaver abtransportieren zu lassen und eine Inventur vorzunehmen. Nach übereinstimmender Ansicht von mit der Materie vertrauten Beobachtern hatte sie einen guten Job gemacht und sich damit für die dauerhafte Übernahme des Intendanten-Postens qualifiziert. Es ist unwahrscheinlich, dass Frau Vernau das nicht zu Ohren gekommen war.

Dennoch bewarb sie sich nicht, jedenfalls nicht innerhalb der Bewerbungsfrist. Als frühere Kanzlerin der Uni Ulm und Verwaltungsdirektorin des WDR kann vorausgesetzt werden, dass ihr der Begriff „Bewerbungsfrist“ und die rechtlichen Konsequenzen, die sich damit verbinden, besser vertraut sind als dem Durchschnitt. Warum sie also nicht die Gunst der Stunde für eine Bewerbung nutzte, wird vielleicht für immer ihr Geheimnis bleiben.

Inzwischen wird kolportiert, sie habe erwartet, dass man sie zur Kandidatur bitte. 3 Spätestens aber als der Rundfunkrat nach Ablauf der Bewerbungsfrist keine Anstalten machte, an ihrer Tür zu kratzen, hätten damit eigentlich alle Klarheiten beseitigt sein müssen. Dass sich Frau Vernau dann doch noch – nach Ablauf der Bewerbungsfrist – in einer Art huldvollen Geste dazu bereit erklärte, den Job machen zu wollen, zwingt förmlich dazu, an ihrer Ernsthaftigkeit zu zweifeln. Es muss gerade einem Verwaltungsprofi wie ihr klar gewesen sein, dass eine Nachnominierung zwar möglich ist, aber immer auch ein Prozessrisiko in sich birgt. Der Rundfunkrat jedenfalls hielt sich mit Erklärungsarien, die Nachnominierung abzulehnen, nicht lange auf. Aber dazu gleich noch mehr.

Naheliegend könnte deshalb ebenso gut sein, dass Katrin Vernau einfach keine Lust hatte, den RBB weitere fünf Jahre lang auch ganz offiziell zu führen. Zum einen, weil ihr im Rahmen ihres Feuerwehreinsatzes klar geworden sein könnte, dass sie beim RBB keine Rundfunkanstalt, sondern eine Sprengstofffabrik vorfand, in der haufenweise Pyromanen in Schlüsselpositionen angestellt waren und vielleicht immer noch sind. Außerdem hatte sie zuvor erlebt, wie geradezu unwillig sie auf ihren Interimsposten berufen worden war. Und das laute Schweigen der RBB-Gremien, ihr eine Kandidatur anzutragen, hatten wir schon erwähnt. Denkbar also, dass Katrin Vernau sich dachte, sie werde ihr Glück nicht überstrapazieren, sich am Ende vielleicht doch noch mit RBB-BSE zu infizieren, sondern stattdessen riskieren, als naiv angesehen zu werden.

Also fuhren drei Frauen im Kandidatenkarussell ihre Runden, als der RBB am 5. Juni 2023 das Trio der Öffentlichkeit präsentierte. Allerdings gab es im Sender und darüber hinaus durchaus ernsthafte und ernst zu nehmende Stimmen, die laut infrage stellten, ob der RBB schon wieder eine Frau an der Spitze haben müsse, erst recht, wenn die dafür in Betracht kommenden Kandidatinnen keine Begeisterungsstürme bei der Belegschaft auslösen. Der Personalrat und die Freienvertretung reagierten nämlich umgehend auf die Bekanntgabe der Findungskommission mit wütendem Protest darauf, dass Jan Weyrauch, Programmdirektor der kleinsten ARD-Anstalt Radio Bremen und offenbar der Liebling der beiden RBB-Gremien, vielleicht sogar der Belegschaft, von der Kandidatenliste verschwunden war. 4

Angeblich hatten sich Weyrauch und der RBB nicht auf den Umgang mit seiner Altersversorgung bei Radio Bremen einigen können und Weyrauch wollte wohl auch nicht nach Berlin umziehen, sodass er abwinkte. 5 Umso erstaunlicher war es dann, als drei Tage später, am 8. Juni 2023, der RBB verkündete, dass Jan Weyrauch wieder im Rennen sei. Der RBB-Flurfunk raunte allerdings, dass sich an den Wünschen und Prämissen Weyrauchs nichts geändert habe, was insofern interessant ist, als offenbar die Altersversorgung der kleinsten ARD-Anstalt besser zu sein scheint als die des RBB, vor allem aber, weil Interims-Intendantin Katrin Vernau vielleicht mit einigem Erstaunen zur Kenntnis nehmen musste, dass der Rundfunkrat Herrn Weyrauch zur erneuten Kandidatur einlud, sie aber definitiv nicht nachnominieren wollte. 6

Abgesehen von etwaigen rechtlichen Fragen, also ob ein Kandidat, der zuvor seine Bewerbung zurückgezogen hat, einfach einen Rückzieher vom Rückzieher machen kann, ließ dieser virtuelle Weyrauch-Rückwärts-Salto den Verdacht aufkommen, dass im Hintergrund vielleicht andere Überzeugungsarbeit geleistet hatten, um eine reine Frauenshow zu verhindern. Ob das der Grund für den dann folgenden Akt des Trauerspiels gewesen ist, wissen wir nicht.

Was wir wissen, ist, dass am 13. Juni 2023, drei Tage vor der Intendantenwahl, ein Brief bekannt wurde, den Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woikde angeblich oder tatsächlich schon am 8. Juni an den RBB-Verwaltungsrat adressiert hatte. In nicht mehr als acht Zeilen „bittet“ Woidke darum, dass bei der Intendantenwahl die Empfehlungen der Rechnungshöfe zur Deckelung des Gehaltes der wichtigsten Sender-Personalie beachtet werden, denn Berlin und Brandenburg würden in dem neuen Staatsvertrag das Salär eines RBB-Intendanten auf maximal 177 000 Euro jährlich festschreiben wollen. 7

Das Ergebnis dieser „Bitte“ war, dass noch am gleichen Tag Juliane Leopold ihre Kandidatur aufgab. 8 Sie wolle Platz machen für eine Kandidatin oder einen Kandidaten, deren oder dessen Angebot besser zu dieser aktuellen Situation beim RBB passe. In ihrer offiziellen Absage beschreibt sie diese „aktuelle Situation“ mit ihrem Eindruck, dass es offenbar im Funkhaus Kräfte gebe, die keine Veränderungen wollten. Das können wir weder beurteilen noch seriöserweise ausschließen. Genauso wenig, dass es sich beim gesamten Auswahl- und Wahlprozedere um einen Fall von abgekartetem Spiel gehandelt haben könnte, in dem fachliche Fragen eine eher untergeordnete Rolle spielten.

Denn nach Leopold vollführte einen Tag vor der Wahl Jan Weyrauch einen Rücktritt vom Rücktritt des Rücktritts. Er präsentierte dabei eine Begründung, die den Eindruck erweckte, er habe den RBB mit einem Wanderzirkus verwechselt, wo er sich als Pausenclown mit schlechten Witzen beworben hatte. Denn Weyrauch erklärte allen Ernstes, er wolle mit seinem nunmehr endgültigen Rückzug sicherstellen, dass sein Einkommensverzicht nicht auch zu Einbußen in den nachrangigen Einkommensgruppen des RBB führe. 9 Es ist nicht bekannt, ob lautes Schluchzen aus Dankbarkeit und Rührung aus den Liegenschaften der Sendeanstalt zu vernehmen war. Die einzige Begründung, die für Weyrauchs Entscheidung sprechen könnte wenn man nett mit ihm umgehen möchte , wäre, dass er erkannt hatte, ein RBB-Intendant müsse zukünftig permanent damit rechnen, Bittbriefe aus der Potsdamer Staatskanzlei zu erhalten. Und jeder weiß, wie schnell Bettelbriefe lästig werden können.

Blieben also nur noch Ulrike Demmer und Heide Baumann übrig, die am 16. Juni 2023 in Potsdam am Sitz des RBB-Rundfunkrates zur Wahl antraten, wobei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur die Spatzen von den Dächern pfiffen, dass offenbar eine ehemalige stellvertretende Regierungssprecherin mit exzellenten SPD-Kontakten von Politik und RBB-Gremien auserkoren worden war, dem Sender zukünftig zur Erleuchtung zu verhelfen. Alle Versuche der Belegschaftsvertretungen, den Wahlakt zu verhindern, schlugen fehl. In den ersten beiden Wahlgängen verfehlte Demmer das nötige Quorum. Frau Baumann wurde mit jeweils nur einer Stimme gedemütigt, weshalb schließlich auch sie ihre Kandidatur aufgab. 10

Also blieb am Ende nur noch Ulrike Demmer übrig, die als Hauptstadtbüro-Leiterin des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) gearbeitet hatte, bevor sie von SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel 2016 eingeladen worden war, als Abgesandte der Mitregierungspartei SPD stellvertretende Regierungssprecherin zu werden. So zumindest erzählte es Demmer nach ihrem Ausscheiden aus diesem Amt im Januar 2023. 11 Dass Gabriel sie anfragte, hatte eine innere Logik, denn das RND gehört de facto der SPD-Medienholding DDVG. Und dass Ulrike Demmer als Favoritin des RBB-Verwaltungsratschefs Benjamin Ehlers gehandelt wurde, was vor allem die Belegschaftsgremien des Senders empörte, könnte daran liegen, dass auch Ehlers SPD-Funktionär ist und bis vor kurzem noch stellvertretender Vorsitzender des Ortsverbandes Cottbus war, wo auch seine Anwaltskanzlei beheimatet ist. 12

Der Gipfel der Peinlichkeit war erreicht, als die nunmehr alleinige Kandidatin Ulrike Demmer im dritten Wahlgang dennoch nicht die erforderlichen Stimmen erhielt. Die Nerven lagen in diesem Augenblick blank. Dass die Personalratsvorsitzende Sabine Jauer im Rundfunkrat mit ihrer daraufhin erhobenen Forderung, ein neues Bewerbungsverfahren zu starten, scheiterte und ihr allen Ernstes auch noch vorgehalten wurde, sie sei eigentlich gar nicht wirklich legitimiert, wird laut vertraulichen Berichten aus der Rundfunkratssitzung vor allem dem „Wirken“ des gerade erst neugewählten Ratsmitglieds Raed Saleh, seines Zeichens Co-Vorsitzender der Berliner SPD, zugeschrieben. 13

Was dann geschah, wird entweder noch juristische Nachspiele haben oder aber dauerhaft als Makel an der neugewählten Intendantin haften. Denn im vierten Wahlgang verließ plötzlich ein Rundfunkratsmitglied die Sitzung, sodass die Stimmverhältnisse nunmehr für eine absolute Mehrheit Demmers ausreichten.

Die Stimmung bei der anschließenden Gratulation der Neugewählten war so frostig, dass man damit Eiswürfel schockfrieren gekonnt hätte. Ulrike Demmer blieb schon aus blanker Selbstachtung gar nichts anderes übrig, als in diesem Moment gute Miene zum bösen Spiel zu machen und dann den eingangs erwähnten Satz vom „guten Weg“ von sich zu geben, auf dem sich der RBB angeblich befinde. Mancher im Sender hat das vielleicht als Drohung verstanden.

Wie auch immer. Auch wenn Ulrike Demmer ihr ziemlich offenkundiger SPD-Stallgeruch noch Probleme bescheren dürfte und auch wenn sippenhaftähnliche Einwände keine Rolle spielen dürfen: Angesichts des Ausmaßes der familiären und privaten Verfilzungen, die in den Führungsetagen des RBB im Zuge der Schlesinger-Affäre bekannt wurden, wäre es vielleicht ein taktisch kluger Schachzug gewesen, unmissverständlich klarzustellen, ob und dass weder der RBB-Pressesprecher Justus Demmer noch die vom RBB in das ARD-Hörfunkstudio Mexico-Stadt entsandte Anne Demmer in irgendeinem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Ulrike Demmer stehen. Von anderen denkbaren Interessenkonflikten der frisch gewählten Intendantin zu RBB-Mitarbeitern nicht zu reden.

 

Quellen:

11https://www.stern.de/wirtschaft/die-boss/die-boss–ex-regierungssprecherin-ulrike-demmer-ueber-mehr-sichtbarkeit-von-frauen–33060166.html

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Medienkritik Kriegslügen und die Abkehr vom Journalismus
Nächster Artikel Editorial Heft 7/8 2023 Ukraine: Der Auftakt?