Auf Konfrontationskurs
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Die Spannungen im Südchinesischen Meer sind Ausdruck eines umfassenderen geopolitischen Konflikts zwischen den USA und China, der auch die EU in seinen Bann zieht
Der Streit um die Machtansprüche im Südchinesischen Meer überschattete den am Montag eröffneten zweitägigen strategischen und wirtschaftlichen Dialog (SED) zwischen China und den USA. Die Vereinigten Staaten warnten dabei Peking vor „einseitigen Aktionen“ in der Meeresregion. „Wir beziehen keine Position hinsichtlich der Ansprüche“, sagte US-Außenminister John Kerry. „Die einzige Position, die wir einnehmen, ist, dass dies nicht durch einseitige Aktionen gelöst werden sollte.“
China beansprucht etwa achtzig Prozent des rohstoffreichen Seegebiets, teils bis vor die Küsten der Nachbarstaaten Philippinen, Vietnam und anderer Länder. Zu deren Verdruss hatte China Ende 2014 damit begonnen, Inseln im Südchinesischen Meer durch künstliche Landgewinnung zu vergrößern, um dort Militäranlagen einzurichten. Die Inseln liegen an einer der wichtigsten Schiffshandelsrouten.
Die Spannungen um die Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer nehmen unverkennbar zu, auch wenn die chinesische Seite bemüht ist, diese herunterzuspielen. Differenzen zwischen beiden Ländern seien „ziemlich normal“, sagte Staats- und Parteichef Xi Jinping während des bilateralen Treffens. Auch Chinas Botschafter in den USA, Cui Tiankai, betonte die gemeinsamen Interessen und sagte, die Meeresregion dürfe nicht zum „Wettkampfplatz“ zwischen China und den USA werden.
Der Territorialstreit hatte bereits am Wochenende die Shangri-La-Dialog genannte asiatische Sicherheitskonferenz in Singapur dominiert, wo scharfe Gegensätze zwischen beiden Seiten deutlich wurden. So hatte US-Verteidigungsminister Ashton Carter am Samstag erklärt, man werde weitere Landaufschüttungen und Bauten auf umstrittenen Riffen nicht akzeptieren. „Dies würde dazu führen, dass die USA und andere Staaten in der Region handeln.“
Wie genau diese „Handlungen“ aussehen könnten, ließ der Verteidigungsminister offen. Carter erklärte aber, dass China als Folge zunehmend isoliert dastehen könnte. Die chinesischen Aktivitäten bezeichnete er als Provokationen, die die Stabilität der Region gefährdeten.
Peking erhebt gegenüber Washington denselben Vorwurf. Im Rahmen sogenannter „Freedom of Navigation“-Operationen (FONOPs) waren US-Kriegsschiffe in jüngster Zeit wiederholt nah an den von China beanspruchten Inseln vorbeigekreuzt oder auch mit Flugzeugen vorbeigeflogen.
Dass diese Operationen der Aufrechterhaltung der Freiheit der Navigation dienen, hält Peking für einen Vorwand. Denn diese sei niemals ein Problem gewesen und werde von China gewahrt, erklärte vor Tagen die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Hua Chunying. „Wir hoffen, dass bestimmte Länder aufhören, im Namen der Wahrung des Rechts auf Navigationsfreiheit die regionale Sicherheit und Stabilität zu stören.“
Von stabilen Verhältnissen kann dabei im Grunde nicht mehr die Rede sein. Nirgendwo auf der Welt sei die Gefahr für einen „versehentlichen Konflikt“ so groß wie im Südchinesischen Meer, heißt es in einem aktuellen Papier des Internationalen Instituts für strategische Studien (IISS), das den Shangri-La-Dialog ausrichtet. (1)
In der vom Auswärtigen Amt geförderten Studie wird der EU empfohlen, mittels eines satellitengestützten Überwachungssystem den von China vorangetriebenen Bau künstlicher Inseln „unparteiisch zu dokumentieren“, schließlich sei die Region von „fundamentalem strategischen Interesse“ für die Europäische Union – die Verfasserin der Studie, Sarah Raine, ist übrigens Mitarbeiterin der US-Stiftung German Marshall Fund of the United States (GMF), die sich der Förderung transatlantischer Beziehungen verschrieben hat.
„Schwenk nach Asien“
Auch wenn in der umstrittenen Region große Vorkommen von Erdgas und Öl vermutet werden, so geht der Konflikt weit über die Frage nach dem Zugang zu Energieträgern „vor der eigenen Haustür“ hinaus. Im Wesentlichen ist er ein Ausdruck der Rivalität zwischen der aufstrebenden Weltmacht China und den Vereinigten Staaten, die ihre Rolle als unangefochtene Supermacht in einer unipolaren Weltordnung behaupten wollen – dem Konflikt kommt somit auch eine geopolitische Bedeutung zu.
In ihrem im Foreign Policy veröffentlichten Artikel America’s Pacific Century umriss die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton im Oktober 2011 die als „Schwenk nach Asien“ („Pivot to Asia“) bezeichnete Neuausrichtung der Außenpolitik, die verbunden ist mit einer Verlegung des Einsatzschwerpunktes des US-Militärs vom Großraum Naher Osten hin nach Asien. (2)
Die militärische Kooperation mit Ländern wie Japan, Vietnam, Australien und den Philippinen wurde seitdem von den USA ausgebaut und soll auch in Zukunft weiter intensiviert werden. Bis Ende des Jahrzehnts soll der Großteil der US-Marine in die pazifische Region verlegt werden.
In einem jüngsten Strategiedokument der US-Marine wird die „zunehmende Bedeutung der indo-asiatischen Pazifik-Region“ betont. Die von den Vereinigten Staaten forcierte Aufrüstung in den südostasiatischen Gewässern soll demnach „unsere Gegner daran hindern, die Weltmeere zu unserem Nachteil zu nutzen.“ „Die Fähigkeit, Operationen in entfernten internationalen Gewässern durchführen zu können, ist ein deutlicher Vorteil für die Vereinigten Staaten“, heißt es darin. (3)
In ungewohnter Offenheit skizierte Dr. Josef Braml, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Programms USA/Transatlantische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), vor gut einer Woche gegenüber Spiegel-Online Washingtons militärstrategisches Kalkül: „Die Amerikaner können die für China lebenswichtige Rohstoffzufuhr abdrücken, in der Straße von Hormus, in der Straße von Malakka durch Singapur, das mit den USA verbündet ist, in der Lombok- und Sundastraße über die Nordküste Australiens, mit dem man die Sicherheitsbeziehungen ausgebaut hat. Der ehemalige Schurkenstaat Myanmar wird im Eiltempo ‚demokratisiert‘, um bei Bedarf Chinas Pipeline-Verbindung zu unterbinden. China bleibt noch der Landweg aus Russland.“ (4)
Eurasische Integration kollidiert mit US-Interessen
Die militärische Einkreisung Chinas wird flankiert von wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die den Einfluss Pekings in der Region begrenzen sollen. Dafür steht vor allem das Freihandelsabkommen TPP (Transpazifische Partnerschaft), an dem neben den USA elf weitere Länder beteiligt sind, darunter Japan, Kanada, Australien, Vietnam, Chile und Peru – mit knapp vierzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Welt bilden die TPP-Staaten die gegenwärtig größte Freihandelszone der Welt.
Die in der Transpazifischen Partnerschaft zum Ausdruck kommende Hinwendung nach Asien „dient der Bestätigung der Rolle der Vereinigten Staaten als pazifischer Macht – und wendet sich somit natürlich gegen China, Amerikas weltpolitischen Konkurrenten im 21. Jahrhundert, dessen Macht und Einfluss in der Region und darüber hinaus wachsen“, beleuchtete die FAZ die Hintergründe des Freihandelsabkommens. (5) TPP sei der Versuch Washingtons, seinen Einfluss „in Asien zu sichern und die Machtstellung Chinas zu brechen“, merkte Die Zeit an. (6)
Besonders argwöhnisch verfolgt das Weiße Haus die Pläne Chinas, die eurasische Integration auf dem von Braml skizierten „Landweg“ voranzutreiben. Ganz oben auf der Agenda Pekings steht die Errichtung einer „neuen Seidenstraße“, einem bis nach Westeuropa reichenden Handelskorridor, an dem über sechzig Länder angeschlossen werden sollen, die knapp zwei Drittel der Weltbevölkerung stellen. (7)
In großem Umfang sollen dafür in den nächsten Jahren neue Eisenbahnstrecken, Straßen, Flug- und Tiefseehäfen sowie Pipelines entstehen. Für das gigantische Infrastrukturprojekt, mit dessen Realisierung China „endgültig zur Weltmacht“ aufsteige (Die Welt), hat Peking im November vergangenen Jahres einen vierzig Milliarden US-Dollar schweren Fond eingerichtet.
Zudem investieren chinesische Unternehmen verstärkt in die europäische Infrastruktur: Ob Häfen in Griechenland und den Niederlanden, Eisenbahnprojekte in Ungarn und Serbien, oder Regionalflughäfen in Deutschland (8) – all diese Investitionen befördern die wirtschaftliche Integration Eurasiens.
Ausdruck dieser Integration ist auch die vor einem Jahr – trotz des Widerstands Washingtons (9) – erfolgte Gründung der Asiatischen Infrastruktur und Investmentbank (AIIB). Die neue Infrastrukturbank bezeuge Chinas Willen, „sich auf Kosten der USA als wirklicher Chef des asiatisch-pazifischen Raums durchzusetzen“, kommentierte Le Monde anlässlich der Eröffnung.
Neben der wirtschaftlichen liegt auch die geo- und militärpolitische Bedeutung einer „neuen Seidenstraße“ auf der Hand: Je mehr Rohstoffe und andere Waren den Landweg nehmen, desto geringer das Droh- und Erpressungspotential der USA als maritimer Militärmacht, die die Weltmeere und damit die Handelswege kontrolliert.
In seinem 1997 veröffentlichten Buch Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft bezeichnete das Urgestein unter den US-Sicherheitsstrategen, Zbigniew Brzezinski, Eurasien als das „Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird“.
Die Verwirklichung der vom russischen Präsidenten Waldimir Putin umrissenen Vision einer „Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok“ würde die Position der USA auf dem „Schachbrett“ Eurasien bedenklich verschlechtern – zumindest vorerst ist es Washington gelungen, dieser Entwicklung durch die Instrumentalisierung der Ukraine-Krise einen Riegel vorzuschieben.
Moskaus ursprüngliche Pläne, eine Eurasische Wirtschaftsunion zu errichten, der auch die Ukraine angehören sollte, wurden von der damaligen Außenministerin Hillary Clinton im Dezember 2012 als ein „Schritt zur Re-Sowjetisierung der Region“ verurteilt. Man werde „effektive Wege finden, das zu verzögern oder zu verhindern“, so die Chefdiplomatin (10) – vierzehn Monate später hatte Washington seinen Wunschkandidaten Arsenij Jazenjuk in Kiew ins Amt des Ministerpräsidenten geputscht.
Das von Erfolg gekrönte Bemühen, einen Graben zwischen die EU und Russland zu ziehen, wird jedoch von einer für Washington ungünstigen Nebenwirkung begleitet: Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise und der vom Westen gegen Russland vollzogenen Sanktionspolitik sind Peking und Moskau näher zusammengerückt.
Die von den USA forcierte Isolation Moskaus wird durch das Seidenstraßen-Projekt, bei dem Russland beziehungsweise die Eurasische Union eine Schlüsselrolle spielen, zudem untergraben. Denn an Chinas Wirtschaftsmacht führt so leicht kein Weg vorbei. Mit umso größerer Genugtuung dürfte Washington zur Kenntnis nehmen, dass die Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem „Reich der Mitte“ gegenwärtig vor einer großen Belastungsprobe stehen.
Drohender Handelskrieg zwischen EU und China
Kern des Streits ist die Einstufung Chinas als Marktwirtschaft. Eine solche würde das Land vor teuren Anti-Dumping-Klagen schützen – also Beschwerden, dass es seine Waren unter Preis auf dem Weltmarkt anbietet.
In Artikel 15 des Vertrages für den Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) war China 2001 versprochen worden, fünfzehn Jahre später als Marktwirtschaft anerkannt zu werden. Die Volksrepublik besteht auf die termingerechte Erfüllung des Versprechens zum Jahresende. Nach Ansicht europäischer Juristen sei China in dieser Frage „rechtlich in einer guten Position“, so die Deutsche Presse-Agentur (dpa).
Dessen ungeachtet will die Bundesregierung China diesen Status verweigern. Gegenüber dem Spiegel plädierte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel am vergangenen Wochenende für einen harten Kurs gegenüber Peking. „China kann den Status einer Marktwirtschaft erst bekommen, wenn es sich auch so verhält“, sagte Gabriel.
Im Mai hatten sich die Abgeordneten des EU-Parlaments gegen eine Einstufung Chinas als Marktwirtschaft ausgesprochen. Zwar ist der Beschluss nicht bindend, doch braucht die EU-Kommission am Ende die Zustimmung der Parlamentarier, wollte sie der nach den USA zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt den Status einräumen.
Bei einer weiteren Verweigerung der vertraglich zugesicherten Einstufung drohe ein „ausgewachsener Handelskrieg“, kommentierte Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua vergangene Woche. Auch europäische Diplomaten warnen, dass beide Seiten auf einen „Handelskrieg zusteuern“. „Der Druck im Kessel steigt“, sagte ein EU-Diplomat gegenüber dpa. Unter der Hand drohe die chinesische Seite bereits mit Vergeltungsmaßnahmen gegen Unternehmen. „Es ist alles möglich“, meinte der Diplomat. Für den Fall der Fälle dürfte im Weißen Haus schon die eine oder andere Sektflasche auf Eis gelegt worden sein.
(mit dpa)
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Anmerkungen
(1) https://www.iiss.org/en/events/events/archive/2016-a3c2/june-4a2d/launch—a-road-map-to-strategic-relevance-98c1
(2) http://foreignpolicy.com/2011/10/11/americas-pacific-century/
(3) Siehe dazu: https://www.wsws.org/de/articles/2015/03/17/pivo-m17.html
(4) http://www.spiegel.de/politik/ausland/us-aussenpolitik-warum-amerika-russland-als-partner-umwerben-wird-a-1094427.html
(5) http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/asien/kommentar-von-klaus-dieter-frankenberger-zu-tpp-13840596.html
(6) http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-10/tpp-handelsabkommen-ausgehandelt
(7) Siehe dazu: http://www.welt.de/wirtschaft/article138941273/Mit-einer-neuen-Seidenstrasse-endgueltig-zur-Weltmacht.html
(8) Siehe dazu: https://deutsch.rt.com/wirtschaft/38712-strasse-von-peking-bis-dusseldorf/
(9) Siehe dazu: http://nationalinterest.org/feature/checkmate-chinas-new-bank-wins-over-us-allies-12506
(10) http://www.rferl.org/content/clinton-calls-eurasian-integration-effort-to-resovietize/24791921.html