Zerfall und Neuordnung im Nahen Osten
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Während der Irak zerfällt, hat sein Nachbar Syrien faktisch aufgehört, als eigenständiger Staat zu existieren – dank massiver Unterstützung von al-Qaida und anderen Dschihadisten durch den Westen und seine Partner –
Von SEBASTIAN RANGE, 12. Juni 2015 –
Eine vom Senat des US-Kongresses Mitte Mai verabschiedete Vorlage für den neuen Militäretat gibt Auskunft über die Prioritäten der US-Politik im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) und andere Terrorgruppen. Darin wird konstatiert, dass Organisationen wie der IS oder al-Qaida stärker sind, als je zuvor, und die von ihnen ausgehende Bedrohung ein „unakzeptables Niveau“ erreicht habe. Um die islamisch-extremistischen Gruppen zu besiegen, sei die Entwicklung einer „effektiven Strategie“ in Verbund „mit den Alliierten und Partnern“ vor Ort nötig, deren Unterstützung eine „entscheidende Rolle“ spiele. (1)
Dabei sind gerade die Verbündeten in der Region Teil des Problems, wie US-Vizepräsident Joe Biden vergangenen Herbst eingestand. Die „Türkei, Saudi-Arabien und die Emirate“ seien so entschlossen gewesen, Assad zu stürzen und einen „sunnitisch-schiitischen Stellvertreterkrieg zu starten“, dass sie Tausende Tonnen Waffen und dreistellige Millionenbeträge in die Aufständischen investiert hätten. „Nur dass die Leute, die sie ausgerüstet haben, al-Nusra und al-Qaida waren und die extremistischen Typen von Gotteskriegern, die aus allen Teilen der Welt kommen“, so der US-Vizepräsident. (2) Dennoch wird in der Gesetzesvorlage für den Militäretat mit dem schiitischen Iran ausgerechnet al-Qaidas Hauptfeind als einziger Staat genannt, der als „Sponsor von Terrorismus im Nahen Osten“ gilt. Das persische Land arbeite – ebenso wie Russland und China – „gegen US-Interessen im Nahen Osten“. Es sollten weiterhin Schritte unternommen werden, um „den schädlichen Einfluss des Irans im Irak, in Syrien, im Jemen und in der Region“ einzudämmen, so die Gesetzesvorlage.
Zu diesem Zweck bemächtigen sich die USA und ihre Verbündeten in den genannten Ländern seit Jahren sunnitischer Dschihadisten, wie ein vor Wochen bekannt gewordener Bericht des US-Militärgeheimdienstes DIA vom August 2012 belegt. Demnach wusste die US-Administration schon vor drei Jahren, dass al-Qaida innerhalb des Aufstands in Syrien die führende Rolle ausübt, und von „westlichen Ländern, den Golfstaaten und der Türkei“ dabei unterstützt wird, in Ost-Syrien ein „salafistisches Fürstentum“ zu etablieren. Denn das sei „genau das“, was die Fördermächte der Terrorgruppe wollten, um „das syrische Regime“ vom Iran und dem Irak „zu isolieren“. Die Entstehung eines sich über Syrien und den Irak erstreckenden „Islamischen Staates“ als Folge der Politik der US-Verbündeten wurde einschließlich solcher Details wie der Einnahme Mossuls und Ramadis durch die Terroristen zutreffend vom US-Geheimdienst prognostiziert. (3)
Buchautor und Nahost-Experte Jürgen Todenhöfer nannte das DIA-Papier ein „terroristisches Watergate“. Obwohl sie frühzeitig wussten, „wer wirklich in Syrien kämpft“, erzählten US-Präsident Obama und der Westen „das übliche Märchen“ von Freiheit und Demokratie, während sie „gezielt terroristische Organisationen“ unterstützten. „Deshalb planen die USA zur Zeit auch nicht, den ‚Islamischen Staat‘ völlig auszuschalten. Selbst wenn sie wüssten wie. Sie brauchen den IS noch. Iran würde ihnen sonst zu stark. So kämpfen sie mit angezogener Handbremse“, schreibt Todenhöfer. (4)
Washington fördert Dreiteilung des Irak
Die US-Regierung verbindet den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ stets mit dem Bemühen, Iran zu schwächen, und ordnet diesen jenem unter – auch unter dem Preis der Neuziehung staatlicher Grenzen im Nahen Osten. So sieht die Gesetzesvorlage zum Militäretat vor, der irakischen Regierung im Kampf gegen den IS Militärhilfe in Höhe von 750 Millionen US-Dollar zukommen zu lassen. Ein Viertel der Summe soll jedoch unter Umgehung Bagdads direkt an kurdische und sunnitische Kräfte fließen.
Der irakischen Zentralregierung wird auferlegt, diesen Minderheiten stärkeren Einfluss im Staat und seinen Sicherheitsorganen einzuräumen, die Unterstützung schiitischer Milizen – die sich als verlässlichste Kraft im Kampf gegen den IS erwiesen haben, jedoch von einem Großteil der Sunniten als Bedrohung betrachtet werden – zu beenden, und ein Gesetz zur Bildung einer „Irakisch-Sunnitischen Nationalgarde“ zu verabschieden. Andernfalls würden sechzig Prozent der Gelder an die kurdischen Peschmerga und die „Sicherheitskräfte“ der sunnitischen Stämme, bzw. der von ihnen zu bildenden Nationalgarde gehen. Diese Kräfte seien im Sinne des Waffenexportkontrollgesetzes als „geeignet“ anzusehen, um künftig direkt US-Militärgüter zu erhalten – womit sie praktisch als eigenständige Entitäten anerkannt wären. Ein Entwurf der Vorlage hatte entsprechend noch die Formulierung enthalten, diese gar als „Länder“ zu betrachten.
Konsequenterweise hat das Pentagon jüngst entschieden, bis zu eintausend weitere Militärausbilder in den Irak zu entsenden, die sich vor allem auf das Training sunnitischer Kämpfer konzentrieren sollen. Die von den USA unterstütze Bildung einer sunnitischen Nationalgarde würde „wahrscheinlich in einer Stärkung des Sektierertums resultieren und Rufe nach einer Aufteilung des Iraks anhand konfessioneller Linien bestärken“, lautet die Einschätzung der US-Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace. Eine solche Nationalgarde könnte zur Basis einer Armee eines zukünftigen sunnitischen Staates werden, „ähnlich der Art, wie die militärische Unterstützung der kurdischen Peschmerga die Aussicht auf ein unabhängiges Kurdistan“ bekräftigt. Letztlich könne dieser Schritt die Aufteilung des Iraks anhand konfessioneller und ethnischer Linien erleichtern, so der Think Tank. (5)
Entsprechend scharf verurteilen irakische Regierungsvertreter, Militärs und führende schiitische Geistliche die in der Gesetzesvorlage zum Ausdruck kommende Haltung der US-Administration. In einem Telefonat mit US-Vizepräsident Joe Biden kritisierte Iraks Ministerpräsident Haider al-Abadi den Plan, der darauf abziele, „die Einheit des Iraks zu schwächen“. (6) Biden hatte bereits 2006, damals noch in der Opposition, für eine „sanfte“ Dreiteilung des Iraks plädiert. Die drei Regionen – Kurdistan, „Sunnitistan“, „Schiitistan“ – sollten in seinen Plänen zwar keine eigenständigen Staaten bilden, sondern als autonome Regionen unter einer Zentralregierung verbleiben, jedoch eigenständige Sicherheitskräfte bilden – mit der Dreiteilung des staatlichen Gewaltmonopols wäre de-facto schon damals eingeläutet worden, was nun kaum noch abzuwenden erscheint: Das Ende des Iraks als einheitlicher Staat.
“Kreatives Chaos”- Frontlinien in Syrien |
Die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice sprach ihrerseits im Jahr 2006 davon, in der Region ein „kreatives Chaos“ zu säen, aus dem ein „Neuer Naher Osten“ hervorgehen solle – natürlich unter dem Deckmantel der Verbreitung der Demokratie. Mit der Invasion des Iraks drei Jahre zuvor hatte die US-Regierung einen entscheidenden Beitrag für das „kreative Chaos“ geleistet, aus dem heraus die Region neu zu ordnen ist. Was auch immer mit der Invasion – jenseits der Beseitigung nicht vorhandener Massenvernichtungswaffen – bezweckt wurde, das Ziel der US-Intervention bestand sicherlich nicht darin, einen starken Nationalstaat zu etablieren, der seine Interessen nach außen souverän wahrnehmen kann – ganz gleich, ob nach innen demokratisch ausgerichtet oder nicht. Was der Öffentlichkeit gerne als ein der Kurzsichtigkeit der US-Politik geschuldeter Fehler verkauft wird, – gemeint ist die nach der Invasion erfolgte Zerschlagung staatlicher Strukturen, die zur weiteren Destabilisierung des Iraks beitrug – könnte auch einem Kalkül geschuldet gewesen sein. Warum sonst würde man einen solchen „Fehler“ in Libyen und Syrien wiederholen?
Den spätestens seit Amtsantritt der Regierung von George W. Bush zur Jahrtausendwende in der US-Administration zirkulierenden Vorstellungen einer Neuaufteilung der Region ist gemein, die von den einstigen europäischen Kolonialmächten gezogenen Staatsgrenzen anhand konfessioneller und ethnischer Kriterien neu zu ziehen – wobei die dabei zum Vorschein kommende Methode des „Teile und Herrsche“ dem alten Kolonialdenken gleicht. Einen möglichen Verlauf solch neuer Grenzen in Syrien und im Irak zeichnete die New York Times vor zwei Jahren in einer Karte ein. (7) Im Norden beider Länder entstünde Kurdistan, an der Küstenregion Syriens ein sich bis zur Grenze Israels erstreckendes „Alawitistan“, ein ungefähr den gegenwärtigen Grenzen des „Islamischen Staates“ entsprechendes „Sunnitistan“ in Ostsyrien und dem Westirak sowie ein „Schiitistan“ im Süden Iraks.
Staatenbildung mit deutscher Hilfe
Die internationale Staatengemeinschaft sei „gut beraten“, sich „auf die Möglichkeit des Zerfalls des ‚failing states‘ Irak einzurichten“, heißt es in einem vor einem Monat veröffentlichten Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), das sich mit dem „Aufschwung kurdischer Politik“ beschäftigt. Es sei nicht ausgeschlossen, „dass sie bald Sorge dafür tragen muss, dass ein Teilungsprozess im Irak einvernehmlich und gewaltlos verläuft“. (8)
Der Bundesregierung wird empfohlen, nicht als „Bremser von nicht aufzuhaltenden Emanzipationsprozessen“ aufzutreten, sondern „die Akzeptanz eines Kurdenstaats im Irak und in den Nachbarstaaten zu fördern“, denn die „Schwäche der Nationalstaaten“ im Nahen Osten zwinge Europa zu einer neuen Kurdenpolitik, die sich „nicht mehr darauf beschränken“ dürfe, „die autoritäre Politik der Nationalstaaten gegenüber ihren kurdischen Minderheiten zu unterstützen“.
Auch wenn „die beiden kurdischen Akteursgruppen“ – gemeint sind die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihr syrischer Ableger Partei der Demokratischen Union (PYD) sowie die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) im Irak – die Stabilität des Iraks und der Türkei gefährden, „ein Zurück zur überkommenen staatlichen Ordnung“ werde es „mit Sicherheit“ nicht geben. „Denn die Dynamik, die das Staatensystem des Nahen Ostens erfasst hat und sie untergräbt, hält ungebrochen an.“
Dabei ist die SWP selbst Teil der Kräfte, die eben jene Dynamik vorantreiben. Auf die Außenpolitik der Bundesregierung übt die Stiftung maßgeblichen Einfluss aus, was laut einer Depesche der US-Botschaft insbesondere in der Syrien-Frage der Fall sei. (9) Dem arabischen Land widmet sie sich in der Arbeitsgruppe „Die Fragmentisierung Syriens“ unter der Leitung von Muriel Asseburg, die zuvor die 2012 gegründete und inzwischen aufgelöste Arbeitsgruppe „The Day After“ führte, die für die Zeit nach einem Sturz Assads plante. Die Neuausrichtung folgte der Einsicht, dass sich ganz Syrien auf absehbare Zeit nicht der Kontrolle der Assad-Regierung entreißen lassen wird, weshalb der Aufbau staatlicher Strukturen in den von den „Rebellen“ kontrollierten Gebieten vorangetrieben werden soll.
Asseburg schloss bereits vor drei Jahren jedwede friedliche Lösung des Konflikts aus, da die Gewalt in Syrien „nicht durch Verhandlungen, sondern nur durch den Sieg oder die Erschöpfung einer Seite beendet werden“ könne. Daher müsse die „internationale Gemeinschaft“ auf den „militärischen Sieg“ setzen. (10) Der Sturz Assads hat für die Stiftung nach wie vor oberste Priorität. Den mit dem Siegeszug des „Islamischen Staates“ aufkommenden Überlegungen im Westen, eine militärische Kooperation mit der syrischen Armee im Kampf gegen den IS einzugehen, erteilte der Syrien-Experte der Stiftung, Heiko Wimmen, zum Jahreswechsel eine Absage.
Die Ablehnung einer solchen „verhängnisvollen“ Allianz, die unweigerlich zu einer Stärkung der syrischen Armee beitragen würde, begründete er ausgerechnet mit deren Schwäche, die es zweifelhaft erscheinen lasse, „ob Assads Armee überhaupt in der Lage wäre, militärische Offensiven gegen die gut ausgerüsteten und effektiv organisierten Kämpfer des IS durchzuführen“.
Selbst wenn die Armee die vom IS gehaltenen Gebiete zurückerobern würde, würde das den Dschihadisten nur nutzen, da es ihr „Narrativ vom historischen Kampf gegen die ‚Verräter am wahren Glauben‘ eine weitere Dimension“ hinzufügen würde, so seine fragwürdige Begründung. Worum es dabei wirklich gehen dürfte, machte Wimmen anschließend klar: „Die schrittweise Rehabilitation des Assad-Regimes, auch wenn es sich heute nur noch auf einen Teil des syrischen Staatsgebiets beschränkt, würde einen großen strategischen Sieg für den Iran bedeuten.“ (11)
Die Stiftung kritisiert in einer Stellungnahme die im Westen aufkommende „Verengung des Fokus auf eine bloße Eindämmung des IS und anderer dschihadistischer Gruppierungen“, wodurch das Drängen auf den „Abtritt des Assad-Regime“ zunehmend als „bloßes Lippenbekenntnis“ erscheine. Stattdessen müssten „moderate Rebellen“ in ihrem Kampf zum Sturz Assads „substantielle Unterstützung“ erfahren. Wobei die Stiftung einräumen muss, dass deren „faktische Bedeutung“ in den letzten Monaten „weiter drastisch reduziert“ wurde. (12) Weshalb die von der SWP geforderte „Schaffung einer Flugverbotszone über ganz Syrien“ (13) vor allem al-Qaida und dem „Islamischen Staat“ zugutekommen würde, die den Großteil der Gebiete kontrollieren, gegen die die syrische Luftwaffe ihre Einsätze fliegt. Während die Türkei schon länger auf die Einrichtung einer Flugverbotszone drängt, wollen auch die Vereinigten Staaten laut der Vorlage zum US-Militäretat die „Wirksamkeit“ und die nötigen Voraussetzungen für eine Flugverbotszone prüfen.
Grünes Licht für al-Qaida
Drückte die eingangs zitierte Anmerkung von Joe Biden noch eine kritische Haltung der US-Regierung gegenüber der Kooperation der eigenen Verbündeten mit al-Qaida aus, so hat Washington inzwischen den einstweilen eventuell vorhandenen Widerstand aufgegeben, mit al-Qaida in Syrien faktisch eine Allianz einzugehen, wie die Ereignisse der letzten Monate in Syrien zeigen. Im Nordwesten Syriens gelang es der aus etwa zehntausend Kämpfern bestehenden „Armee der Eroberer“, die von der sich zu al-Qaida bekennenden al-Nusra-Front dominiert wird, während der letzten beiden Monate beträchtliche Geländegewinne in der Provinz Idlib zu erzielen und die gleichnamige Hauptstadt der Region einzunehmen. Die Unterstützung der Türkei spielte für den Siegeszug der Dschihadisten eine Schlüsselrolle. (14)
Militärische Erfolge durch Unterstützung aus Katar und der Türkei: Al-Nusra kann sich auf starke Partner verlassen |
Im Süden konnte die von Jordanien aus geführte „Südfront“ – ein Bündnis von Aufständischen einschließlich der al-Nusra-Front, in der die sogenannten moderaten Kräfte noch nicht völlig marginalisiert sind – am Dienstag den wichtigsten Militärstützpunkt der Provinz Dara einnehmen. An der Erstürmung sollen zweitausend Kämpfer beteiligt gewesen sein. „Die militärischen Erfolge der Rebellen“ seien „zu einem Großteil darauf zurückzuführen“, dass Saudi-Arabien, Katar und die Türkei deren „Unterstützung koordiniert haben und so auch zu einer gemeinsamen Strategie der Rebellengruppen“ beigetragen haben, bewertet die SWP die aktuelle Lage. (15)
Von den Vereinigten Staaten gelieferte Waffen spielten bei den jeweiligen Offensiven eine entscheidende Rolle, insbesondere moderne TOW-Panzerabwehrraketen. Videoaufnahmen deuten darauf hin, dass diese auch vom Islamischen Staat, dessen Nachschublinien über das NATO-Land Türkei verlaufen (16), bei der Eroberung der antiken Wüstenstadt Palmyra eingesetzt wurden. (17) Dort töteten die Dschihadisten anschließend hunderte Zivilisten, darunter Frauen und Kinder. (18) Zugutekam ihnen die Entscheidung der USA, die IS-Kämpfer nicht zu bombardieren, „wenn sie sich im Kampf mit Regierungstruppen befinden“. Die für die Erstürmung Palmyras notwendige Konzentration tausender Kämpfer war dem US-Militär sicherlich nicht verborgen geblieben, doch „jedwede Luftangriffe gegen IS-Kämpfer in und um Palmyra“ hätten Assad genutzt, erklärte die New York Times ihren Lesern Washingtons Prioritäten. (19)
Die SWP hatte in der Vergangenheit bereits bemängelt, dass die US-Luftangriffe IS-Kämpfer töten, die Assad „herausfordern“ könnten, und dadurch Syriens Machthaber „indirekt unterstützt“ werde. (20) Schließlich weiß die Stiftung um den wichtigen Beitrag, den der „Islamische Staat“ für die Umsturzpläne leistet: „Der Fall des Militärflughafens von Al-Tabqa Ende August 2014, bei dem Hunderte Regimesoldaten vom IS hingerichtet wurden, hat das Vertrauen in die Assad-Führung auch bei deren eigener Basis schwer erschüttert“. (21)
Israels Sicherheitslage: „Besser als je zuvor“
Was sich gegenwärtig in Syrien abspielt – die Einschleusung feindlicher Kämpfer über die Türkei und Jordanien für einen Stellvertreterkrieg – wurde bereits 1996 in einer Studie („A Clean Break“) empfohlen, die unter Leitung des US-Neokonservativen Richard Perle für die israelische Regierung angefertigt wurde. Neben einer Destabilisierung Syriens wurde darin auch die gewaltsame Entfernung Saddam Husseins von der Macht gefordert. Da einige der Autoren des Papiers „nun Schlüsselpositionen in Washington innehaben“, schrieb der Guardian im September 2002, nehme sich Israels Plan, „seine Feinde durch eine Neuordnung des Nahen Osten zu überwinden“, realistischer aus als noch 1996. (22) Ein halbes Jahr nach dieser Feststellung durch die britische Zeitung bombten die USA Saddam Hussein von der Macht und legten mit dem Einmarsch im Irak den Ausgangspunkt für jene Entwicklung, die einhergehend mit der Zerschlagung Libyens und Syriens Israel „die beste Sicherheitslage“ bescherte, die es „je hatte“, so die Jerusalem Post vor drei Monaten unter Berufung auf israelische Militärs. „Arabische Staaten, die einst bis an die Zähne bewaffnet waren, wie Libyen und der Irak, sind auseinandergefallen.“ Syrien sei vor vier Jahren noch die größte Bedrohung für Israel gewesen, doch heute existiere das Land praktisch nicht mehr, „sondern ist in mehrere Territorien auseinander gebrochen“. (23)
Galt der Konflikt mit Israel und die Besatzung Palästinas lange Zeit als der mobilisierende Faktor im arabischen politischen Leben, so hat ihn der sektiererische Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten längst verdrängt. (24) Letzterer „zerreiße“ die arabische und muslimische Welt, stellte der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan vor zwei Jahren fest. „Das eröffnet einmalige Gelegenheiten für Israel, verschiedene Allianzen anzustreben und unsere Präsenz im Nahen Osten zu bestätigen.“ (25)
Mit einem alten Erzfeind, der sie sektiererischen Auseinandersetzungen eifrig schürt, hat Israel inzwischen eine Allianz verwirklicht. Seit Anfang 2014 treffen sich israelische Regierungsvertreter mit Repräsentanten Saudi-Arabiens in geheimen Sitzungen. Das gaben Anwar Majed Eshki, Ex-Berater von Prinz Bandar bin Sultan, einstiger US-Botschafter der Saudis , und Dore Gold, ehemaliger israelischer UN-Botschafter, vor einer Woche während einer Sitzung des Council of Foreign Relations in Washington erstmals bekannt. Bei den israelisch-saudischen Treffen dreht sich alles um einen gemeinsamen Feind. „Wenngleich diese Männer Länder repräsentieren, die historische Feinde sind, war ihre Botschaft identisch: Der Iran übernimmt den Nahen Osten und muss gestoppt werden“, berichtete Bloomberg. (26) In einem von Eshki vorgetragenen Sieben-Punkte-Plan für den Nahen Osten nannte der saudische Vertreter einen herbeizuführenden Regimewechsel im Iran an zweiter Stelle – gleich nach einem Friedensschluss zwischen Israel und den Arabern. Außerdem sprach er sich für die Gründung eines kurdischen Staates aus. Auch in Israel werden Stimmen lauter, die die Aufteilung Syriens in mehrere Staaten, darunter einen kurdischen, fordern. (27)
Israelische Militärs und Politiker hatten in den letzten Jahren wiederholt verlauten lassen, dass sie ein von al-Qaida kontrolliertes Syrien gegenüber einem weiterhin mit dem Iran verbündeten Nachbarn bevorzugen. Da überrascht es nicht, dass Israel auf den Golan-Höhen mit den al-Qaida-Kämpfern der al-Nusra-Front kooperiert (28) – wenngleich die Hilfe Israels im Vergleich zu der Unterstützung , die die Dschihadisten vom NATO-Staat Türkei und den Golfmonarchien erhalten, eher bescheiden ausfällt. Da der Beitrag al-Qaidas für den anvisierten Sturz Assads beziehungsweise für die Aufteilung Syriens unverzichtbar ist, wachsen die Bemühungen, die Terrorgruppe öffentlich in eine positives Licht zu rücken, und sie als „gute“ Dschihadisten gegenüber den „bösen“
Die freundlichen Terroristen: Der katarische Fernsehsender al-Jazeera bietet dem Anführer der al-Nusra ein Podium für seine Propaganda |
vom „Islamischen Staat“ zu positionieren. (29) In einem Interview mit dem katarischen Fernsehsender al-Jazeera versicherte der Anführer der al-Nusra-Front vor gut einer Woche, der Westen brauche sich nicht vor al-Qaida zu fürchten. Die al-Nusra-Front werde keine Anschläge gegen den Westen ausführen, ihr Ziel sei der Sturz Assads. (30) Wie Spiegel Online vermeldete, dankte die US-Regierung die Ansage des Terrorchefs vor Tagen mit der „ersten direkten Luftunterstützung“ der Terrortruppe in ihrer Auseinandersetzung mit dem „Islamischen Staat“. (31)
Angesichts der massiven, nunmehr kaum noch verhohlenen Unterstützungen der Dschihadisten sehe sich die syrische Regierung gezwungen, „die faktische Aufteilung des Landes zu akzeptieren, und sich auf die Verteidigung strategisch wichtiger Gebiete zu beschränken, während sie die anderen den Rebellen und Dschihadisten überlässt“, berichtete die Nachrichtenagentur AFP vor einer Woche. Laut einer Quelle aus Regierungskreisen würden dabei „die Küstenregionen, die zentralen Städte Hama und Homs sowie die Hauptstadt Damaskus als lebenswichtig“ erachtet. (32) Wie sich Zeiten ändern: In den Jahren nach 9/11 übergab die US-Regierung mutmaßliche al-Qaida-Kämpfer der Obhut syrischer Sicherheitsorgane, um sie dort „robust“ verhören zu lassen, nun wurde mit der Hilfe der früheren Gegner der syrische Staat faktisch zerschlagen.
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Anmerkungen
(1) Der Text des „National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2016“, der noch vom Repräsentantenhaus abgesegnet werden muss, ist nachzulesen unter:
https://www.govtrack.us/congress/bills/114/hr1735/text
Die zitierten Passagen finden sich in Sektion 1222 und 1223.
(2) http://www.bbc.com/news/world-us-canada-29528482
(3) Der in weiten Teilen geschwärzte DIA-Bericht ist nachzulesen unter: http://www.spiegel.de/media/media-36707.pdf
(4) http://juergentodenhoefer.de/us-geheimdienst-deckt-auf-der-westen-wollte-einen-islamistischen-terrorstaat/
(5) http://carnegieendowment.org/sada/index.cfm?fa=show&article=57220&solr_hilite=
(6) http://www.presstv.ir/Detail/2015/05/03/409242/Iraq-Abadi-US-Congress-Bill-Sadr
(7) http://www.nytimes.com/2013/09/29/opinion/sunday/imagining-a-remapped-middle-east.html
(8) http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S10_srt.pdf
(9) https://cablegatesearch.wikileaks.org/cable.php?id=09BERLIN1577
(10) http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurz-gesagt/syrien-die-worte-von-heute-duerften-schon-bald-die-enttaeuschungen-von-morgen-sein.html
(11) http://de.qantara.de/inhalt/strategien-gegen-den-islamischen-staat-was-gegen-ein-buendnis-mit-assad-spricht
(12) http://www.swp-berlin.org/publikationen/kurz-gesagt/die-syrische-interimsregierung-vor-dem-aus.html
(13) http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2014A64_bkp.pdf
(14) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/201505083534/globales/kriege/schuetzenhilfe-fuer-al-qaidas-siegeszug.html
(15) http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/sonstiges/20150522_Hintergrund_Syrien.pdf
(16) http://www.dw.de/t%C3%BCrkei-wie-sich-der-is-versorgt/av-18100004
(17) http://www.liveleak.com/view?i=100_1433796614
(18) http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/isis-slaughter-in-the-sacred-syrian-city-of-palmyra-the-survivors-stories-10297989.html
(19) http://www.nytimes.com/2015/05/21/world/middleeast/syria-isis-fighters-enter-ancient-city-of-palmyra.html
(20) http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/comments/2015C26_ows.pdf
(21) http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2014A64_bkp.pdf
(22) http://www.guardian.co.uk/Archive/Article/0,4273,4493638,00.html
(23) http://www.jpost.com/Arab-Israeli-Conflict/Analysis-With-Syria-crumbling-Israels-security-situation-has-never-been-better-404909
(24) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/201307042664/politik/welt/gewollte-spaltung.html
(25) http://www.haaretz.com/news/presidential/1.530561#.UcJEWgaKojE.blogger
(26) http://www.bloombergview.com/articles/2015-06-04/israelis-and-saudis-reveal-secret-talks-to-thwart-iran
(27) http://www.jerusalemonline.com/news/middle-east/the-arab-world/israeli-scholar-calls-for-the-establishment-of-a-kurdish-and-druze-state-in-syria-13927
(28) https://www.middleeastmonitor.com/articles/inquiry/16695-israel-may-be-arming-al-qaeda-in-syria
http://www.jpost.com/Middle-East/Report-Israel-treating-al-Qaida-fighters-wounded-in-Syria-civil-war-393862
(29) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/201505083534/globales/kriege/schuetzenhilfe-fuer-al-qaidas-siegeszug.html
(30) https://www.jungewelt.de/2015/05-30/039.php
(31) http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-us-luftwaffe-bombardiert-is-stellungen-a-1037702.html
(32) http://news.yahoo.com/iraq-iran-fighters-deployed-defend-damascus-security-source-143253360.html