Naher Osten: Israels Spiel mit dem Feuer
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Der Konflikt zwischen der libanesischen Hizbollah und dem israelischen Militär eskaliert. Die israelische Regierung spekuliert auf eine Schwächung der Schiitenmiliz, doch die Konsequenzen der Konfrontation sind kaum abzusehen –
Von HANS BERGER, 28. Januar 2015 –
„Um 11:25 heute morgen griffen die ‘Quneitra Märtyrer des Islamischen Widerstandes’ (Hizbollah) einen israelischen Militärkonvoi, der aus mehreren Fahrzeugen bestand, die zionistische Soldaten und Offiziere transportierten, in der Gegend der Shebaa-Farmen an.“ Mit dieser Meldung auf dem TV-Kanal Al Manar bekannte sich heute die militante libanesisch-schiitische Organisation Hizbollah zu einer Attacke auf die israelische Armee (IDF). Wenig später bestätigten israelische Regierungsstellen den Vorfall. Während arabische Quellen von vier toten Soldaten berichten, äußerten sich Sprecher der IDF zunächst nur über „sieben verletzte Soldaten“, räumte dann aber mindetens zwei Tote ein.
Dem Angriff waren in den vergangenen Tagen mehrere israelische Militäraktionen gegen syrische Ziele sowie gegen Kämpfer der Hizbollah selbst vorausgegangen. Insbesondere der Tod von 6 Hizbollah-Militanten, darunter die beiden Kommandeure Jihad Mughniyeh und Mohammed Issa, sowie eines Militärs der iranischen Revolutionsgarden am 18. Januar auf den von Israel besetzten Golan-Höhen dürfte ausschlaggebend für die jetzige Vergeltungsaktion der Hizbollah gewesen sein.
Direkt nach dem Angriff auf den israelischen Militärkonvoi begann die israelische Regierung die Eskalation des Konflikts weiter zu forcieren. Außenminister Avigdor Liebermann forderte eine „entschiedene und unverhältnismäßige“ Reaktion Israels, Premier Benjamin Netanjahu bekundete, „kraftvoll“ reagieren zu wollen und fügte hinzu: „Ich schlage vor, dass alle, die uns an unserer Grenze im Norden herausfordern, daran denken, was in Gaza passiert ist.“ Dort hatte die israelische Armee im Juli und August 2014 bei einer gegen palästinensiche Gruppen gerichteten Militäraktion 2101 Menschen getötet, darunter nach UN-Angaben 1460 Zivilisten.
Die israelische Armee begann unmittelbar nach dem Hizbollah-Angriff mit Raketenbeschuss auf Grenzdörfer im Südlibanon. Der libanesischen Tageszeitung Al Akhbar zufolge sollen vor allem die Dörfer Kfar Shouba und Majidiyeh betroffen sein, in Abbasieh wurde ein spanischer Soldat der im Südlibanon stationierten UN-Beobachtermission (United Nations Interim Force in Lebanon, UNIFIL) bei dem Beschuss getötet. Über weitere Opfer gibt es bislang keine Angaben.
Die Eskalation des Dauerkonflikts zwischen Israel und der libanesischen Hizbollah fällt in eine für das Zedernland ohnehin schwierige Phase. Sunnitisch-extremistische Gruppen wie die Al Qaida nahestehende Al Nusra Front und der vor allem aus Syrien einsickernde „Islamische Staat“ arbeiten seit längerem an einer Destabilisierung des Landes. Auseinandersetzungen zwischen den Dschihadisten und der Hizbollah, die im syrischen Bürgerkrieg auf der Seite der Regierungstruppen kämpft, und der libanesischen Armee häufen sich, islamistische Gruppierungen führen Selbstmordattentate durch. Größere militärische Konflikte mit Israel oder gar ein Krieg könnten in dieser Phase unabsehbare Folgen für die Stabilität des Landes, in dem sich mehr als eine Million syrischer Flüchtlinge aufhalten, haben.
Offenkundig ist dabei, dass die momentane Verschärfung des Konflikts von der israelischen Regierung ausgeht. Diese führt immer wieder Angriffe auf syrische Regierungstruppen und die Hizbollah durch, lässt aber auf den Golan-Höhen syrische Oppositionsmilizen, darunter auch die radikalislamistische Al Nusra Front gewähren. Die Berichte der Beobachtermission der Vereinten Nationen auf den Golan-Höhen, Undof, legen zumindest genau das nahe: Wann immer es zu vermeintlichen oder tatsächlichen Angriffen (oder Querschlägern) auf israelisches Gebiet aus den Golan-Höhen kommt, greifen die IDF syrische Regierungstruppen oder deren Verbündete an, in keinem einzigen Fall Al-Nusra oder andere Milizen. Israel versorgt sogar deren Verwundete. „Offenbar glaubt die israelische Armee, dass die größere Gefahr für Israel vom syrischen Regime und seinen Verbündeten, der Hisbollah und Iran, ausgeht – nicht von der syrischen al-Qaida“, kommentiert Raniah Salloum im Spiegel. (1)
Das Kalkül hinter dieser gefährlichen Politik lässt sich einfach zusammenfassen: Der Feind meines Feindes ist mein Freund – zumindest zeitweise. Die israelische Regierung scheint zu glauben, es sei taktisch geboten, Al Nusra und Konsorten zu stärken, um Syrien und die Hizbollah endgültig auszusschalten. Die Times of Israel fasst diese Überlegungen hinter der eigenartigen Kooperation zusammen: „Die guten Nachrichten für Israel aus Syrien sind, dass zumindest im Moment die sunnitischen Terrorgruppen ihre Anstrengungen auf Baschar Assad und die Hizbollah fokussieren.“
Allerdings könnte dies eine recht kurzsichtige Überlegung sein, selbst wenn man aus der Position der israelischen Regierung überlegt. Denn eine Schwächung der Hizbollah ist zugleich eine Chance für wesentlich unberechenbarere und unpragmatischere Gruppierungen. Und so weiß auch die Times of Israel: „Die Al Nusra Front schafft sich auf den Golan-Höhen eine wirkliche Machtbasis, und egal, was die Medien glauben, diese Gruppe ist nicht weniger gefährlich oder extrem als der Islamische Staat, nur in den Methoden ihrer Operationen unterscheiden sie sich. Das macht sie in vieler Hinsich auf lange Distanz viel gefährlicher für Israel.“
Die derzeit von der israelischen Regierung herbeigeführte Eskalation ist also nicht nur von moralischen Standpunkt aus abzulehnen – sie nutzt auch der israelischen Bevölkerung kein bisschen.
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Anmerkungen
(1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/israel-golanhoehen-werden-zur-naechsten-front-a-1014237.html#ref=veeseoartikel
(2) http://www.timesofisrael.com/unlikely-allies-on-israel-syria-border-as-assad-watches-his-country-split/