Fragwürdiger Auftrag: Westliche Militärbeobachter in der Ostukraine
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Von SEBASTIAN RANGE, 28. April 2014 –
Die Aufständischen in der Ostukraine, die ein Referendum über eine größere Autonomie fordern, planen nach eigenen Aussagen keine schnelle Freilassung der festgesetzten Militärbeobachter, darunter auch vier Deutsche. Zunächst seien „weitere Gespräche“ nötig, sagte der von den Aufständischen zum Bürgermeister von Slawjansk ernannte Wjatscheslaw Ponomarjow am Montag dem russischen Staatsfernsehen.
„Diese Menschen sind Berufssoldaten – im Unterschied zu einem OSZE-Team, mit dem ich mich vor kurzem normal unterhalten habe“, hatte Ponomarjow bereits am Samstag erklärt.
Die bewaffneten Aktivisten werfen den seit Freitag gefangenen Männern „Spionage für die NATO“ vor und erwägen einen Austausch mit inhaftierten Gesinnungsgenossen.
Die prowestliche Regierung in Kiew lehnt dies ab. Die Bundesregierung verlangt mit Nachdruck ein Ende der Gefangenschaft der Beobachter. Am Sonntagabend hatten die Protestführer in Slawjansk einen Schweden freigelassen, der unter Diabetes leidet.
Der Schwede hatte als einziger internationaler Vertreter eines Nicht-NATO-Mitglieds an der Mission teilgenommen. Neben ihm waren drei Angehörige der Bundeswehr, ein deutscher Dolmetscher, jeweils ein Soldat aus Dänemark, Polen und Tschechien sowie vier ukrainische Soldaten festgenommen worden.
Desinformations-Kampagne
Die Gefangennahme der ausländischen Militärs durch die Aufständischen wird seit Anbeginn von einer massiven Fehlinformations-Kampagne der Medien begleitet, die von der Bundesregierung befördert wird.
Das beginnt mit der Behauptung, bei den inhaftierten Männern handele es sich um Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), beziehungsweise sie seien im offiziellen Auftrag der OSZE im Land gewesen. Dem widersprach OSZE-Sprecher Claus Neukirch bereits am Freitag (vgl. Video am Ende des Textes).
„Genau genommen“ seien die Inhaftierten keine Mitarbeiter der OSZE, sondern „Militärbeobachter, die bilateral dort unter einem OSZE-Dokument tätig sind“.
Mit der aktuellen OSZE-Beobachtermission, die die Rückendeckung aller 57 OSZE-Teilnehmerstaaten – einschließlich Russland – hat, und für die derzeit etwa 140 Beobachter im Land sind, um vor Ort Fakten zur Sicherheitslage zu sammeln, haben die inhaftierten Militärs nichts zu tun.
Deren Mission stehe „unter Führung des Zentrum für Verifikationsaufgaben der deutschen Bundeswehr“, erklärte Neukirch. Da es sich um keinen offiziellen OSZE-Einsatz gehandelt hat, habe es für diesen „speziellen Besuch keine Risikoeinschätzung“ seitens der OSZE gegeben. (1)
Am Sonntag waren zwei Mitarbeiter der OSZE-Beobachtermission an einem Checkpoint in der Region Donezk von Aufständischen kurzzeitig festgehalten worden. Nach Überprüfung ihres Status wurden sie wieder frei gelassen.
Bei dem von Neukirch angesprochenen OSZE-Dokument, das die Grundlage für den Einsatz der gefangenen NATO-Soldaten bildet, handelt es sich um das Wiener Dokument „über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen“ von 2011, das der Rüstungskontrolle dient.
Im Rahmen dieses Abkommens sei das Beobachter-Team unterwegs gewesen, wie der nun inhaftierte Leiter des Einsatzes, Bundeswehr-Oberst Axel Schneider, während einer von den Aufständischen inszenierten Pressekonferenz am Sonntag erklärte. Die Mitglieder des Teams hätten diplomatischen Status, ihre Mission sei allen OSZE-Teilnehmern, auch Russland, bekannt gewesen.
Vergangene Woche hatte Schneider die Einsatzziele in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk offen benannt. Es gehe darum, sich „rasch und schnell ein Bild“ von der Verfassung der ukrainischen Streitkräfte machen zu können, von der „Schlagkraft der Einheiten“, und „in welchem Zustand die sind und was sie leisten können“.
„Sie würden sich wundern“, erklärte der Bundeswehr-Oberst, „was für interessante Informationen dann für uns sichtbar werden, die auch ein Urteil ermöglichen, wie dieser Beitrag im politischen großen Bild eingesetzt werden kann.“
Es ginge auch darum, die Bereitschaft der Soldaten festzustellen, „für das Land in den Einsatz zu gehen“.
Auf die Frage, warum Soldaten in eine diplomatische Mission involviert sind, sagte Schneider: „Wir als Soldaten haben hier eine diplomatische Funktion übernommen, wie wir das schon seit 1991 tun.“ Es gebe eine enge Koordinierung mit dem Auswärtigen Amt, so dass „Diplomatie und militärische Planung gut zusammenlaufen können“. (2)
Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Mission der militärischen Aufklärung unter diplomatischem Deckmantel. Für etwaige militärische Planungen will sich die NATO ein eigenes Bild davon machen, welche Truppenteile der ukrainischen Armee im Falle des Falles verlässlich sind.
Der Einsatz hielt sich allerdings nicht an die Bestimmungen des Wiener Dokuments. Dort wird die „Beobachtung bestimmter militärischer Aktivitäten“, worunter die Mission fallen dürfte, folgendermaßen spezifiziert: „Jeder Teilnehmerstaat kann bis zu zwei Beobachter zu der zu beobachtenden militärischen Aktivität entsenden“ – Deutschland schickte jedoch mindestens drei Soldaten. Das mag man als unbedeutende Nebensache abtun, jedoch wurde auch gegen das wichtigste und daher zu erst genannte Kriterium verstoßen, das verlangt, dass „Beobachter aus allen anderen Teilnehmerstaaten“ geladen werden müssen. (3)
„Die selektive Zusammenstellung einer Besuchergruppe ausschließlich aus wenigen Ländern, auf deren Parteilichkeit man sich verlassen kann, widerspricht direkt dem Wortlaut des Wiener Dokuments. Und sie dient ganz gewiss nicht der Vertrauensbildung“, kommentiert die junge Welt. (4)
Bundesregierung verzerrt Faktenlage
Obwohl die NATO-Soldaten eindeutig nicht im Auftrag der OSZE unterwegs waren, sprechen Vertreter der Bundesregierung nach wie vor in diesem Zusammenhang von einer offiziellen OSZE-Mission – und stiften Verwirrung mit Formulierungen, die nahelegen, es gebe eine Verbindung zu der offiziellen Beobachtermission, die zur Entspannung der Lage beitragen soll.
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So erklärte das Bundesverteidigungsministerium am Sonntag, die Entsendung der NATO-Soldaten sei eine „abgestimmte OSZE-Mission auf Einladung der Ukraine“, es handele sich „hierbei nicht um eine bilaterale Maßnahme“. Sinn der Inspektionen sei es, Transparenz und Vertrauen zu schaffen. „Dafür ist es notwendig, neutrale Beobachter unter dem Dach der OSZE auch in die Krisengebiete zu entsenden“, erklärte ein Sprecher des Ministeriums.
Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen betonte, Aufgabe der Beobachter sei es, „für Transparenz und Vertrauensbildung zu sorgen“. Die Angehörigen der OSZE-Mission hätten das Ziel, den Konflikt in der Ukraine auf zivile Weise zu lösen, behauptete auch Bundespräsident Joachim Gauch am Sonntag während eines Besuches deutscher Soldaten im türkisch-syrischen Grenzgebiet.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier bekräftigte ebenfalls den falschen Eindruck einer OSZE-Mission. Der SPD-Politiker forderte nach Angaben des Auswärtigen Amtes die russische Führung auf, ein „klares Zeichen zu setzen, dass sie das, was in Slawjansk mit den ausländischen OSZE-Beobachtern geschehen ist, nicht akzeptiert“.
Russland hatte die Festnahme der NATO-Militärbeobachter verurteilt und deren Freilassung gefordert.
Laut der Nachrichtenagentur dpa „mahnte“ Steinmeier in einem Schreiben an den OSZE-Vorsitzendenden, den Schweizer Außenminister Didier Burkhalter, „mehr Unterstützung an“. Glaubt man der Darstellung deutscher Leitmedien, folgte Burkhalter der „Ermahnung“:
„Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) forderte die sofortige Freilassung ihrer Militärbeobachter. In einer Erklärung in der Nacht zum Montag kritisierte OSZE-Chef Didier Burkhalter die Festsetzung der Beobachter als ‚inakzeptabel‘ “, schreibt Spiegel-Online am Montag. (5) Eine erneute Fehlinformation. In der Stellungnahme behauptet die OSZE nicht, es handele sich um „ihre Militärbeobachter“. Stattdessen wird dort „die Festnahme von einer Gruppe von Militärbeobachtern, die Staaten angehören, die an der OSZE teilnehmen“, verurteilt. (6)
Die Linke wirft der Bundesregierung vor, mit der Entsendung der Gruppe unklug und „zutiefst unprofessionell“ gehandelt zu haben. „Die Frage ist doch: Warum gerade jetzt und im Osten des Landes?“, sagte der Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss, Alexander S. Neu. Die Spionage-Vorwürfe seitens der Aufständischen seien „zumindest nicht gänzlich von der Hand zu weisen“.
Als „total abwegig“ bezeichnete der Sprecher des Außenministeriums, Martin Schäfer, den Spionage-vorwurf. „Das geschieht mit völlig offenem Visier. Das hat mit Spionage überhaupt nichts zu tun. Das ist das genaue Gegenteil.“
Tatsächlich dürfte es sich bei dem Einsatz nicht um Spionage im eigentlichen Sinne gehandelt haben. Spione wollen unerkannt bleiben und geben keine Interviews über ihren Einsatz im Rundfunk.
Wenn NATO-Militärs jedoch in einem Krisengebiet im Auftrag und zugunsten einer beteiligten Konfliktpartei die Schlagkraft des „eigenen“ Militärs ausloten, dann handelt es sich praktisch um einen Hilfsdienst bei der Kriegsführung – allen Wortklaubereien um den offiziellen Status des Einsatzes zum Trotz.
(mit dpa)
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Anmerkungen
(1) http://tvthek.orf.at/program/ZIB-24/1225/ZIB-24/7837001/Gespraech-mit-Claus-Neukirch-von-der-OSZE/7837005
(2) http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowelt/axel-schneider-ruestungskontrolle-ost-ukraine100.html
(3) Wiener Dokument 2011 über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen, Seite 27 ff. http://tinyurl.com/kng26zd
(4) http://www.jungewelt.de/2014/04-28/021.php
(5) http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-osze-beobachter-slowjansk-warnungen-vor-ponomarjow-a-966455.html
(6) http://www.osce.org/cio/118047