Die Geister, die sie rufen
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Der Westen und die ukrainische Oppositionsbewegung –
Von MATTHIAS RUDE, 25. Februar 2014 –
Im Jahr 2015 soll die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft, bestehend aus Russland, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan, nach dem Vorbild der EU in eine Eurasische Union transformiert werden. Die USA und der Westen zeigen sich besorgt über diese Entwicklung. Obschon Wladimir Putin bereits im Oktober 2011, einige Tage, nachdem er den Vorschlag einer Eurasischen Union vorgelegt hatte, erklärte, dass ihm „jegliche Art Wiederbelebung der Sowjetunion“(1) fern stehe, warf die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton ihm dann genau das vor: „Die Unterdrückung der Oppositionsstimmungen in den Ländern Osteuropas und Mittelasiens kann eine neue ‚Sowjetisierung‘ dieser Staaten zur Folge haben“, äußerte sie im Dezember 2012, dann drohte sie: „Wir sind uns dessen bewusst, was das Ziel ist, und wir versuchen, eine effektive Methode zur Verlangsamung oder Verhinderung dieses Prozesses zu finden.“(2)
Die Ukraine spielt in diesem geopolitischen Machtkampf, der zu einer Neuauflage des Ost-West-Konflikts auszuarten droht, eine besondere Rolle. Kiews Zusammenarbeit mit Moskau bei gleichzeitiger Kooperation mit der EU entsprach eigentlich den Interessen einer Mehrheit der ukrainischen Oligarchen, die auf günstige Erdgaslieferungen aus Russland ebenso angewiesen sind wie auf Absatzmärkte in Westeuropa.(3) Doch im Laufe der letzten Jahre gelangte das Land zunehmend in die Mitte eines Tauziehens zwischen Ost und West: Russland umwarb es, sich der bestehenden Zollunion und der sich bildenden Eurasischen Union anzuschließen, vom Westen her wurde versucht, es in Richtung eines EU-Beitritts zu bewegen. Als das geplante Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union, das für die Ukraine einen freien Marktzugang für europäische Unternehmen bedeutet hätte, im November 2013 ausgesetzt wurde und die Regierung unter Präsident Janukowytsch ankündigte, die Kooperation mit den GUS-Staaten zu intensivieren, bildete dies den Startschuss für die nach dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew und der pro-westlichen Haltung der Protagonisten „Euromaidan“ genannten Proteste. Der zu einem maßgeblichen Teil von neofaschistischen Gruppen getragene Aufruhr, der am Samstag vergangener Woche zu einem rechten Staatsstreich geführt hat, wird von westlichen Interessengruppen protegiert.
Westliche Einflussnahme
Bereits während der Ereignisse rund um die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2004, die in die „Orangefarbene Revolution“ mündeten, griff der Westen massiv in die politische Situation der Ukraine ein. Gennadi Sjuganow, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Russlands, berichtete damals: „Ich bin in Kiew gewesen und habe selbst gesehen, dass verschiedene Aktionen der lokalen Opposition die Merkmale derjenigen Gruppierungen tragen, die zu verschiedenen Zeiten versucht hatten, Prag, Budapest und Bukarest zu destabilisieren – die Merkmale der US-Geheimdienste.“(4) Operationen mit dem Ziel der Destabilisierung unliebsamer Regierungen werden aber nicht nur von Geheimdiensten durchgeführt, die Gelder dafür fließen auch ganz offen. Die US-Stiftung National Endowment for Democracy (NED), gegründet unter Reagan als antikommunistisches Instrument, führt schon seit 1983 frühere CIA-Aktivitäten fort, indem sie weltweit oppositionelle Bewegungen unterstützt. Auf diese Art und Weise flossen seit der Jahrtausendwende Millionen US-Dollar in die Farbrevolutionen. Auch der Internationale Währungsfonds sowie die mit den in der BRD regierenden Sozialdemokraten verbundene Friedrich-Ebert-Stiftung hatten ihre Finger mit im Spiel.(5) Der vom Westen unterstützte Wiktor Juschtschenko, der damals aus den Neuwahlen gegen Wiktor Janukowytsch als Sieger hervorging, bedankte sich am 9. März 2005 in einer Rede vor dem Bundestag für die deutsche Unterstützung: „Ihre Anwesenheit auf dem Majdan in den frostigen Dezembertagen stärkten den Glauben der Ukrainer daran, dass Deutschland und Europa mit uns zusammen stehen. Wir haben gespürt, Deutschland hat verstanden: In der Ukraine wird eine neue Seite der europäischen Geschichte aufgeschlagen. Ich sehe die Ukraine bereits in nicht allzu ferner Zukunft im vereinten Europa.“(6)
Um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, erhielten pro-westliche Strömungen weiterhin tat- und finanzkräftige Unterstützung. Momentan finanziert allein das NED in der Ukraine nach eigenen Angaben 65 unterschiedliche Organisationen, Institutionen und Programme.(7) Die im letzten Jahr analog zum US-Vorbild durch die EU gegründete Stiftung European Endowment for Democracy (EED) fördert seit ein paar Monaten ebenfalls prowestlich orientierte Kräfte in Staaten außerhalb der EU mit Millionenbeträgen.(8) Bereits im April 2013 war in einem Papier des Europaparlaments angekündigt worden, dass die Ukraine „eines der EED-Zielländer“ sein werde.(9) Der Stiftungsrat wird vom CDU-Politiker Elmar Brok geleitet, der bereits 1989 seine Vision einer Europäischen Union verkündete, welcher die Ostblock-Staaten einverleibt werden sollten(10) – im Moment führt eine Delegation des Europaparlaments unter seiner Leitung in Kiew Gespräche über das weitere Vorgehen in der Ukraine.(11) Die Stiftung hat sich vor Kurzem außerdem kurzerhand dazu entschlossen, die englischsprachige Zeitung Kyiv Post zu finanzieren,(12) und am 21. Februar war auf der EED-Website zu lesen, sie stelle nun 150.000 Euro „emergency support“ in der Ukraine zur Verfügung.(13)
Ende Januar erklärte Sergej Glasjew, ein Berater Putins: „Wir haben es mit einer zielgebundenen und systematischen Arbeit einer Informations- und Propaganda-Maschine zu tun, die bereits mehr als einen Staat in der Welt zerstört und heute eine explosive Situation in der Ukraine erzeugt hat.“ Er nannte die Zahl von fünf Milliarden US-Dollar allein für Stipendien.(14) Victoria Nuland, Stellvertreterin des US-Außenministers, tat die Äußerungen Glasjews als „Fantasie“ ab.(15) Auf der „International Business Conference at Ukraine“ in Washington hatte sie am 13. Dezember 2013 allerdings selbst gesagt: „Seit der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 haben die Vereinigten Staaten die Ukrainer darin unterstützt, demokratische Fähigkeiten und Institutionen aufzubauen sowie Bürgerbeteiligung und eine gute Regierungsführung zu fördern – all das sind Voraussetzungen für die Ukraine, damit sie ihre europäischen Bestrebungen erreichen kann. Wir haben mehr als fünf Milliarden Dollar investiert, um die Ukraine in diesen und anderen Zielen zu unterstützen.“(16)
Am 20. November 2013 meinte Oleg Tsarev von der damals noch regierenden Partei der Regionen während einer Parlamentssitzung in der Werchowna Rada, ein 2012 von der US-Botschaft veranstaltetes „TechCamp“ habe „der Ausbildung von Spezialisten, um einen Informationskrieg zur Diskreditierung der staatlichen Institutionen“ zu führen, gedient – sowie dazu, „potenzielle Revolutionäre zur Organisation von Protestaktionen und einem Sturz des Staates heranzubilden.“ Ausgesuchte Bürger der Ukraine seien darin geschult worden, wie sich übers Internet Protest nach dem Vorbild der Aufstände in Ägypten, Tunesien und Libyen mobilisieren lasse.(17) Sogenannte „TechCamps“ sind Bestandteil der von Hillary Clinton gestarteten Initiative „Civil Society 2.0“; es handelt sich um zweitägige Veranstaltungen, bei der Mitarbeiter des US-Außenministeriums Nichtregierungs- und zivilgesellschaftliche Organisationen anderer Staaten im Umgang mit den neuen digitalen Technologien schulen, „um die Reichweite und die Wirkung ihrer Arbeit zu unterstützen“, wie es auf der Website des US-Ministeriums heißt.(18) Beim „TechCamp“ in Kiew, das am 12. und 13. September 2012 stattfand, handelte es sich um die weltweit 14. Veranstaltung dieser Art.(19)
Paul Craig Roberts, einst stellvertretender Finanzminister in der Regierung Reagan und Kolumnist für Zeitschriften wie Wall Street Journal oder Business Week, hat Hinweise, dass ukrainische Demonstranten aus den USA und der EU bezahlt werden. Er zitiert einen seiner Leser mit den Worten: „Meine Frau, eine ukrainische Staatsbürgerin, hat wöchentlich Kontakt mit ihren Eltern und Freunden in Zhytomyr (Nordwest-Ukraine). Diese sagen ihr, dass die meisten Demonstranten durchschnittlich 200–300 Grivna bekommen, das entspricht etwa 15-25 Euro. Weiter hörte ich, dass eine der aktivsten Agenturen und ‚Zahlstellen‘ auf Seiten der Europäischen Union die deutsche ‚Konrad Adenauer-Stiftung‘ ist“.(20)
Pakt mit Faschisten
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), deren Auslandsbüros weltweit mehr als 200 Projekte in über 120 Ländern betreuen, schreckt nicht davor zurück, sich bei der Unterstützung rechter Putschisten oder beim Handschlag mit Rechtsradikalen die Finger schmutzig zu machen. Die Stiftung, die sich „Auftrag: Demokratie!“ auf die Fahnen schreibt, unterstützt beispielsweise in Honduras die Partido Nacional, die in der Nachfolge des Militärputsches vom Juni 2009 steht, mit welchem der demokratisch gewählte Manuel Zelaya aus dem Amt gedrängt worden war.(21) Nach Informationen der US-venezolanischen Journalistin Eva Golinger überweist die KAS jährlich eine halbe Million Euro an die rechte Partei Primero Justicia, die unmittelbar an dem blutigen Putschversuch gegen Hugo Chávez im April 2002 beteiligt war.(22) Und sie kooperiert nicht nur mit gemäßigt rechten Kräften, sondern auch mit Rechtsradikalen, etwa mit türkischen „Grauen Wölfen“.(23)
Was die Ukraine angeht, so hat die Stiftung bereits während der letzten Jahre darauf hingearbeitet, dass ein Assoziierungsabkommen mit der EU zustande kommen kann. Umso enttäuschender, wenn es nicht dazu kommt: Im Februar 2013 beklagte sich das Auslandsbüro der Stiftung in Kiew darüber, dass das Abkommen „trotz mehr als fünfjähriger Vorbereitungsphase“ noch immer nicht hätte unterzeichnet werden können; es müsse jetzt „eine klare Botschaft aus Deutschland und aus Brüssel an Kiew“ gesendet werden, dass die Europäische Union für die Ukraine langfristig der richtige Partner sei.(24)
Um ihre Interessen in der Ukraine durchzusetzen, hat die KAS mit der von Vitali Klitschko geführten UDAR (Akronym für: Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen, wörtlich: Schlag) eine, wie es bei der KAS heißt, „Programmpartei nach deutschem Vorbild“ geschaffen. Die Stiftung hat die Partei von Anfang an protegiert: Klitschko und andere führende Mitglieder der UDAR waren im Januar 2011 zu einem dreitägigen „Informations- und Dialog-Programm“ der KAS in Berlin, was der „im Aufbauprozess befindlichen Partei eine große Hilfe“ gewesen sei, wie die Stiftung mitteilt.(25) Nachdem der CDU-Politiker Werner Jostmeier Klitschko Ende 2011 getroffen hatte, berichtete er sogar, dass die Stiftung diesen damit „beauftragt“ habe, „in der Ukraine eine christlich-konservative Partei unterstützend mit auf die Beine zu stellen und zu etablieren.“(26) Diese Formulierung findet man inzwischen nicht mehr auf seiner Website; wie das Büro des Landtagspolitikers auf unsere Anfrage hin mitteilte, sei man von der KAS „gebeten worden, den Satz zu löschen“.
In Berlin hatte Klitschko jedenfalls versprochen, „die Ukraine so schnell wie möglich in die EU zu integrieren“.(27) Um dieses Ziel zu erreichen, ist ihm und seinen deutschen Unterstützern offenbar jedes Mittel recht – auch der Pakt mit Faschisten. Denn seit Beginn der Proteste im November bildet die UDAR gemeinsam mit Julija Timoschenkos Batkiwschtschyna (Vaterland), die politisch nationalistische, wirtschaftlich neoliberale Positionen vertritt, sowie der neofaschistischen Swoboda (Freiheit) von Oleh Tjahnybok ein oppositionelles Dreierbündnis. Swoboda ist 2004 aus der „Sozial-Nationalen Partei“ hervorgegangen, die ihre „Anlehnung an die nationalsozialistische Ideologie der NSDAP nie verborgen hatte“, wie die KAS einräumt. Ihre historischen Wurzeln liegen in der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Diese Nazi-Kollaborateure seien, so die Stiftung weiter, „umstritten“, da sie sich „neben ihrem Freiheitsbestreben als ukrainische Nationalbewegung gegen die Rote Armee“ im Zweiten Weltkrieg auch an Kriegsverbrechen schuldig gemacht hätten.(28) Angesichts dieser Tatsachen bemüht man sich bei der KAS um Rechtfertigung: Tjahnybok bemühe sich, „einen gemäßigten Kurs einzuschlagen“; die Stiftung schreibt auch, „dass der überwiegende Teil der Wählerschaft von Swoboda diese nicht als rechtsradikal ansieht.“(29) Als in den letzten Tagen Kampfgruppen des „Rechten Sektors“, über die N24 meldete, sie seien „für die Opposition nützlich, aber auch ein großes Risiko“,(30) die Kontrolle über die Hauptstadt Kiew übernommen haben, rechtfertigte Klitschko das mit den Worten, sie seien derzeit die einzigen, die „für Ordnung sorgen“ könnten.(31)
Noch im Dezember 2012 erklärte das Europäische Parlament sich „besorgt wegen der zunehmenden nationalistischen Stimmung in der Ukraine“, die unter anderem in der Unterstützung für Swoboda zum Ausdruck komme, wies darauf hin, „dass rassistische, antisemitische und ausländerfeindliche Auffassungen im Widerspruch zu den Grundwerten und Grundsätzen der EU stehen“ und appellierte daher an die demokratisch gesinnten Parteien in der Werchowna Rada, „sich nicht mit der genannten Partei zu assoziieren, sie nicht zu unterstützen und keine Koalitionen mit ihr zu bilden.“(32) Doch schon im Frühjahr 2013 wurde bei einem Treffen des deutschen Botschafters in der Ukraine, Christof Weil, mit Oleh Tjahnybok – ein Treffen, das kurz vor dem Besuch einer Swoboda-Delegation bei der NPD in Sachsen stattfand – ein etwaiger Sturz der Kiewer Regierung thematisiert. Das heutige Protestbündnis tauscht sich demnach bereits seit einem Jahr mit Diplomaten aus EU-und NATO-Staaten aus.(33) Und obwohl natürlich nicht nur die KAS, sondern auch die Friedrich-Ebert-Stiftung weiß, dass Swoboda sich „antisemitischer, fremdenfeindlicher und rassistischer Rhetorik“ bedient, hielt das den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nicht davon ab, am 20. Februar in den Räumen der deutschen Botschaft in Kiew mit Tjahnybok zusammenzutreffen, ihn an den mehrstündigen gemeinsamen Verhandlungen über den bewaffneten Umsturz in der Ukraine gleichberechtigt teilnehmen und sich danach neben ihm von der Presse ablichten zu lassen.(34) Kritische Stimmen im Bundestag kamen einzig von der Linkspartei;(35) die Grünen reden sich die Braunen bunt, die Heinrich-Böll-Stiftung verkündet: „Der Kiewer Euromaidan ist keine extremistische, sondern eine freiheitliche Massenbewegung zivilen Ungehorsams.“(36) Daniel Cohn-Bendit ist, neben zahlreichen anderen Prominenten, Mitunterzeichner eines offenen Briefes von Wolf Biermann, in dem der einstige Sozialist, der inzwischen CDU-Wähler(37) und „Chef-Kulturkorrespondent“ für die neokonservative Springer-Zeitung Die Welt(38) ist, einen „Krieg um Freiheit“ beschwört, von dem die ukrainische Oppositionsbewegung Teil sei: Sie kämpfe „für wahre Demokratie und gegen die falsche, die ,lupenreine Demokratie‘ à la Putin und Janukowytsch“.(39)
Alte Gespenster werden wach
In den deutschen Leitmedien wurde die faschistische Gefahr in der Ukraine zuerst verschwiegen, dann, als sie nicht mehr zu verbergen war, verharmlost.(40) Die KAS hält an dieser Taktik fest. Am 24. Januar veröffentlichte die Süddeutsche, wie zahlreiche andere Medien, zwar noch einen Beitrag des ukrainischen Schriftstellers Juri Andruchowytsch, in dem es hieß: „In den Fernsehnachrichten aus Kiew können Sie heute Protestierende mit Helmen und Masken sehen, manche haben Holzstöcke in der Hand. Glauben Sie nicht, dass das irgendwelche ,Extremisten‘, ,Provokateure‘ oder ,Rechtsradikale‘ sind“,(41) in einem Artikel vom selben Tag sprach die Zeitung aber bereits von einer „gekaperten“ Oppositionsbewegung und zitierte eine Vertreterin einer Nichtregierungsorganisation mit den Worten: „Es war auf dem Maidan nach den ersten zehn Tagen deutlich sichtbar, dass radikale Kräfte von rechts nicht nur die Logistik übernommen, sondern auch Aktionen vorbereitet und dominiert haben“. (42) Am selben Tag veröffentlichte die KAS ein Interview mit Gabriele Baumann, der Leiterin des Auslandsbüros der Stiftung in Kiew, in welchem diese über die Situation der Opposition in der Ukraine sagte: „Es sind nicht so viele Rechtsradikale, wie oft dargestellt wird. Zum ultraradikalen rechten Block gehören einige Hundert“.(43) Es handelte sich um jenen Tag, als in der Westukraine Faschisten mit jeweils mehreren hundert Aktivisten fünf Gebietsverwaltungen unter ihre Kontrolle brachten. Gegenüber Hintergrund rechtfertigte Jasper Eitze, Referent der KAS für Ukraine, Weißrussland und den südlichen Kaukasus, das Bündnis mit Rechtsradikalen, auf das die UDAR sich eingelassen hat, als eine „Zweckgemeinschaft, um möglichst großen Widerstand zu organisieren“.
Eine Meisterleistung in kognitiver Dissonanz brachte Springers Welt zustande. Die Zeitung druckte ein Foto, auf dem Neofaschisten zu sehen sind, welche die rot-schwarze Fahne der Partei „Kongress Ukrainischer Nationalisten“, einer Nachfolgeorganisation des OUN, tragen, und warnte im dazugehörigen Artikel: „In der Ukraine werden alte Gespenster wach.“ Gemeint waren damit allerdings nicht die Rechten, über die im Artikel kein Wort zu lesen ist – in der Bildunterschrift ist lediglich von „Demonstranten“ die Rede –, sondern „das sowjetische Erbe“, das in der Ukraine „besonders zäh“ nachwirke. Das Land leide „nicht nur unter der autoritären Regierung, sondern auch an den Geistern der Vergangenheit und dem russischen Traum vom Imperium.“(44)
Aus Angst vor der „Sowjetunion“ werden also Faschisten protegiert. Naheliegend, dass Janukowitsch die Situation mit jener Deutschlands im Jahr 1933 verglich. Alles, was dem Spiegel dazu einfiel, war allerdings, der ukrainischen Regierung vorzuwerfen, sie überziehe die Opposition mit „Beschimpfungen“ und schrecke selbst vor einem Vergleich zu Nazi-Deutschland nicht zurück.(45)
Erst im Dezember hatte die KAS in einer Studie mit dem Titel Europa – Nein Danke? vor dem Erstarken neuer rechter Strömungen in Europa gewarnt. Da die EU von immer mehr Wählern als „fernes Elitenkartell“ wahrgenommen werde, geht die Stiftung davon aus, dass der Trend anhält. Im Rahmen der Studie werden auch Strategien zum Umgang mit rechten Kräften diskutiert. Einen „Königsweg“ gebe es nicht, man könne aber etwa rechtspopulistische Forderungen übernehmen, um abgewanderte Wähler zurückzugewinnen, oder auch formale Koalitionen eingehen – um die Rechten durch Einbindung zu „entzaubern“.(46) Doch mitunter kann man die Geister, die man ruft, trotz aller Zauberei nicht mehr aufhalten.
Dmitri Jarosch, Anführer des neofaschistischen „Rechten Sektors“, der eine „nationale Revolution“ anstrebt, meinte kürzlich, seine Leute würden über genügend Schusswaffen verfügen, „um das ganze Land zu verteidigen“.(47) Ein anderes Führungsmitglied der Organisation erklärte, er kämpfe „so lange gegen Kommunisten, Juden und Russen, wie Blut in ihren Adern fließt“.(48) Nach einer Reihe antisemitischer Übergriffe hat der ukrainische Oberrabbiner Moshe Reuven Asman die jüdische Gemeinde in Kiew inzwischen dazu aufgerufen, die Stadt zu verlassen,(49) jüdische Organisationen bereiten Hilfsmaßnahmen vor.(50)
Die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung war eines der Hauptziele der Nazis in der besetzen Ukraine. Dort werden derzeit Denkmäler, die an die Befreiung von der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg erinnern, zerstört und mit SS-Runen und anderen faschistischen Symbolen beschmiert.(51) Gegenwärtig werden in der Ukraine also ganz andere „Gespenster“ wach als das kommunistische. Und wie vor 80 Jahren wollen die bürgerlichen Kräfte faschistische Bewegungen als nützliche Instrumente nutzen. Es ist in diesem Zusammenhang geradezu absurd, dass auf einer Veranstaltung der KAS zum Gedenktag an die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar Bundestagspräsident Lammert von einer „Pflicht zur Erinnerung“ sprach und mahnte, man solle nicht annehmen, „dass so etwas nie wieder vorkommen kann“.(52) Daran, wohin strategische Bündnisse mit Faschisten Europa schon einmal geführt haben, will die deutsche Politik sich offenbar nicht erinnern.
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Anmerkungen und Quellen:
(1) http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2011A51_hlb_ks.pdf, S. 1.
(2) http://de.ria.ru/politics/20121210/265111126.html
(3) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58327
(4) Interfax 28. Oktober 2004, Zyuganov blames West for interfering in Ukrainian vote
(5) http://www.globalresearch.ca/imf-sponsored-democracy-in-the-ukraine-2/5360920
(6) http://www.bundestag.de/kulturundgeschichte/geschichte/gastredner/juschtschenko/rede_juschtschenko.html
(7) http://www.ned.org/fa/where-we-work/eurasia/ukraine
(8) http://www.hintergrund.de/201309302827/politik/politik-eu/im-langen-schatten-des-antikommunismus.html
(9) http://www.europarl.europa.eu/RegData/bibliotheque/briefing/2013/130458/LDM_BRI%282013%29130458_REV1_EN.pdf, S. 5.
(10) Elmar Brok: Die Europäische Union – Grundlage der deutschen Einheit, in: Werner Münch, Günter Rinsche (Hg.): Europa – unsere Zukunft. Ein Traum wird Wirklichkeit, Herford 1989, S. 104-116, S. 110.
(11) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58806
(12) http://blogs.telegraph.co.uk/news/cristinaodone/100260215/who-said-the-eu-is-useless-its-helping-freedom-fighters-in-the-ukraine/
(13) https://democracyendowment.eu/
(14) http://de.ria.ru/politics/20140131/267745400.html vgl. http://www.hintergrund.de/201401312977/kurzmeldungen/aktuell/usa-und-nato-provozieren-in-der-ukraine.html
(15) http://de.ria.ru/politics/20140207/267783682.html
(16) Video der Rede: http://www.youtube.com/watch?v=2y0y-JUsPTU (Zitat: 7:26-7:48).
(17) http://www.regnum.ru/news/polit/1735011.html
(18) http://www.state.gov/statecraft/cs20/index.htm vgl. http://www.youtube.com/watch?v=a0TY_ndunqs
(19) Video vom „TechCamp“ in Kiew: http://www.youtube.com/watch?v=bpIoBUDuL3U
(20) http://www.paulcraigroberts.org/2014/02/17/us-eu-paying-ukrainian-rioters-protesters-paul-craig-roberts/ deutsche Übersetzung: http://antikrieg.com/aktuell/2014_02_17_vereinigte.htm
(21) http://www.jungewelt.de/2012/08-10/017.php
(22) http://www.chavezcode.com/2010/06/ned-report-international-agencies-fund.html
(23) http://www.jungewelt.de/2014/02-22/021.php
(24) http://www.kas.de/wf/doc/kas_33521-1522-1-30.pdf?130828100809, S. 144, S. 146.
(25) http://www.kas.de/wf/de/33.21719/
(26) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58327
(27) http://www.kas.de/wf/de/33.21719/
(28) http://www.kas.de/wf/doc/kas_34772-1522-1-30.pdf?130619175939, S. 2.
(29) https://www.kas.de/wf/doc/kas_34772-1522-1-30.pdf?130619175939, S. 2f.
(30) http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Politik/d/4184116/rechte-schlaeger-kapern-die-protestbewegung.html
(31) http://www.jungewelt.de/2014/02-24/001.php
(32) http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2012-0507+0+DOC+XML+V0//DE
(33) http://www.jungewelt.de/2013/12-06/047.php
(34) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58805
(35) Vgl. http://www.jungewelt.de/2014/02-21/012.php
(36) http://www.boell.de/de/2014/02/20/euromaidan-freiheitliche-massenbewegung-zivilen-ungehorsams
(37) http://www.welt.de/politik/deutschland/article119693077/Biermann-will-fuer-plietsche-Merkel-CDU-waehlen.html
(38) Wolf Biermann bei Springer unter Vertrag – in Berliner Zeitung 9.11.2000
(39) http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article124617132/Kaempfen-Sie-weiter-als-Ukrainer-und-Europaeer.html
(40) Vgl. http://www.hintergrund.de/201402192994/politik/welt/im-endkampf.html
(41) http://www.sueddeutsche.de/politik/offener-brief-aus-der-ukraine-standhaft-gegen-die-todesschwadronen-1.1871445
(42) http://www.sueddeutsche.de/politik/klitschko-und-die-proteste-in-der-ukraine-gesicht-einer-gekaperten-protestbewegung-1.1871212
(43) http://www.kas.de/wf/de/33.36675/
(44) http://www.welt.de/debatte/kommentare/article124208701/In-der-Ukraine-werden-alte-Gespenster-wach.html
(45) http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-janukowitsch-partei-beschimpft-klitschko-a-945780.html
(46) http://www.kas.de/wf/doc/kas_36200-544-1-30.pdf, S. 28, S. 41, S. 6.
(47) http://www.neues-deutschland.de/artikel/924931.teile-der-opposition-uebernehmen-kiew.html
(48) http://rt.com/news/ukraine-right-sector-militants-210/
(49) http://www.haaretz.com/jewish-world/jewish-world-news/1.575732
(50) http://www.haaretz.com/jewish-world/jewish-world-news/.premium-1.575808
(51) http://rt.com/news/war-monument-toppled-ukraine-351/
(52) http://www.kas.de/akademie/de/publications/36682/