Unterwerfung und Klientelismus
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In Afghanistan berät eine Versammlung von Stammesvertretern über die Fortsetzung der westlichen Militärpräsenz nach 2014 –
Von THOMAS EIPELDAUER, 21. November 2013 –
Seit Donnerstag berät in Kabul die Loya Jirga, die „große Versammlung“ von Stammesvertretern, die in Afghanistan immer noch als eine der maßgeblichen Instanzen zur Klärung überregionaler politischer Fragen gilt. Etwa 2 500 Teilnehmer zählt die archaisch anmutende Veranstaltung, die Stadt befindet sich aus Furcht vor Anschlägen im polizeilichen und militärischen Ausnahmezustand. Im Mittelpunkt des Zusammentreffens steht die Diskussion um ein Sicherheitsabkommen (Bilateral Security Agreement, BSA) zwischen Afghanistan und den USA, das den Verbleib US-amerikanischer Truppen über 2014 hinaus regeln soll. Der derzeitige Kampfeinsatz der Internationalen Schutztruppe Isaf läuft Ende 2014 aus und soll so um weitere zehn Jahre, bis 2024, verlängert werden.
Bereits vor dem Zusammentreffen der Loya Jirga hatten die Regierungen der USA und Afghanistans sich auf einen Textentwurf für den bilateralen Sicherheitsvertrag verständigt, der für die Islamische Republik eine Reihe nur schwer zu ertragender Bestimmungen enthält. Zunächst bedeutet er die Fortsetzung des Militäreinsatzes für weitere zehn Jahre. Mehrere tausend ausländische Soldaten sollen im Land bleiben, eine genaue Zahl ist nicht bekannt, aber US-Medien sprechen von bis zu 15 000 NATO-Kriegern. Mindestens neun Militärbasen im Land bleiben erhalten. Dies zwar offenbar unter der Prämisse, dass sich die US-Truppen vor allem auf Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Armee konzentrieren. Kampfeinsätze, sollten sie nötig sein, werden aber nicht ausgeschlossen.
Dass es nicht um bloße Ausbildung geht, dafür spricht ein weiterer zentraler Punkt der Übereinkunft: Weiterhin sollen Soldaten und Angestellte des US-Militärs der afghanischen Justiz entzogen bleiben, wenn sie Verbrechen verüben. Zudem ist die Rede von „Antiterroroperationen“, die vom US-Militär in Kooperation mit den afghanischen Streitkräften fortgesetzt werden sollen. (1) Offenbar enthält der Vertrag einige schwache rhetorische Zugeständnisse an die afghanische Seite, wie z.B. die Einschränkung sogenannter „night raids“, nächtlichen Überfällen auf die Häuser von Zivilisten oder vermeintlichen Aufständischen, die im Land besonders auf Kritik stoßen, weil sie als entehrend für die afghanischen Frauen gelten. Doch auch die „night raids“ werden nicht kategorisch ausgeschlossen, sie sollen in bestimmten Situationen möglich bleiben, etwa wenn das Leben von US-Amerikanern in Gefahr sei.
In Afghanistan warb zunächst vor allem Präsident Hamid Karzai für das Sicherheitsabkommen. Zwar gab er sich, wie so oft, vor den Stammesvertretern der Loya Jirga kritisch, letztlich allerdings hat er als Staatsmann von Washingtons Gnaden das größte Interesse an einem Verbleib internationaler Streitkräfte. Ohne sie wäre das von ihm und seinem Clan errichtete System von Korruption und Kleptomanie in dem entlang vieler Linien gespaltenen Land nur schwer aufrecht zu erhalten. Es ist offenkundig, „dass die afghanische Regierung will – wollen muss –, dass die US-Armee in Afghanistan engagiert bleibt, erstens aus militärischen und zweitens aus finanziellen Gründen. Mit den Amerikanern bliebe das Geld aus, das das klientelistische System zusammenhält. Und deshalb bekommen die USA von Karsai nun das, was ihnen der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki 2011 für sein Land verweigerte: rechtliche Immunität für ihre Truppen und weitreichende Rechte, ihren ‘war on terror’ innerhalb des Landes weiterzuführen“, kommentiert Gudrun Harrer im österreichischen Standard. (2)
Deshalb sind auch die Verhandlungen der Stammesältesten hauptsächlich Kulisse einer unvermeidbaren freiwilligen Unterwerfung. Der Präsident dominiert die Veranstaltung, die meisten Deligierten stärken ihm den Rücken. Karsai selbst hat sich indessen am zweiten Tag der Beratungen der Loya Jirga noch zu einer leicht zu durchschauenden Geste der Widerspenstigkeit hinreißen lassen. Nachdem US-Aussenminister John Kerry bereits Vollzug gemeldet hatte, ließ der König von Kabul verlauten, er wolle das BSA nun doch nicht vor der im April 2014 anstehenden Präsidentschaftswahl unterzeichnen. Aus den USA war prompt zu hören, man werde am bestehenden Zeitplan festhalten, ein Aufschub bis Mai 2014 sei nicht zu haben.
Anmerkungen
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(2) http://derstandard.at/1381374209960/Der-laengste-Krieg-geht-weiter