Blockupy: Polizeiprügelorgie gegen Großdemonstration
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Von SEBASTIAN RANGE, 03. Juni 2013 –
Der Polizeieinsatz bei der Blockupy-Demonstration in Frankfurt am Main am vergangenen Samstag erhitzt die Gemüter. Rund 15 000 Menschen waren dem Aufruf des Bündnisses aus attac, Gewerkschaften, linken Parteien und Organisationen aus dem In- und Ausland gefolgt, um „den Widerstand gegen die Verarmungspolitik von Regierung und Troika – der EZB, der EU-Kommission und des IWF – in eines der Zentren des europäischen Krisenregimes“ zu tragen. Bereits im vergangenen Jahr hatten 25 000 Menschen trotz massiver Behinderungen durch den Staatsapparat von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch gemacht und an den Blockupy-Aktionstagen in der Bankenmetropole teilgenommen.
Erfolgreich hatte das Aktionsbündnis im Vorfeld vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) eine Route durchgeklagt, die am Sitz der Europäischen Zentralbank vorbei führt. Der Protestzug hatte kaum begonnen, „als die Polizei die bis dahin friedliche Demonstration noch am Anfang ihrer Route anhielt und den vorderen Teil des Zuges einkesselte“, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung. (1)
In den daraufhin beginnenden Verhandlungen seien die Demonstranten der Polizei „weit entgegen gekommen“, erklärte ein Sprecher des Bündnisses. So hätten die Eingekesselten beanstandete Gegenstände zurück gelassen. Zudem habe die Demo-Leitung eine von der Polizei vorgegebene Änderung der Route, die nun nicht mehr an der EZB vorbei führen sollte, unter Protest akzeptiert.
„Die Route an der EZB vorbei wurde über mehrere rechtliche Instanzen genehmigt. Hier setzt sich die Exekutive über den Rechtstaat hinweg,“ kritisierte Blockupy-Sprecherin Ani Dießelmann das Verhalten der Polizei. (2) Doch auch die alternative Route konnte nicht bestritten werden, da die Polizei darauf bestand, alle Eingekesselten einer Leibesvisitation zu unterziehen und deren Personalien festzustellen. Darauf wollten sich weder die von den „Ordnungshütern“ Umringten einlassen, noch die anderen Teilnehmer der Demonstration, die sich mit den Eingekesselten solidarisierten.
Gewollte Eskalation
Nach stundenlangem Stillstand entschied sich die Polizei für die Eskalation: Zwei Stunden lang griffen Einsatzhundertschaften die Eingekesselten immer wieder mit Schlagstöcken und Pfeffergas an und zogen Demonstranten einzeln heraus. Laut Darstellung des Ermittlungsausschuss Frankfurt sei Sanitätern der Zugang zu den Eingekesselten, unter denen sich auch Kinder, Anwälte, Journalisten und Parlamentarier befanden, verwehrt worden. Über 200 Demonstranten seien verletzt worden, zumeist durch den Einsatz von Pfeffergas. (3) Die Polizei setzte auch Schlagstöcke ein. Unter den Eingekesselten habe es Schwerverletzte gegeben. Auch seien Journalisten Opfer der Polizeigewalt geworden. (4)
Nur wenige Stunden nach dem Einsatz verteidigte der Frankfurter Polizeipräsident Achim Thiel das Vorgehen der Beamten. Er sagte, „das heute gezeigte Verhalten der Störer im Schwarzen Block“ habe der Einsatzleitung in ihrer Entscheidung, „die vermummten und gegen Auflagen verstoßenden Demonstranten anzuhalten und ihre Identität festzustellen, leider keine Wahl gelassen“. (5)
Der Straftatbestand der Vermummung wurde dabei großzügig ausgelegt: Der Polizei bewertete bereits das Tragen von Regenschirmen und Sonnenbrillen als Verstoß gegen das Vermummungsverbot. Anlass für die Einkesselung waren „drei Böller, die im Block gezündet wurden“, schreibt die FAZ. (6) Dass sich die Einsatzleitung der Polizei spontan dazu entschieden habe, wegen einiger Böller eine Großdemonstration mit über zehntausend Teilnehmern aufzuhalten und rund eintausend Menschen stundenlang einzukesseln, und somit ein Grundrecht faktisch außer Kraft zu setzen, ist alleine aus organisatorischen und einsatztaktischen Erwägungen heraus äußerst unglaubwürdig.
„Alles deutet darauf hin, dass diese Eskalation von der Polizeiführung in Wiesbaden von langer Hand vorbereitet worden und der Kessel an dieser Stelle von vornherein geplant worden ist”, sagte Blockupy-Sprecherin Ani Dießelmann. So seien etwa die Dixie-Toiletten für die Eingekesselten innerhalb weniger Minuten vor Ort gewesen. „Die standen offenbar schon passend bereit.” (7)
Als „völlig aus der Luft gegriffen“ bezeichnete Polizeipräsident Thiel die Behauptung, die Einkesselung sei geplant gewesen. Er verwehrte sich auch gegen die Vermutung, man habe die Personalien der Demonstranten aufnehmen wollen, um mögliche Verbindungen zu einer Demonstration des vergangenen Jahres zu prüfen, bei der es zu schweren Sachbeschädigungen aus dem „Schwarzen Block“ heraus gekommen war.
Widerspruch erntete er ausgerechnet aus den eigenen Reihen. Gegenüber der Bild bestätigten mehrere Polizisten den Verdacht des Blockupy-Bündnisses: Der Kessel sei geplant worden, um Personalien von Teilnehmern abgleichen zu können. (8)
Politisches Nachspiel
Der Anmelder der Demonstration, Werner Rätz, bezeichnete den Polizeieinsatz gegenüber Hintergrund als „unfassbaren Vorgang“, der ein „rechtlicher und demokratischer Skandal“ sei. Die Frankfurter Versammlungsbehörde sehe es wohl als ihre Aufgabe an, Demonstrationen „missliebiger Meinungen“ zu unterbinden.
Die Verantwortung sieht Rätz nicht bei der Einsatzleitung vor Ort, mit der wahrscheinlich eine Einigung hätte erreicht werden können. Schließlich gebe es immer einen Ermessensspielraum. Die Entscheidung hätte bei der Polizeileitung in Wiesbaden gelegen, mit der die Demo-Leitung nicht direkt verhandeln konnte. Viele Polizisten hätten ihm „deutlich zu erkennen gegeben“, dass sie mit der Situation „unzufrieden“ seien. Nach Rätzs Einschätzung sind sie für ein „politisches Spektakel“ „verheizt“ worden. In den politischen Machtetagen gebe es ein großes Interesse, die Debatte um die Euro-Krise nicht stattfinden zu lassen.
„Dass unsere Proteste gegen die Kürzungspolitik hier zu Lande ebenso wie in anderen europäischen Ländern durch brutale Knüppeleinsätze der Polizei verhindert werden sollen, zeigt, dass wir einen Nerv treffen. Die autoritäre Krisenpolitik soll gegen jeden Widerstand durchgesetzt werden, koste es, was wolle – und sei das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit”, erklärte Bündnis-Sprecherin Ani Dießelmann. (9)
Ähnlich kommentierte die Frankfurter Rundschau die Vorgänge: Unbeeindruckt von Gerichtsurteilen zu Gunsten der Demonstrationsfreiheit hätten sich die Verantwortlichen entschieden, „den Finanzkapitalismus in der Bankenstadt gegen jede auch nur symbolische Störung zu verteidigen“. „Das rigide Verhalten der Polizei ist, entgegen den Absichten der Verantwortlichen, selbst zu einer Demonstration geworden. Es demonstrierte anschaulich, dass es an entscheidender Stelle der deutschen Politik noch immer Kräfte gibt, die glauben, sie könnten die skandalösen Begleitumstände der sogenannten Euro-Rettung vergessen machen, indem sie sie verschweigen. Und notfalls mit Gewalt gegen jene vorgehen, die dabei stören.“ (10)
Landesvertreter der Grünen und der SPD wollen den umstrittenen Polizeieinsatz parlamentarisch aufklären lassen. Auch die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping, kündigte ein „politisches Nachspiel“ an. „Das war ein gezielter und von langer Hand geplanter Angriff auf eine bis dahin friedliche Demonstration. Es liegt auf der Hand, dass die Gewalt in Frankfurt von der Polizei ausging. Hier sollte offenbar ein Exempel statuiert werden, um Menschen vom demokratischen Protest gegen die Macht der Banken abzuhalten.“ Es müsse aufgeklärt werden, „wer wann was angeordnet hat, und wer vorab Kenntnis von diesem geplanten Angriff hatte“. (11) Vor allem Hessens Innenminister Boris Rhein sei in der Bringpflicht. Kipping hatte an der Demonstration teilgenommen und befand sich auch in dem Kessel, aus dem sie dann von der Polizei abgeführt wurde.
Als „rabenschwarzen Tag für die Demokratie in Deutschland und Europa“ bezeichnete Ulrich Wilken, Landeschef der hessischen Linken uns selbst Teilnehmer der Demonstration, den Angriff einer „Polizei-Armada auf die Blockupy-Demonstranten“. (12)
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Holger Bellino, verteidigte hingegen die Außerkraftsetzung des Demonstrationsrechtes: „In der Abwägung der Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Demonstrationsfreiheit wurde ein angemessener Ausgleich gefunden. Wieder einmal wurde das Recht auf Demonstrationsfreiheit missbraucht, um Krawalle zu veranstalten.“ (13)
Nach Lage der Fakten gab es für die Polizei allerdings nichts abzuwägen: Von der Demonstration ging keine Bedrohung körperlicher Unversehrtheit aus. Die Gewalt ging von der Polizei aus, wie selbst die konservative FAZ feststellte: „Aus Wut über das Vorgehen der Polizei zündeten die Demonstranten, die sich über Stunden zunächst ruhig verhalten hatten, bengalische Feuer und schossen Feuerwerksraketen.“ (14)
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Anmerkungen
(1) http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/blockupy-polizei-geraet-nach-einsatz-in-erklaerungsnot-12205900.html
(2) http://blockupy-frankfurt.org/2008/blockupy-demo-polizei-will-wunsch-route-der-stadt-erzwingen/
(3) http://ea-frankfurt.org/
(4) http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/frankfurt-schwerverletzte-bei-blockupy-demonstration-12204307.html
(5) http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/blockupy-polizei-geraet-nach-einsatz-in-erklaerungsnot-12205900.html
(6) http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/frankfurt-schwerverletzte-bei-blockupy-demonstration-12204307.html
(7) http://blockupy-frankfurt.org/2013/pressemitteilung-eskalation-und-kessel-offensichtlich-von-langer-hand-geplant/
(8) http://www.bild.de/regional/frankfurt/polizei/geht-gegen-blockupy-vor-30660420.bild.html
(9) http://blockupy-frankfurt.org/2023/pressemitteilung-blockupy-kraftvolle-proteste-gegen-europaweite-verarmungspolitik-erneut-skandaloese-beschneidung-der-demonstrationsfreiheit-exekutive-in-wiesbaden-setzt-sich-ueber-gerichtsurtei/
(10) http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/leitartike-zul-blockupy-frankfurt-die-ordnung-der-anderen,15402798,23098752.html
(11) https://www.die-linke.de/nc/presse/presseerklaerungen/detail/zurueck/presseerklaerungen/artikel/angriff-auf-blockupy-demonstration-wird-politisches-nachspiel-haben/
(12) http://www.hr-online.de/website/specials/extended/index.jsp?rubrik=81261&key=standard_document_48633809
(13) ebd.
(14) http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/frankfurt-schwerverletzte-bei-blockupy-demonstration-12204307.html