Auf dem Pfad der Eskalation
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Eine deutsche Denkfabrik konspiriert gegen Syriens Regierung –
Von SEBASTIAN RANGE, 28. Juli 2012 –
Wie die ZEIT in der vergangenen Woche von Beteiligten erfahren haben will, hat sich in Berlin-Wilmersdorf „seit Januar eine Gruppe von bis zu 50 syrischen Oppositionellen aller Couleur geheim getroffen, um Pläne für die Zeit nach Assad zu schmieden“. Ort der klandestinen Zusammenkünfte war die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) am Ludwigkirchplatz.
Die Regimegegner wurden „unter beträchtlichem Aufwand“ diskret „aus der ganzen Welt“ nach Berlin eingeflogen. Darunter „Ex-Generäle, Wirtschafts- und Justizexperten sowie Vertreter aller Ethnien und Konfessionen – Muslimbrüder eingeschlossen, aber auch säkulare Nationalisten“, schreibt der Autor Jörg Lau in dem ZEIT-Artikel. „Das geheime Projekt mit dem Namen „Day After“ wird von der SWP in Partnerschaft mit dem United States Institute of Peace (USIP) organisiert. (…) Das deutsche Außenministerium und das State Department helfen mit Geld, Visa und Logistik.“ (1)
Auch das Schweizer Außenministerium gehört laut Steven Heydemann, der für das USIP an dem Projekt teilnimmt, zu den Finanziers der geheimen Runde. (2)
Die beteiligten Think Tanks
Gegründet wurde das United States Institute of Peace vom US-Kongress bereits unter der Präsidentschaft Ronald Reagans als überparteiliche Einrichtung, um laut seinem Eigenverständnis „internationale Konflikte zu vermeiden oder zu entschärfen – ohne den Einsatz von Gewalt“. (3)
Die Vorstandsmitglieder des Think Tanks werden vom jeweiligen US-Präsidenten ernannt und müssen vom Senat genehmigt werden, wobei sich die Zahl der Republikaner und Demokraten die Waage halten muss.
Die deutsche Stiftung Wissenschaft und Politik ist ebenfalls eng an die eigene Regierung angebunden. Sie wird hauptsächlich aus Bundesmitteln finanziert und gilt als „der größte außenpolitische Think Tank Europas“. (4) Die SWP ist Trägerin des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit, das die Regierung und das Parlament in außen- und sicherheitspolitischen Fragen berät.
Zu den Sponsoren der 1962 gegründeten Stiftung gehören Konzerne wie die Allianz Versicherung, die Daimler AG und die Deutsche Bank. Dem Stiftungsrat als oberstem Aufsichts- und Entscheidungsorgan der SWP gehören Staatssekretäre aus dem Wirtschafts-, Innen-, Bildungs- und Verteidigungsministerium an. Auch der Leiter im Planungsstab des Auswärtiges Amtes, Dr. Thomas Bagger, ist mit von der Partie. Im Präsidium des Stiftungsrates sitzen der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Hans-Ulrich Klose, sowie der Chef des Bundeskanzleramtes, Ronald Profalla. Mit Hans-Peter Keitel, dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, komplettiert ein Vertreter der Wirtschaft das dreiköpfige Präsidium.
Doch auch weitere hochrangige Vertreter der Wirtschaft haben im Stiftungsrat ihren Platz, zum Beispiel Jürgen Fitschen als Vorstandsmitglied der Deutschen Bank oder der langjährige Forschungsleiter bei der Daimler AG, Eckard Minx. Insgesamt beschäftigt die SWP 130 Mitarbeiter.
In Hinblick auf das von den beiden Think Tanks geleitete Projekt schreibt die ZEIT: „Zwar nehmen auch Angehörige der Freien Syrischen Armee teil“, aber „der Weg hin zum Sturz Assads und die damit verbundene Debatte um Fluch und Segen militärischer Interventionen wird in Berlin bewusst ausgeklammert.“ (5)
Auch der USIP-Vertreter des Projektes, Steven Heydemann, erklärte am 18. Juli in einem Interview mit dem US-Sender PBS: „Wir haben absichtlich Abstand davon gehalten, direkt am Sturz Assads mitzuwirken.“ (6) Heydemann ist USIP-Chefberater für den Bereich Naher Osten. In dem Interview gab er erstmals die Existenz des Day After-Projektes öffentlich preis, ohne jedoch dessen Namen oder die deutsche Beteiligung daran zu verraten. Die Offenlegung erfolgte zwei Tage später: „Unser Projekt heißt Day After. Es gibt andere Gruppen, die für den Tag davor arbeiten.“ (7)
Bewusst habe man auf die Anwesenheit von US-Regierungsvertretern, selbst als Beobachter, verzichtet. „In dieser Situation wäre eine zu sichtbare Rolle der USA zutiefst kontraproduktiv. Es hätte dem Assad-Regime und Elementen der Opposition den Vorwand gegeben, den Prozess zu delegitimieren“, erklärte Heydemann die Vorgehensweise. (8)
Ein doppeltes Spiel, an dem sich auch Deutschland beteiligt. „Die Sache musste unter dem Radar der Öffentlichkeit gehalten werden, um eine freie Debatte zu ermöglichen“, so Jörg Lau. Aber auch aus einem anderen Grund: „Solange Deutschland noch an Assad und seine Paten in Moskau und Peking appellierte, wäre es kontraproduktiv gewesen, konkrete Planungen für ein freies Syrien offenzulegen.“ Das Fazit der Wochenzeitung: „Deutschland ist sehr viel stärker in die Vorbereitungen der syrischen Opposition einbezogen, als man bisher öffentlich erklärte.“ (9)
Deutschland – ein Freund der syrischen Wirtschaft
Eine wirkliche Überraschung ist das nicht. Denn auch an anderer Stelle wird ganz unverhohlen an einer stärkeren Einflussnahme auf Syrien und vor allem die anvisierte Nach-Assad-Ära gearbeitet. Laut Angaben des Auswärtigen Amtes wurde im Februar dieses Jahres bei einem Treffen der Gruppe der „Freunde Syriens“ „auf Initiative von Außenminister Guido Westerwelle“ die Gründung der Arbeitsgruppe „wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung“ beschlossen. „Ko-Vorsitzende dieser Arbeitsgruppe sind Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate. Ziel der Arbeitsgruppe ist es, ein Forum zu schaffen, in dem die Unterstützung des Wiederaufbaus Syriens nach dem Ende des Assad-Regimes koordiniert werden kann. Außerdem soll sie der syrischen Opposition die Möglichkeit geben, sich mit Beratung durch die internationale Gemeinschaft ein wirtschaftspolitisches Profil zu erarbeiten. Die Arbeitsgruppe steht allen Mitgliedern der Freunde des syrischen Volks offen und arbeitet eng mit der syrischen Opposition zusammen“, so das Auswärtige Amt in einer Bekanntmachung. (10)
Im Mai zeigte sich der deutsche Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Clemens von Goetze, überzeugt davon, dass es zu einem Machtwechsel kommen werde. Es sei daher richtig, frühzeitig mit der Planung einer längerfristigen Perspektive für die Zeit danach zu beginnen, so Goetze. (11)
Hauptanliegen des Projektes sei, so der syrische Delegierte Farah Attasi, den „Wiederaufbau des syrischen Staates“ in dieser Periode zu gewährleisten. Es gehe darum, eine Art Marshall-Plan zu entwickeln, „ganz gleich, ob der Syrische Nationalrat die Macht an sich reißt oder es zu einem friedlichen Wechsel kommt“. (12)
Was die Erarbeitung eines wirtschaftspolitischen Profils betrifft, konnten bereits erste Erfolge vermeldet werden. „Deutsche Diplomaten äußern sich erfreut, dass der Syrische Nationalrat (…) sich beim Treffen der Arbeitsgruppe klar zur Marktwirtschaft“ bekannt hat. (13) Seit Jahren setzt sich Deutschland für eine Privatisierung der syrischen Wirtschaft ein.
Konspiration der Visionäre
Doch noch stößt die Förderung einer neoliberalen Entwicklung auf so manche Schwierigkeiten. „Eine der größten Herausforderungen, mit denen die syrische Opposition seit Anbeginn konfrontiert ist, ist die Unfähigkeit, eine klare Vision zu vermitteln, was in Syrien geschehen wird, sobald das Assad-Regime kollabiert“, so Steven Heydemann vom USIP. (14)
Eine solche Vision zu entwerfen, ist das Ziel der Treffen in Berlin-Wilmersdorf. Heydemann legt Wert darauf, den Eindruck zu vermitteln, die beiden Think Tanks würden im Prozess der visionären Umgestaltung Syriens die Rolle eines begleitenden Helfers und nicht die eines leitenden Dirigenten einnehmen. Dementsprechend sei die US-Denkfabrik erst aktiv geworden, nachdem eine Reihe „glaubwürdiger Vertreter der Opposition“ an sie mit der Bitte herangetreten sei, dafür zu sorgen, dass einer Übergangsregierung nach dem Sturz Assads auch „einige Ressourcen“ zur Verfügung stehen. (15)
Auch der als Syrienkenner geltende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, betont diesen Sachverhalt. Die beteiligten Oppositionellen hätten „sich selbst rekrutiert, denn es ist nicht unsere Aufgabe, hier eine neue syrische Regierung auszuwählen“. (16)
Bei der Wahl des Ortes kam man möglichen Animositäten der USA bezüglich der „glaubwürdigen Oppositions-Vertreter“ entgegen. „Für Berlin als Tagungsort sprach von Beginn an, dass es kaum möglich gewesen wäre, die Teilnehmer aus dem islamistischen Spektrum in die USA zu bringen.“ (17)
Laut der Projektleiterin des sich bis vor kurzem noch konspirativ treffenden Kreises, Dr. Muriel Asseburg, geht es bei den Treffen darum, für den „Tag danach“ „konkrete Maßnahmen“ auszuarbeiten, „um für Ordnung“ sorgen zu können. (18) Asseburg leitete bis zum Juni 2012 sechs Jahre lang die Forschungsgruppe „Naher/Mittlerer Osten und Afrika“ der SWP.
Zusammen mit Volker Perthes warb sie seit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings wiederholt öffentlich für eine Unterstützung der syrischen Opposition. Die beiden SWP-Vertreter beteiligten sich dabei aber immerhin nicht an der in den Massenmedien vorherrschenden Schwarz-Weiß-Malerei. So schrieb Perthes im März 2011 in einem Artikel für die New York Times, „fairerweise“ müsse gesagt werden, „dass Assad sich nicht nur auf Repression und seine Gefolgsmänner verlässt. Im Unterschied zu Hosni Mubarak oder Zine el-Abidine Ben Ali hat der relativ junge syrische Führer tatsächlich einige Popularität erlangt“. (19)
Sogar knapp ein Jahr später – nachdem die Unruhen in Syrien weiter eskalieren – schreibt auch Asseburg, es würde „noch eine beträchtliche Zahl Syrer geben, die hinter Präsident Assad stehen“, und dass sich die Mehrheit, insbesondere unter den Racheakte befürchtenden religiösen Minderheiten, passiv verhalte. (20)
(Un)geklärte Widersprüche
Interessanterweise gab es im Januar 2012, als das Day After-Projekt ins Leben gerufen wurde, zwischen der US-Denkfabrik und ihrem deutschen Pendant noch einen Dissens bezüglich der konkreten Unterstützung der sogenannten Rebellen.
USIP-Vertreter Steven Heydemann sagte Anfang Februar, eine politische Lösung der Syrien-Krise sei nicht in Sicht. Die USA sollten daher die unvermeidbare Militarisierung des Konfliktes „managen“ und diese nicht anderen Kräften überlassen. Er spielt dabei auf Saudi-Arabien und Katar an, die die Rebellen mit Waffen versorgen. Die bestehenden bewaffneten Gruppen müssten unter ein vereintes Kommando gebracht werden – das der USA. Natürlich nur – schließlich ist Heydemann Vertreter eines „Friedens“-Instituts – um zu gewährleisten, dass die militärischen Strukturen der Opposition unter einer zivilen Führung stehen und weil die Existenz zersplitterter und nur „begrenzt zu kontrollierender Milizen“ den Konflikt „verlängern und gewalttätiger“ machen würde. (21)
Während Heydemann damit, wenn auch verklausuliert, für ein indirektes militärisches Eingreifen plädierte, hatte Muriel Asseburg vom SWP sich noch eine Woche zuvor dagegen ausgesprochen, der Freien Syrischen Armee (FSA) Militärgüter zukommen zu lassen oder sich an der Militarisierung des Konfliktes zu beteiligen. (22) Zwei Monate zuvor hatte sie diese ablehnende Haltung wie folgt begründet: „Eine weitere Militarisierung des Konfliktes ist nicht im Sinne der Protestbewegung, sondern spielt dem Regime in die Hände, das argumentiert, gegen einen bewaffneten Aufstand zu kämpfen. Sie gibt ihm Raum, ethnische und konfessionelle Konflikte weiter anzustacheln, und sie verängstigt Angehörige von Minderheiten und der Unternehmerschicht weiter, statt diese dazu zu ermutigen, sich der Protestbewegung anzuschließen. Vor allem aber hat der bewaffnete Kampf keine Chance, gegen das nach wie vor starke und in den oberen Rängen geeinte syrische Militär erfolgreich zu sein. Die internationale Gemeinschaft sollte daher dringend auf gewaltfreien Protesten bestehen und sich davor hüten, die Freie Syrische Armee zu unterstützen.“ (23)
Angesichts der Zielvorgabe der Berliner Runde, sich auf den „Tag danach“ zu konzentrieren, mag der Meinungsunterschied hinsichtlich der militärischen Frage nicht so sehr ins Gewicht gefallen sein. Mittlerweile scheint er gänzlich überwunden – zugunsten der US-Vertreter.
Anfang Juli schwenkte Asseburg auf die US-Linie ein, als sie schrieb, die Erfolgschancen für Verhandlungen „liegen bei Null“. Es sei für beide Seiten ein „Kampf um die physische Existenz, der es nicht erlaubt, die Situation anders denn als Nullsummenspiel zu betrachten. Und das heißt, auf militärischen Sieg zu setzen“. Nur die totale Kapitulation komme noch in Frage: „Die Gewalt in Syrien wird nicht durch Verhandlungen, sondern nur durch den Sieg oder die Erschöpfung einer Seite beendet werden.“ (24)
Und welche Seite bis zum Endsieg unterstützt werden soll, versteht sich von selbst. Auch wenn Asseburg einräumt, dass die „ideologische Orientierung und (die) Methoden“ vieler der zur FSA gehörenden Rebellengruppen „äußerst fragwürdig“ seien, habe vor allem das Regime „bei seinen Rückzugsgefechten verbrannte Erde hinterlassen und auch massive Menschenrechtsverletzungen nicht gescheut“. (25)
Der Konflikt könne „im schlimmsten Falle (zu) ethno-konfessioneller Gewalt mit genozidalen Ausmaßen führen“. Letztlich sei zu befürchten, dass „die Konfliktdynamik solch katastrophale Folgen zeitigt, dass der Westen unter immensen moralischen Druck gerät, direkt militärisch zu intervenieren – auch wenn dafür kein Sicherheitsratsmandat vorliegt“. (26)
Im Klartext: Die Eskalation soll so lange fortgeführt werden, bis das Assad-Regime gefallen ist. Und wenn es sich weiterhin als zu zählebig erweist, dann muss der Westen, der ja schnell und leichtfertig immer wieder „unter immensen moralischen Druck“ gerät und sich anschließend selbst nötigen muss, militärisch zu intervenieren, im Rahmen der sogenannten Schutzverantwortungs-Doktrin eingreifen und es beseitigen. Damit agiert die größte außenpolitische Denkfabrik Deutschlands als Stichwortgeber einer militärischen Intervention.
In dieselbe argumentative Kerbe schlug kürzlich UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon anlässlich des Jahrestages des – was die Hintergründe betrifft, nach wie vor umstrittenen – Massakers im bosnischen Srebrenica 2005.
„Wir müssen aus Srebrenica die Lehren ziehen“, so Ban während einer Trauerfeier an der zentralen Gedenkstätte. „Die internationale Gemeinschaft hat dabei versagt, den nötigen Schutz für die vielen Menschen zu gewährleisten, die zu einer Zeit getötet wurden, als sie unsere Unterstützung brauchten.“ Heute werde die Welt durch Syrien „herausgefordert“. Die internationale Gemeinschaft müsse sich vereinen, um dort jedes weitere Blutvergießen zu verhindern. Er wolle nicht, dass einer seiner Nachfolger in zwanzig Jahren dem Land einen Besuch abstatte und sich für das entschuldige, „was wir alles hätten tun können, um die Zivilisten in Syrien zu schützen – es aber heute nicht tun“, so der Generalsekretär. (27)
Noch deutlicher wurde er in einer Ansprache vor dem bosnischen Parlament: „Hier, im Herzen von Bosnien-Herzegowina, richte ich einen Aufruf an die ganze Welt: Wartet nicht länger! Handelt! Handelt jetzt, um das Massaker in Syrien zu beenden!“ Die gleiche Staatengemeinschaft, die während des Bosnienkrieges dabei „versagte, den Völkermord zu verhindern“, werde gegenwärtig in Syrien „einem Test unterzogen“. (28)
Die Anfang Juli erklärte Neupositionierung seitens der SWP lässt darauf schließen, dass sich die „Freunde Syriens“ hinter den Kulissen geeinigt haben, verstärkt die militärische Karte auszuspielen. Dazu passt die zeitliche Entwicklung: Mitte Juli erfolgte die Ausrufung der Operation Vulkan seitens der Freien Syrischen Armee – also des Sturms auf die bis dahin von Gewalt weitgehend verschont gebliebene Hauptstadt Damaskus. Dieser Großangriff wird nicht ohne Absprache mit den „Freunden Syriens“ erfolgt sein.
Den im Rahmen der Offensive erfolgten Anschlag auf das Führungspersonal des Sicherheitsapparates, bei dem am 18. Juli unter anderem ein Schwager Assads getötet wurde, bezeichnete Steven Heydemann als „Wendepunkt“. (29) Er erwarte ein baldiges Ende der syrischen Regierung. Tatsächlich erbrachte die Offensive nicht den erhofften Sturz Assads. Auch die zur Unterminierung der gegnerischen Kräfte in Umlauf gebrachte Falschmeldung, der syrische Machthaber sei dabei, sich ins Ausland abzusetzen, hat der FSA keinen wirklichen Vorteil während des Sturmlaufs verschaffen können.
Das Assad-Regime erweist sich als zäher, als es auch SWP-Direktor Perthes vermutet hatte. Es sei „in seinem Endstadium angelangt“, prognostizierte er schon im Oktober 2005, „auch wenn es versuchen mag, den Exitus noch einige Monate oder Jahre hinauszuzögern“. (30) Sein damaliger Artikel enthält eine vor dem Licht der aktuellen Ereignisse äußerst interessante Einschätzung: „Dass die Syrer einen Regimewechsel von außen begrüßen würden, ist eine Illusion. Solche Wunschvorstellungen einiger schlecht informierter Kräfte würden den syrischen Nationalismus mindestens so unterschätzen wie zuvor den irakischen. Ebenso irrsinnig wäre es, auf Vertreter jener selbsternannten Opposition zu setzen, die sich in den Washingtoner Korridoren besser auskennen als in den Straßen von Damaskus.“ Und mit eben jenen „selbsternannten“ Vertreten der Opposition bastelt Perthes nun selbst seit einem halben Jahr im Verborgenen an der Zukunft des arabischen Landes.
Das Day After-Projekt reflektiert die Korrektur der US-Außenpolitik unter Präsident Obama. Seiner Vorgänger-Administration war insbesondere von deutscher Seite vorgehalten worden, bei der militärischen Intervention im Irak im März 2003 keinerlei vernünftiges Konzept für die Zeit nach dem rasch erfolgten Sturz Saddam Husseins entwickelt und damit maßgeblich über Jahre hinaus zur Destabilisierung des Zweistrom-Landes beigetragen zu haben. Washington hat dazugelernt. Was Syrien betrifft, wird das Vorgehen mit dem „alten Europa“ abgestimmt und dessen Bedenken – zumindest vordergründig – werden ernst genommen. Auch ein Grund dafür, warum die USA die FSA bislang selbst noch nicht direkt mit Waffenlieferungen oder Ausbildern unterstützt haben, sondern es Saudi-Arabien, Katar und der Türkei überließen, die Rebellen hochzurüsten.
Pragmatismus als Prinzip
Der Einzug einer flexibleren Vorgehensweise des State Department unter Obamas Präsidentschaft deckt sich mit der pragmatischen Sichtweise der deutschen Denkfabrik und ihres Direktors. Die Stiftung für Wissenschaft und Politik lehnt eine militärische Intervention – ob mit oder ohne UN-Mandat – prinzipiell nicht ab, solange es der „Erfolg rechtfertigt“. Wie im Fall Libyens. Dort habe, schreibt Voker Perthes, nach der Einnahme der Hauptstadt durch die Rebellen im August 2011, die NATO „zweifellos das Mandat des Sicherheitsrats“ überschritten und sei faktisch zur „Luftwaffe des Übergangsrats“ geworden. (31) Aber der Erfolg rechtfertige dieses Vorgehen. Worin genau der Erfolg besteht, bleibt angesichts seiner Schilderung der Lage zweifelhaft. Der Krieg habe bis dato 30.000 Menschenleben gefordert, und auch die neuen Machthaber hätten in dem Konflikt „sehr wenig Rücksicht genommen“. In Libyen werde eher „eine Art tribale und kommunale Föderation entstehen“ als ein demokratischer Staat – im besten Fall. Denn „ein Bürgerkrieg um die Kontrolle der Öl-Infrastruktur und eine längere Spaltung des Landes“ könne nicht ausgeschlossen werden, so Perthes.
Ein Jahr später ist das nordafrikanische Land de-facto gespalten. Noch immer bestimmen Milizen das öffentliche Leben. Einige von ihnen unterhalten eigene Folter- und Hinrichtungsstätten. Der britische Reporter Andrew Malone berichtete Anfang Juli vor Ort darüber, wie alleine in dem „Heaven Hotel“ in Misrata hunderte Menschen von den Rebellen im Laufe des Krieges gefoltert, ermordet und anschließend in Massengräbern verscharrt wurden. Gegenwärtig sei das Land „zerrissen von Folter, Massenmord und grausamen Racheakten“. (32) Eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte.
Volker Perthes wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als er nach der Veröffentlichung tausender US-Botschafts-Dokumente durch Wikileaks im November 2010 zu einem gefragten Gesprächspartner der Medien wurde. Anfangs wurden die Enthüllungen in den großen deutschen Gazetten vornehmlich als eine Art Politiker-Casting inszeniert. Bundeskanzlerin Merkel sei „pragmatisch“, ihr Außenminister Westerwelle „aggressiv“ und ihr damaliger Verteidigungsminister Guttenberg eine „Plaudertasche“, kolportierten sie genüsslich die enthüllten Charakterisierungen, die US-Diplomaten über deutsche Politiker angefertigt hatten.
„Wenn es auf diesem Niveau bleibt, ist das zwar ärgerlich, aber keine Katastrophe“, kommentierte Perthes damals die Angelegenheit. (33) Ärgerlicher wurde es allerdings, als er zwei Monate später selbst im Zentrum einer Wikileaks-Enthüllung stand. (Ironischerweise wurde zeitgleich im Januar 2011 ein Buch veröffentlicht, zu dem Perthes den Beitrag Wikileaks und warum Diskretion in der Außen- und Sicherheitspolitik wichtig ist beigesteuert hatte.) (34)
Am 21. Januar 2011 schrieb die Welt: „Seit geraumer Zeit lässt sich ein deutlicher Anstieg der Undercover-Operationen im Iran beobachten. Iranische Nuklearwissenschaftler werden mitten in Teheran in die Luft gesprengt, Raketenlager explodieren, und dann legt ein raffinierter Computerwurm die Uranzentrifugen lahm.“ (35)
Für genau diese Sabotageakte hatte sich Perthes laut einer als „vertraulich“ eingestuften Depesche der deutschen US-Botschaft vom 21. Januar 2010 gegenüber den US-Vertretern ausgesprochen. Perthes warnte, ineffektive Sanktionen seien schlimmer als gar keine. Bis Sanktionen greifen, sei eine „Politik der verdeckten Sabotage (unerklärliche Explosionen, Unfälle, Computerangriffe etc.) effektiver als ein Militärschlag, dessen Auswirkungen auf die Region furchtbar sein könnten“, wird die Position des SWP-Direktors in dem US-Dokument wiedergegeben. (36) Nach der Enthüllung rechtfertigte er seinen Standpunkt mit den Vorzügen, die Sabotageakten gegenüber Militärschlägen hätten, „weil die Führung eines betroffenen Landes nicht (darauf) reagieren muss, alle können sich darauf zurückziehen, dass es technische Probleme gegeben hat, niemand muss zurückschießen oder bombardieren deswegen“. (37)
Die konkrete Vorgehensweise gegen eine unliebsame Regierung – ob offene militärische Intervention, Sabotage innerhalb einer verdeckten Kriegführung oder Sanktionen – ergibt sich aus der jeweiligen Situation und dem grundsätzlichen Bedürfnis, die eigenen Ziele möglichst effektiv umsetzen zu können. Ob sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten eingemischt werden darf, steht für den deutschen Think Tank und dessen Direktor gar nicht zur Debatte, sondern nur das wie. Völker- und Menschenrechte haben für die Denkfabrik dabei offenbar nur einen rein instrumentellen Charakter.
Der Einfluss der Einflüsterer
Wie groß der Einfluss der SWP und ihres Direktors auf die konkrete Außenpolitik Deutschlands ist, geht aus einer anderen, ebenfalls als „vertraulich“ gezeichneten Depesche vom 14. Dezember 2009 hervor. Zu einem Gespräch zum Thema Sanktionen gegen den Iran lud die US-Botschaft neben Perthes unter anderem vier Bundestagsabgeordnete ein. Namentlich Elke Hoff (FDP), Andreas Schockenhoff (CDU), Kerstin Müller (Grüne) sowie Rolf Mützenich (SPD).
In der abschließenden Einschätzung der Depesche heißt es, die „Mehrheit der Gäste am Tisch orientierte sich eindeutig an Perthes Vorgabe, wie das Thema zu behandeln sei“. Zwischen den Zeilen gelesen: Sie hatten nicht wirklich Ahnung von der Angelegenheit. „Das war bemerkenswert“, fährt der US-Bericht fort, „schließlich handelt es sich um eine hochrangige Gruppe von Leuten, die arbeitsbedingt in das Iran-Thema verwickelt sind. Erhellend war auch, dass die Teilnehmer eine ganze Reihe von Punkten aufzählten, die Hürden für Sanktionen darstellen würden, bis sie einer nach dem anderen von Botschaftsangehörigen widerlegt worden waren“. (38)
Der Depesche ist somit zu entnehmen, dass der SWP-Direktor eine führende Stellung im Meinungsbildungsprozess derer einnimmt, die für die deutsche Außenpolitik mitverantwortlich sind.
Sein politisches Schwergewicht wird auch durch seine Teilname an der – unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Anfertigung eines Protokolls tagenden – Bilderberg-Konferenz in den Jahren 2007 und 2008 unterstrichen. (39) Laut Perthes hat das Day After-Projekt unter anderem den Zweck, „unbeobachtet und ohne Druck eine Diskurscommunity zu schaffen“. (40) Ähnlich könnte auch die Atmosphäre auf den Bilderberg-Konferenzen beschrieben werden, zu denen alljährlich führende westliche Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Medien und Militär für drei Tage zusammenkommen.
Erstmals traf sich der erlauchte Kreis 1954 auf Einladung von Prinz Bernard der Niederlande im Oosterbeeker Hotel Bilderberg, das der Konferenz den Namen gab. Über Jahrzehnte blieben die Treffen der Öffentlichkeit unbekannt. Aus einem einfachen Grund: Vertreter der großen Medien waren stets als Teilnehmer dabei und hatten sich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Auch die Herausgeber oder Chefredakteure der ZEIT. Wenn nun gerade die ZEIT den konspirativen Berliner Gesprächskreis zu Syrien vorzeitig ans Licht der Öffentlichkeit zerrte, ist das sicher kein unabgestimmtes, eigenmächtiges Vorpreschen. Von Seiten der Veranstalter war ohnehin geplant, das erarbeite Konzept für den „Tag danach“ im August öffentlich zu präsentieren.
Mitte vergangener Woche beklagte sich Hans-Christof Kraus in der FAZ über „das Ausmaß an fast schon sträflicher Naivität oder auch nur schlichter Ignoranz“, das Journalisten und Kommentatoren in den deutschen Medien an den Tag legen, wenn es darum geht, die Hintergründe der Krise in Syrien zu erhellen. (41) Ihre Berichterstattung offenbare ihre „geopolitische Ahnungslosigkeit“, heißt es in dem Artikel, dessen Überschrift nicht umsonst provokativ lautet: „Und ihr denkt, es geht um einen Diktator.“
Vertraut man der Einschätzung der oben zitierten US-Depesche, dann muss eine solche geopolitische Ahnungslosigkeit nicht nur Medienvertretern attestiert werden, sondern auch einigen deutschen Politikern. Die können sich aber zur Not noch auf die Weisungen eines Volker Perthes verlassen. Der weiß um die geostrategische Stellung Syriens und auch darum, dass sich Deutschland nicht die Chance entgehen lassen sollte, von den Geschäften zu profitieren, die in Syrien am „Tag danach“ in die Wege geleitet werden. Der SWP-Direktor wurde vom Tagesspiegel schon vor fünf Jahren als „so etwas wie der Chefberater der deutschen Außenpolitik“ bezeichnet. (42)
Nun liegen die aktuellen Einschätzungen der Stiftung, unter deren Ägide sich seit einem halben Jahr insgeheim syrische Oppositionelle und auch Kämpfer der Freien Syrischen Armee treffen, offen: Nur ein militärischer Sieg der Opposition, so ist die der SWP angehörende Leiterin des nicht länger konspirativ agierenden Projekts überzeugt, könne der Gewalt in Syrien ein Ende bereiten. Und wenn nicht, dann müsse der Westen direkt militärisch intervenieren, auch ohne UN-Mandat. Angesichts des Einflusses, den die Stiftung auf die deutsche Außenpolitik ausübt, verheißt das nichts Gutes – schon gar nicht das Bemühen um Deeskalation.
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Anmerkungen
(1) http://www.zeit.de/2012/31/Syrien-Bundesregierung/seite-1
(2) http://thecable.foreignpolicy.com/posts/2012/07/20/inside_the_secret_effort_to_plan_for_a_post_assad_syria
(3) http://www.usip.org/about-us
(4) http://www.welt.de/print-welt/article362010/Hygienischer-Abstand-zur-Politik-Volker-Perthes-wird-Think-Tank-Chef.html
(5) http://www.zeit.de/2012/31/Syrien-Bundesregierung/seite-1
(6) http://www.pbs.org/newshour/bb/world/july-dec12/syria2_07-18.html
(7) http://thecable.foreignpolicy.com/posts/2012/07/20/inside_the_secret_effort_to_plan_for_a_post_assad_syria
(8) ebd.
(9) http://www.zeit.de/2012/31/Syrien-Bundesregierung/seite-1
(10) http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_Artikel/Syrien/120719_Syrien_Aufbau_Wirtschaft.html?nn=382590
(11) http://www.nowlebanon.com/NewsArchiveDetails.aspx?ID=400862
(12) ebd.
(13) http://www.zeit.de/2012/31/Syrien-Bundesregierung/seite-2
(14) http://www.pbs.org/newshour/bb/world/july-dec12/syria2_07-18.html
(15) ebd.
(16) http://www.zeit.de/2012/31/Syrien-Bundesregierung/seite-1
(17) ebd.
(18) http://www.tagesspiegel.de/meinung/syrien-konflikt-wer-an-assad-festhaelt-verkennt-die-realitaet/6829508-2.html
(19) http://www.nytimes.com/2011/03/31/opinion/31iht-edperthes31.html
(20) http://www.fr-online.de/politik/nahostexpertin-muriel-asseburg–das-regime-in-syrien-muss-isoliert-werden-,1472596,11535070.html
(21) http://www.pbs.org/newshour/bb/world/jan-june12/syria2_02-06.html
(22) http://www.fr-online.de/politik/nahostexpertin-muriel-asseburg–das-regime-in-syrien-muss-isoliert-werden-,1472596,11535070.html
(23) http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurz-gesagt/syrien-keine-militarisierung-des-konflikts-foerdern.html
(24) http://www.fr-online.de/politik/nahostexpertin-muriel-asseburg–das-regime-in-syrien-muss-isoliert-werden-,1472596,11535070.html
(25) ebd.
(26) ebd.
(27) http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=42562&Cr=Srebrenica&Cr1=
(28) http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-07/syrien-un-appell-gefechte
(29) http://www.pbs.org/newshour/bb/world/july-dec12/syria2_07-18.html
(30) http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien/perthes.html
(31) http://www.sueddeutsche.de/politik/nato-einsatz-in-libyen-offene-unterstuetzung-und-heimliche-hilfe-1.1135552-2
(32) http://www.dailymail.co.uk/news/article-2170025/Back-bloody-anarchy-Andrew-Malone-revisits-Libya-finds-country-riven-torture-mass-murder-savage-vengeance.html
(33) http://www.fr-online.de/politik/wikileaks-veroeffentlicht-dokumente-staatschefs-und-diplomaten-am-pranger,1472596,4877726.html
(34) http://www.suhrkamp.de/buecher/wikileaks_und_die_folgen-_6170.html?d_view=inhaltsverzeichnis
(35) http://www.welt.de/politik/specials/wikileaks/article12280475/Deutscher-Stiftungschef-fuer-Sabotage-gegen-Iran.html
(36) Im Original: „In the interim Perthes recommended that a policy of covert sabotage (unexplained explosions, accidents, computer hacking etc) would be more effective than a military strike whose effects in the region could be devastating.“
http://www.cablegatesearch.net/cable.php?id=10BERLIN81
(37) http://www.welt.de/politik/specials/wikileaks/article12280475/Deutscher-Stiftungschef-fuer-Sabotage-gegen-Iran.html
(38) Im Original: „The majority of the guests at the table distinctly deferred to Perthes for guidance on where the Iran issue might be headed or should be headed. This was striking amongst such a high ranking group of people operationally involved with the Iran issue. Also illuminating was the variety of talking points employed by the participants to define hurdles for sanction until debunked one at a time by Embassy officers.“
http://www.cablegatesearch.net/cable.php?id=09BERLIN1577
(39) http://web.archive.org/web/20100704041827/http://www.bilderbergmeetings.org/participants_2008.html
http://www.scribd.com/doc/20256475/Bilderberg-Meetings-Participant-Lists-1954-2009
(40) http://www.zeit.de/2012/31/Syrien-Bundesregierung/seite-1
(41) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/syrien-und-ihr-denkt-es-geht-um-einen-diktator-11830492.html
(42) http://www.tagesspiegel.de/politik/international/interview-mit-politikberater-volker-perthes-im-atomstreit-mit-dem-iran-hatten-wir-recht/1129044.html