Der Bundespräsident des Kapitals: Die bevorstehende Wahl Joachim Gaucks ist Ausdruck eines Eliten-Konsens
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Von THOMAS WAGNER, 21. Februar 2012 –
Selten hat ein Kandidat für das Bundespräsidentenamt so viel Vorschusslorbeeren von Rechtsaußen erhalten. „Wir werden mit ihm positive Überraschungen erleben!“, bewertete die Junge Freiheit die überraschend schnelle politische Entscheidung von FDP, Union, SPD und Grünen, sich auf den konservativen Theologen Joachim Gauck als gemeinsamen Vorschlag zu einigen. (1) Tatsächlich teilt der durch eine Kampagne der Springerpresse populär gemachte ehemalige Kirchenfunktionär und Beauftragter für die Stasiunterlagen deutlich mehr Positionen mit dem rechten Lager als mit einer – auch nur gemäßigt sozialdemokratischen – Linken.
So verteidigte Gauck viele Jahre nach Ende des „Kalten Kriegs“ noch immer die atomare NATO-Aufrüstung „gegen das Imperium des Sowjetregimes“ (2), wandte sich gegen Willy Brandts Entspannungspolitik und sprach sich für den Krieg der Bundeswehr in Afghanistan aus. Als Mitglied des von Friedrich Merz geleiteten Atlantik-Brücke e.V. (3) gehört er einem Netzwerk von sogenannten Transatlantikern an, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, mit jenen „200 Familien gute Kontakte zu halten“, von denen die USA regiert werden, wie es der ehemalige Vorstands-Chef der Organisation, Arndt Oetker, einmal formulierte. (4)
Gauck störte sich daran, dass die 2004 einsetzenden Sozialproteste gegen den Sozialabbau Montagsdemonstrationen genannt wurden. Nahezu an allen sozialen Bewegungen, die sich emanzipatorische Ziele gesetzt haben, hatte er seitdem etwas auszusetzen. Für die Anti-AKW-Bewegung sowie die Bürgerproteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 konnte sich der Pastor ebenso wenig erwärmen wie für die Occupy-Bewegung. Bisher stand er immer dann, wenn gefordert wurde, die unkontrollierte Macht der Konzerne zu beschneiden, verlässlich auf der Seite des Kapitals und nicht auf der Seite demokratisch engagierter Bürger.
Während er die Proteste gegen die Banken als Sozialromantik entwertet, fordert er ein strenges staatliches Regime gegenüber Menschen, die auf Hilfsleistungen angewiesen sind: „Wir müssen uns nicht fürchten, auch in den Problemzonen der Abgehängten Forderungen zu stellen“, zitierte die Berliner Zeitung (5) den Kirchenmann mit dem „kalten Herz“ (Gesine Lötsch). Auf die Frage, ob eine Politik demokratisch sei, die nicht dem Mehrheitswillen der Bevölkerung entspreche, sagte er frank und frei: „Natürlich. Mutige Politik offenbart die Anliegen. Und indem es offenbart wird, wird es mehrheitsfähig.“ (6) Zu seinem, vorsichtig gesagt, eigenwilligem Demokratieverständnis passt Gaucks mehrfache öffentliche Parteinahme für Thilo Sarrazin.
Ausgerechnet den kaltschnäuzigen Strippenzieher, Millionär und Medienliebling lobt er dafür, mit seinen reaktionären Thesen zu Integration und Sozialstaat „Mut bewiesen“ zu haben. In einem Gespräch mit dem Tagesspiegel, über das das Blatt am 30. Dezember 2010 berichtete, attestierte Gauck dem Autor von „Deutschland schafft sich ab“: „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik.“ (7) Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung (9.Februar 2010) sagte Gauck über Sarrazin: „Er ist mutig und er ist natürlich auch einer, der mit der Öffentlichkeit sein Spiel macht, aber das gehört dazu. Er setzt sich mit dem Missbehagen von Intellektuellen und von Genossen seiner Partei auseinander – darunter werden viele sein, deren Missbilligung er eigentlich nicht möchte. Nicht mutig ist er, wenn er genau wusste, einen Punkt zu benennen, bei dem er sehr viel Zustimmung bekommen wird.“ (8)
Die Internetplattform der Neuen Rechten, Politically Incorrect (PI), wunderte sich nun, dass ein Kandidat, der mit seinen Positionen auch für PI hätte antreten können, schon bei der letzten Wahl „ausgerechnet von SPD und Grünen ins Feld geschickt wurde.“ (9)
Von Intellektuellen, die der demokratischen Bürgerrechtsbewegung in der DDR deutlich enger verbunden sind, als Gauck selbst, erfährt der radikale Anti-Kommunismus scharfe Kritik. So kritisierte der Theologe Friedrich Schorlemmer dessen „ungeheure rhetorische Arroganz“ gegenüber der Occupy-Bewegung: „Wir brauchen doch Widerstand gegen Bankenübermacht, wir brauchen dringend Regeln der Marktfreiheit. Was ich grundsätzlich bedauere, ist das Monothematische an Gauck. Wer von der Freiheit spricht, der muss auch vom Brot sprechen, vom Wasser, vom Wetter, vom Frieden.“ (10)
Daniela Dahn hatte Gauck schon zur Zeit seiner ersten Kandidatur vorgehalten, ein Geschichtsbild zu vertreten, das durch die Einstufung von Nazifaschismus und Kommunismus als gleichermaßen totalitär eine Relativierung der NS-Verbrechen intendiert. Sie verwies damals auf das von dem sozialdemokratischen Herausgeber Joachim Zimmer im Eichborn Verlag herausgegebene „Gauck-Lesebuch“ (11) Heute wundert sich die ehemalige Mitherausgeberin der Wochenzeitung Der Freitag über die gemeinsame Begeisterung der vier etablierten Parteien im Bundestag: „Am wenigsten überrascht war ich bei der FDP, da fragte man sich eher, weshalb diese Partei nicht schon bei der letzten Abstimmung bemerkt hat, dass Freiheit für Joachim Gauck meist die Freiheit der Eliten ist, besonders der Wirtschaft. Für Hartz-IV-Empfänger findet er nicht so warme Worte. Die Freiheit des Leiharbeiters ist nicht sein Thema“, sagte die Mitbegründerin der DDR-Oppostionsgruppe Demokratischer Aufbruch in der in der jungen Welt. (12)
Ein Autor der taz kommentierte den von den großen Medien immer wieder hervorgehobenen Oppositionellenstatus von Gauck übrigens äußerst kritisch: „Als Pfarrer mit Reiseprivilegien begann Gauck ziemlich genau zu dem Moment lautstark gegen die DDR zu protestieren, als dies nichts mehr kostete, um sich hernach mit umso größerem denunziatorischen Eifer an die Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu machen. Dabei trieb ihn keineswegs ein sympathisches grundlegendes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen im Allgemeinen und Geheimdiensten im Besonderen, das zuweilen unter amerikanischen Konservativen zu finden ist. Nein, Gauck ging es bloß um schnöden, gutdeutschen Antikommunismus.“ (13)
Daniela Dahin wiederum machte Andeutungen, dass Gauck zu DDR-Zeiten von der Stasi Vorteile entgegen genommen haben könnte, die ihm während seiner Amtszeit als Bundespräsident zum Verhängnis zu werden drohen: „Es müsste nun zum Beispiel ‚gewulfft’ werden, was an dem im Internet kursierenden Gerücht dran ist, dass Gauck mit Hilfe der Stasi zu DDR-Zeiten einen VW-Kleinbus bekommen hat. Sollte das stimmen, würde das schwerer wiegen als Übernachtungen bei Filmproduzenten. Allein die Vorstellung, dass diese Art von Debatten auch mit dem neuen Präsidenten weitergehen wird, ist sehr unbehaglich. (14)
Dass zu alledem die Freien Demokraten durch Röslers Düpierung der Kanzlerin zum Königsmacher avancierten, verortet den „evangelischen Großinquisitor“ Gauck (15) zwar in einem ihm ideologisch tatsächlich nahestehenden politischen Lager, lässt aber der Vermutung Raum, durch diesen Schachzug der liberalen Zwergpartei könnte die Regierungszeit des Staatsoberhauptes die politische Existenz seiner Steigbügelhalter bei weitem übertreffen. So bliebe die Freude über deren politisches Aus durch das Kuckucksei in Schloss Bellevue nachhaltig getrübt.
Joachim Gaucks Ansichten zu Sarrazin und dem Islam
Ausschnitt aus einem Interview, das Joachim Gauck am 10. Oktober 2010, wenige Wochen nach Beginn der Sarrazin-Debatte und sieben Tage nach Christian Wulffs Islam-Rede, der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) gab.
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Transkript
Gauck:
Aber ein anderes Problem – da will ich Ihren Einwand mal positiv aufnehmen: Es ist eben nicht ausgehandelt, ob wir die notwendige Einwanderung, die wir in Deutscghalnd haben, so organisiert haben, dass Menschen miteinander in friedlicher Koexistenz und dann sogar in einer integrierten Bevölkerung leben, das ist nicht so. Und dieses Defizit hat nun der Thilo Sarrazin in einer zugespitzen Form aufgegriffen, und ein Großteil der Bevölkerung ist ihm dankbar! Also, wenn der jetzt die Tendenz hätte, eine eigene Partei zu gründen, ich weiß ja nicht was dann passieren würde.
NZZ:
Jetzt hat Bundespräsident Wulff zum Tag der deutschen Einheit gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland. Hätten Sie das in dieser Funktion so auch gesagt?
Gauck:
Also das ist ein Problem der Wortwahl. Ich weiß was er meint, und ich denke, daß er in dieser Beschreibung etwas, was irgendwann einmal sein wird, vorgezogen hat. Denn wir würden uns eigtlich nicht helfen, wenn wir Fremdheit und Distanziertheit übersehen würden in der guten Absicht, ein einladendes Land zu sein. Diese gute Absicht ist ja lobenswert, aber wir haben doch ganz andere Traditionen, und die Menschen in Europa, das sehen wir allüberall, nicht nur in Deutschland, sind allergisch, wenn sie das Gefühl haben, dass was auf dem Boden der europäischen Aufklärung und auch auf dem religiösen Boden Europas gewachsen ist, wenn das überfremdet wird, um einen Begriff zu verwenden, der in Deutschland verpönt ist, aber ich verwende ihn hier ganz bewußt, denn ich habe in, sagen wir, älteren Zivilgesellschaften als Deutschland es ist, etwa in den städtischen Mileus von Rotterdam und Amsterdam oder Kopenhagen, wo wirklich die Menschen unverdächtig sind, Rassisten zu sein, dieses tiefe Unbehagen alteingesessener Europäer gegen über dieser Form von, ja, plötzlicher Koexistenz, aber nicht mit einem System, mit dem wir jederzeit auf einer Wellenlänge kommunizieren, sondern, darum macht sich das am Islam fest, da entsteht eine Debatte mit voraufgeklärten Politikvertetern, das ist weniger politisch, aber es ist vor der Aufklärung, was in Teilen unserer Moscheen hier verbreitet wird, und auch der Ansatz des Islam ist nicht durch eine Reformation gegangen, wie in Europa, und auch nicht durch eine europäische Aufklärung, und dshalb jetzt einen Zustand zu beschreiben, als wäre dieser kulturelle Schritt innerhalb der muslimischen Welt schon vollzogen, das täuscht uns über diese Fremdheit, die nach wie vor existiert, hinweg. Und Fremdheit zu leugnen ist genauso gefährlich wie wenn man Feigheit – ähh, Feigheit meine ich nicht – wie wenn man Feindschaften leugnet, ja, und es gab, ich sag mal ein Beispiel, es gab lange Jahre in aufgeklärten Teilen des alten Westens so das Gefühl: entfeindet euch gegenüber dem Osten, ja, wir schauen den Osten mal ganz lieb an, und nennen die Kommunisten nicht immer Kommunisten, sondern das ist ein alternatives System. Man hat dann aber z.T. übersehen, dass es diese Feindschaft des Systems durchaus gab, ja, man kann dazu die oder die Haltung entwickeln, aber es gab diese Feindschaft. Und so müssen wir erkennen, dass es Fremdheit gibt. Und Europa muß erkennen, dass es zweierlei Arten von Fremdheit gibt: einmal sind es die Transformationssysteme der östlichen Länder, die hinzugekommen sind, wo vieles von der alten Mentalität, noch nicht Citoyen zu sein, wirklich einwandert in ein Europa, das Erfahrung hat mit Bürgergesellschaft. Ja, und das ist eine andere Fremdheit. Und das eben nicht zu sehen, und so zu tun, als seien wir alle eins, weil unsere Intellektuellen praktisch dasselbe Vokabular benutzen, das bringt nix.
(3) http://www.atlantik-bruecke.org/ueber-uns/gremien/
(4) http://www.berliner-zeitung.de/archiv/ein-whos-who-der-politik-und-wirtschaft,10810590,9990036.html
(7) http://www.tagesspiegel.de/politik/integration-gauck-attestiert-sarrazin-mut/3685052.html
(9) http://www.pi-news.net/2012/02/gauck-soll-neuer-bundesprasident-werden/
(12) http://www.jungewelt.de/2012/02-21/032.php
(13) http://www.taz.de/Kolumne-Besser/!88071/
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(14) http://www.jungewelt.de/2012/02-21/032.php