Rätsel um vereitelten Bombenanschlag am Time Square
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Die dubiosen Firmen SITE und IntelCenter setzten Gerüchte in Umlauf –
Von REDAKTION, 4. Mai 2010 –
Im Zusammenhang mit dem gescheiterten Anschlag auf dem New Yorker Times Square haben die Behörden einen Verdächtigen festgenommen. Nach Angaben des US-Generalstaatsanwalts Eric Holder handelt es sich um einen Mann namens Faisal Shahzad, der aus Shelton im US-Bundestaat Connecticut kommt. Der 30-jährige US-Bürger pakistanischer Abstammung wurde am New Yorker Flughafen gefasst, ehe er einen Flieger nach Dubai besteigen konnte.
Shahzad habe vor einigen Wochen den Wagen gekauft, in dem der Sprengsatz am Samstagabend versteckt worden war. Er soll den 17 Jahre alten Geländewagen bar bezahlt haben. Laut Nachrichtenagentur AP ist Shahzad erst kürzlich von einer fünfmonatigen Reise aus Pakistan zurückgekehrt, wo seine Frau lebt.
Die New Yorker Polizei entdeckt am Samstagabend eine primitive Bombe in einem Geländewagen am Time Square. (nj.com) |
Der Attentatsversuch scheine von mehreren Menschen koordiniert worden zu sein, die Verbindungen ins Ausland hätten, schreibt die Washington Post mit Verweis auf Informanten in der Regierung.
Details wurden nicht bekannt. Doch die Zeitung zitierte einen Regierungsinsider, der ein Gespräch mit Geheimdienstbeamten so wiedergab: „Es sollte einen nicht verwundern, wenn ein Verbindungsglied ins Ausland gefunden wird. Sie schauen sich gerade ein paar verräterische Anzeichen näher an und sagen, dass es in diese Richtung geht.“ Die Informanten der Washington Post wiesen allerdings darauf hin, dass selbst in diesem Fall nicht al-Qaeda oder eine andere Terrorgruppe dahinter stecken müsste.
Während die Ermittler keine voreiligen Schlüsse ziehen wollen, machten bereits Schlagzeilen die Runde, wonach pakistanische Taliban für den gescheiterten Anschlag verantwortlich seien.
Laut den dubiosen US-Firmen SITE bzw. IntelCenter, welche sich darauf spezialisiert haben, Botschaften von al-Qaeda und anderen „islamistischen Gruppen“ zu verbreiten und bekannt zu machen, habe sich die pakistanische Talibangruppe Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) zu dem fehlgeschlagenen Anschlag bekannt. Sie habe in einem Video erklärt, der Anschlag sei die Vergeltung für den Tod von zwei Islamistenführern Mitte April.
In der Erklärung des IntelCenter heißt es, es sei sehr unwahrscheinlich, dass der Anschlag wirklich innerhalb so kurzer Zeit nach dem Tod der Islamistenführer vor knapp 14 Tagen geplant und umgesetzt wurde. Solche Anschläge würden von langer Hand, oft Monate voraus geplant. Manchmal würden dann allerdings aktuelle Ereignisse benutzt, um sie zu begründen. IntelCenter bezweifelt somit die im Video vorgetragene Begründung, nicht aber die Authentizität der Urheber selbst.
Dabei gibt es einiges, was gegen eine Beteiligung der TTP spricht. Da ist zunächst einmal die stümperhafte Durchführung. Die TTP wird für zahlreiche Anschläge verantwortlich gemacht, darunter der Sprengstoffanschlag auf das Marriott-Hotel in Islamabad im Herbst 2008, bei dem damals mehr als 50 Menschen getötet wurden. Haben die Terroristen auf einmal ihr Handwerk verlernt? Insbesondere wenn man wie IntelCenter davon ausgeht, dass ein solcher Anschlag von langer Hand geplant wurde, dann erscheint die konkrete Ausführung im aktuellen Fall als widersinnig.
Außerdem wurde das vermeintliche Bekennervideo nicht wie sonst üblich auf den „einschlägig bekannten Webseiten“ veröffentlicht, sondern auf YouTube. Unklar ist auch, warum sich die TTP zu einem gescheiterten Anschlag bekennen soll, der in seiner ganzen Ausführung nur als kläglich zu bezeichnen ist. Und nicht zuletzt dementiert die TTP selbst, in den Anschlag verwickelt zu sein.
Sie wüssten nichts von dem angeblichen Bekennervideo ihrer Gruppe, erklärte ihr Sprecher Azam Tariq. „Wir haben darüber keine Informationen. (…) Soweit ich weiß, hat niemand von unseren Leuten es ins Netz gestellt.“ Verschiedene Sprecher der Taliban hatten in den letzten Jahren immer wieder beteuert, dass sich die Taliban an keinen Anschlägen außerhalb ihrer Heimat beteiligen würden. (1)
Auch der pakistanische Geheimdienst ISI bezweifelte, dass TTP über die Ressourcen verfüge, die für einen Anschlag in den USA notwendig wären. Hiermit kann der ISI kaum die bei dem Anschlag verwendeten Materialien meinen. Denn der Sprengsatz bestand laut New Yorks Polizeichef Raymond Kelly aus Materialien, „die überall zu bekommen sind“. Ein Behälter mit Feuerwerkskörpern sei an zwei Wecker angeschlossen gewesen. Der Behälter habe zwischen zwei Benzinkanistern mit zusammen etwa 19 Litern Treibstoff gestanden. Von ihnen führten Drähte zu drei Propangasflaschen und einem Waffenkasten. In dem Kasten waren mehrere Säcke mit einem nicht-explosiven Düngemittel. Dennoch hätte die Bombe Menschen töten können, sagte Kelly.
Dank des auffälligen Verhaltens des Täters ist es glücklicherweise nicht soweit gekommen. Der Täter hatte am Samstagabend um 18.30 Uhr Ortszeit den Wagen mit laufendem Motor mitten auf dem Times Square abgestellt und sich dann fluchtartig vom Auto entfernt. Laut Polizeiangaben war der für die Zündung vorgesehene Wecker auf Mitternacht eingestellt. Genug Zeit also, damit Passanten auf den Wagen aufmerksam werden und die Polizei informieren. Ganz so, wie es dann auch geschehen ist.
Der Geländewagen wurde in der Nähe des Hauptsitzes des Medienkonzerns Viacom geparkt. Ihm gehört der Sender Comedy Central, der die Zeichentrickserie South Park ausstrahlt. Diese zeigte erst kürzlich den Propheten Mohammed in einem Bärenkostüm, worauf die Produzenten von der Gruppe namens Revolution Muslim bedroht wurde. Daher wurde zuerst in den Medien ein Zusammenhang vermutet.
Die Gruppe warnte die Produzenten der auch in Deutschland populären Serie vor „einem Ende wie dem von Theo van Gogh“. Der niederländische Filmemacher van Gogh war im November 2004 nach einem anti-islamischen Film von einem geistig verwirrten Muslim getötet worden.
Mit unverhülltem Spott reagierten die Macher der Sendung auf die Warnung. In einer neuen Episode der TV-Satire, die am vergangenen Mittwochabend in den USA ausgestrahlt wurde, überblendeten sie Anspielungen auf den moslemischen Propheten Mohammed mit Pieptönen und dem visuellen Hinweis „CENSORED“ (zensiert) in Großbuchstaben.
Obwohl die Revolution Muslim auf ihrer Internetseite betonte, dass ihre Äußerung „keine Drohung, nur eine Warnung“ sei, erzeugte der Vorgang in den USA erhebliches Aufsehen.
Gegründet wurde die Gruppe von Yousef al-Khattab, der als Joseph Cohen zur Welt kam. Cohen war ein ultra-orthodoxer Jude und wurde als radikaler Zionist beschrieben, der sich 1998 als Siedler in Gaza niederließ und dort der rechtsextremen Gruppe Shas angehörte. Weniger als drei Jahre später konvertierte Cohen zum Islam und gründete Revolution Muslim, die als die radikalste islamische Gruppe des Landes gilt.(2) Auch Cohens Ehefrau trat nach zwei Wochen des Studiums des Koran zum Islam über, so Cohen alias al-Khattab in einer Erklärung, wie es zu seinem Religionswechsel kam.(3)
Ibrahim Hooper, Sprecher des Council on American-Islamic Relations, bezeichnete die Revolution Muslim als eine lose organisierte Gruppe, die solch ungeheuerliche Auffassungen vertrete, dass Hooper glaubt, diese sei in der Absicht aufgebaut worden, um den Islam zu diskreditieren. „Sie sagen immer wieder wilde und unverantwortliche Sachen“, sagte Hooper gegenüber FoxNews. „Es gibt einen starken Verdacht, dass es sich bloß um eine abgekartete Sache handelt, um Muslime und den Islam schlecht aussehen zu lassen. Sie sagen solche wilden und verrückten Sachen, dass man sich wundern muss.“(4)
Das Rätselraten, wer hinter dem Anschlag steckt, geht also weiter. Neue Erkenntnisse sind durch das Verhör des festgenommenen Faisal Shahzad in Kürze zu erwarten.
(1) Siehe dazu auch: http://www.welt.de/politik/ausland/article4772719/Taliban-distanzieren-sich-von-al-Qaida.html
(2) Siehe dazu auch: http://markkit.net/untrusted/www.loonwatch.com_2010_04_south-park-controversy_.html?s=14d0ac17fb5640e285f99dfd55c347d0#5782751627872151300
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(3) http://www.scribd.com/doc/2901290/Brother-Yousef-al-Khattabs-Reversion-to-Islam-A-Former-Jew
(4) http://www.foxnews.com/us/2010/04/23/road-radicalism-man-south-park-threats/