Innenpolitik

Außer Rand und Band – Polizeigewalt in Berlin

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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von HELMUT LORSCHEID, 16. Dezember 2007:

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Anfang Dezember 2007 ein Verfahren gegen drei Berliner Polizisten der 12. Einsatzhundertschaft ohne nennenswerte Ermittlungen eingestellt. Gegen das Opfer des staatlichen Gewalteinsatzes wird ermittelt, gegen die Beamten dagegen nicht.

Auch die Berlinerin Almuth W. wurde am 1. Mai 2007 Opfer willkürlicher eingesetzter Schlagstock-Gewalt. Es traf sie auf ihrem Heimweg – von hinten schlug ein Beamter ihr ohne Grund mit dem Schlagstock in die Kniekehle. Vierzehn Beamte konnten als Beteiligte des Einsatzes auf Fotos und Polizeivideos später identifiziert werden. Niemand von ihnen will aber den Schlagstockeinsatz gesehen haben. Die Staatsanwaltschaft stellte inzwischen das Verfahren gegen die Beamten ein.

Das sind keine Einzelfälle – sondern Beispiele sich häufender Vorfälle von unzulässigen polizeilichen Gewalteinsätzen in Berlin. Beamte teilen mitunter willkürlich Prügel aus und werden fast nie dafür zur Rechenschaft gezogen.

In der deutschen Hauptstadt ist jeder, der seine grundgesetzlich garantierten Rechte wahrnimmt und etwa an einer politischen, insbesondere an einer linken Demonstration teilnimmt gefährdet, zum Opfer von willkürlicher Polizeigewalt zu werden. Es kann jeden treffen – egal ob er sich im sogenannten ‚schwarzen Block’ aufhält, ob er sich vermummt oder nicht, oder völlig friedlich demonstriert oder sich bereits wieder auf dem Heimweg befindet. Schläge kann es – ob Mann ob Frau – für jeden geben.

Prügel für Anti-Nazi-Demonstranten

Drei namentlich bekannte Beamte haben bei der Demonstration gegen einen NPD-Aufmarsch am 19. August 2006 bei einer Festnahme auf einen Demonstrationsteilnehmer derart eingeschlagen, daß dieser eine Fraktur im Schädelbereich erlitt. Während die Polizei-Beamten behaupteten, der Demonstrant hätte einen Stein in der Hand gehabt, was die erhebliche Gewalteinwirkungen gerechtfertigt habe, sagt der Betroffene selbst, die Polizisten hätten den Stein aus einem angrenzenden Schutthaufen heran geschoben, als er schon blutend am Boden lag, um ihre Mißhandlungen im Nachhinein rechtfertigen zu können.(1) Der Anwalt des Opfers, Rechtsanwalt Sebastian Scharmer erklärte: „Zwei unbeteiligte Polizeibeamte des so genannten Beobachtungs- und Dokumentationstrupps haben unabhängig voneinander keinen Stein bei dem Betroffenen gesehen und bestätigten sogar, daß dieser seine Hände in die Luft gestreckt hatte. Das von der Polizei dokumentierte Videomaterial zeigt eine verhältnismäßig ruhige Situation vor der Festnahme, blendet jedoch genau während der Schläge der Polizeibeamten weg.“ Scharmer zufolge wurden gegen die Polizeibeamten trotz der schweren Verletzungen des Demonstranten keine „ernsthaften Ermittlungen“ geführt. (1)

Die Staatsanwaltschaft stellte letztlich das Verfahren gegen die Beamten ein. Sie kam zu dem Schluß: „Nach dem Ergebnis der Ermittlungen, (…) ist den Beschuldigten ein rechtswidriges Handeln im Sinne einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung im Amt nicht zur Last zu legen“ (2)

Allen Widersprüchen zum Trotz schenkte auch das Amtsgericht den Angaben der beschuldigten Polizeibeamten mehr Glauben, als dem Videomaterial, auch mehr Glauben als den Angaben der unbeteiligten Polizeibeamten und der Aussage des Betroffenen.

Die polizeilichen Ermittlungen wiesen nach Angaben des Anwalts einige Merkwürdigkeiten auf. Obwohl am Tatort von der Polizei intensiv gefilmt wurde, existiere nach Angaben des für interne Untersuchungen zuständigen Landeskriminalamts (LKA) angeblich kein aussagefähiges Videomaterial. Nachdrückliche Bemühungen des Anwalts förderten die Videoaufzeichnungen später dann doch zu Tage. Vom Anwalt des Betroffenen benannte Zeugen wurden aber nicht gehört. Noch nicht einmal die beschuldigten Polizeibeamten wurden verantwortlich, d.h. als Beschuldigte, vernommen. Statt dessen erfolgte die Mitteilung durch das Landeskriminalamt, daß das Verfahren gegen die Beamten seitens des LKA ohne weiteres abgeschlossen würde. Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin das Verfahren gegen die Polizisten ein. (3)

Im Gerichtsbeschluß wurde das Opfer zum Täter, es wurde im Zusammenhang mit Delikten zum Landfriedensbruch verurteilt, die Polizisten nicht einmal wegen Körperverletzung angeklagt. Die Verletzungen des Polizeiopfers beeindruckten das Gericht nicht sonderlich: „Der Angeklagte erlitt durch den Polizeieinsatz, in dem er von den Polizeibeatmen möglicherweise auch in den Kopfbereich geschlagen wurde und indem er möglicherweise ungeschützt mit dem Kopf auf den Boden bzw. auf ein festes Körperteil eines Polizeibeamten fiel, erhebliche Verletzungen. Der Angeklagte war zeitweilig bewußtlos und mußte in diesem Zustand in die Rettungsstelle des Krankenhauses Friedrichshain verbracht werden. (…)Folgeschäden sind beim Angeklagten aufgrund des Vorfalles nicht zurückgeblieben… .“ (4) Tatsächlich erlitt der Betroffene eine Orbitalbodenfraktur, und muß zeitlebens ein Implantat tragen. (5) Da die Verteidigung des Opfers gegen das Urteil inzwischen Berufung eingelegt hat, muß das Landgericht im voraussichtlich im Dezember 2007 den Fall erneut aufrollen. (6) „Trotz zweier Dienstaufsichtsbeschwerden und einer ausführlich geschilderten Anzeige wurde gegen die drei Polizeibeamten keine sorgfältigen Ermittlungen durchgeführt“, sagt Anwalt Scharmer. (1)

Auf dem Heimweg unter Polizisten geraten

Almuth W., 30 Jahre alt, befand sich am späten Abend des 1. Mai 2007 auf dem Heimweg vom „Myfest“ (7) in Kreuzberg, als in der Nähe des Heinrichplatzes plötzlich eine Randale ausbrach und sie Schutz im Eingang zur Oranienstraße 199 suchte. Plötzlich sackte sie zusammen. Zum Einsatz kam der Tonfa, der Polizei-Schlagstock mit dem charakteristischen Quergriff, der als Waffe ursprünglich asiatischen Kampfsportarten entstammt. Ein Beamter hatte ohne erkennbaren Grund Almuth W. mit seinem Tonfa-Schlagstock in die Kniekehle geschlagen. Als sie schon auf dem Boden lag, schlug ihr ein behelmter Polizist noch zweimal seitlich gegen den Oberkörper. Ärzte diagnostizierten später einen Rippenbruch. Auf Fotos, die der Berliner Tagesspiegel kurze Zeit später veröffentlichte, war das Opfer am Boden liegend zu sehen und mehrere Polizisten der Einheit mit der Kennung „1121“ waren deutlich erkennbar. Die für interne Ermittlungen zuständigen LKA-Beamten konnten insgesamt 14 Polizeibeamte identifizieren und zu der Tat vernehmen. Doch keiner der Beamten will – einem Bericht des Tagesspiegels zufolge – den Einsatz eines Tonfa-Schlagstocks gegen eine Frau beobachtet haben. Auf den ebenfalls gesichteten Einsatzvideos wurde der Prügeleinsatz nicht dokumentiert. (8) Der Fraktionschef der Grünen, Volker Ratzmann, zitierte in einem Brief an Innensenator Körting die Aussage eines Polizeiführers, der am 1. Mai 2007 ab 23 Uhr den Schlagstockeinsatz „auch gegen vermeintlich unbeteiligte Personen“ angeordnet hatte. (9)

Die Justiz als Freund und Helfer prügelnder Polizisten

Prügelnde Polizei-Beamte können sich in Berlin offenbar auf eine für sie fürsorgliche Justiz verlassen. (10) Wenn bei einer Demonstration ein Beamter – zum Beispiel ein Zivilbeamter – einfach so auf Demonstranten einschlägt, dürfen weitere Beamte ihm dabei sogar helfend zur Seite stehen. Grundsätzlich erwartet offenbar die Berliner Staatsanwalt von keinem Polizei-Beamten, daß der die Prügelorgie eines Kollegen hinterfragt oder das Opfer sogar schützt. Frei nach der Handlungsdevise: Wenn ein Beamter zuschlägt, dann wird das schon seine Richtigkeit haben. Eine Art ‚Faust’-Regel, gegen deren Anwendung die Staatsanwaltschaft in Berlin offensichtlich nichts einzuwenden hat. Dies ist keine Polemik, sondern die Zusammenfassung der staatsanwaltlichen Einstellungsverfügung vom 19. Februar 2007, die der Berliner Rechtsanwalt Sven Richwin im Februar 2007 – fast zwei Jahre nach seiner Anzeigenerstattung im Oktober 2005 gegen einen uniformierten Polizei-Beamten erhielt. Was war geschehen? Nach einer Demonstration gegen den Zapfenstreich der Bundeswehr am 26. Oktober 2005 schlug ein Zivilbeamter ohne erkennbaren Grund auf anwesende Demonstrationsteilnehmer ein. Ein weiterer uniformierter Polizei-Beamter kam hinzu – stoppte aber nicht etwa seinen prügelnden Zivil-Kollegen, sondern unterstützte ihn auch noch. Nach fast zwei Jahre währenden Überlegungen kam die zuständige Staatsanwaltschaft schließlich zu dem Schluß, daß es an dem Verhalten des uniformierten Beamten eigentlich nichts auszusetzen gäbe. Wörtlich heißt es in dem späten Bescheid: „Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Richwin, am 26. Oktober 2005 kam es anläßlich der Demonstration gegen einen Zapfenstreich der Bundeswehr an den Absperrgittern zum Pariser Platz in Berlin-Mitte zu einem Zwischenfall, bei dem ein später identifizierter Zivilbeamter mehrfach mit weit ausholenden Bewegungen auf Demonstrationsteilnehmer einschlug. (…) Für eine Anklage wäre Voraussetzung, daß (…) für den Beschuldigten zum einen erkennbar war, daß der Zivilbeamte rechtswidrig handelte; zum anderen müßte es ihm möglich gewesen sein, ohne Gefährdung wesentlicher eigener Belange die Handlung des Zivilbeamten zu unterbinden. Der Beschuldigte wurde am 7. November 2005 vernommen. Er gab an, daß er von einer Auseinandersetzung des Zivilbeamten mit den Demonstranten ausging. (…) In der Annahme rechtmäßigen Handelns des Zivilbeamten überstieg er das Absperrgitter, begab er sich auf der rechten Seite an dem Zivilbeamten vorbei und versuchte dort, Demonstranten zurückzudrücken. (…)Er gab an, die Leute geschubst und weggedrückt zu haben, er habe mit seinem Tonfa aber nicht auf die Leute eingeschlagen. (…) In der Regel ist die Anwendung unmittelbaren Zwangs, sei es auch unter Gebrauch des Schlagstocks, rechtmäßig. Polizeibeamte verlassen sich darauf und müssen dies auch tun, daß ihre Kollegen sachgerecht entscheiden und rechtmäßig handeln… .“ (11)

Man kann daraus lernen: Wenn also Beamte um sich schlagen, können andere Polizei-Beamte juristisch davon ausgehen, daß die Kollegen in einer Situation angemessen entscheiden und rechtmäßig zuschlagen. Sie dürfen dann auch mitprügeln ohne sich ernsthaft der Gefahr auszusetzen, juristisch anschließend für die Folgen ihrer Prügelei belangt zu werden.

Wenn Beamte zuschlagen, dann ist das „nicht zu beanstanden“

Manchmal gibt es in Berlin auch einfach so eins ins Gesicht. Auch das finden Staatsanwälte dann völlig in Ordnung.

So geschehen am 14. März 2007. Im Umfeld eines Fußballspiels bekam ein Fußballfan von einem Polizeibeamten „vorsorglich“ einen Schlag ins Gesicht. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin lehnte die von Rechtsanwalt Alain Mundt eingelegte Beschwerde gegen die zuvor von der Staatsanwaltschaft verfügte Einstellung des Verfahrens ab. Dabei wurde der Schlag in das Gesicht des Fans als solcher gar nicht bestritten. Zitat aus dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft: „Soweit es den von dem Beschuldigten selbst eingeräumten – mit den ärztlich attestierten Verletzungen korrespondierenden – Schlag mit der flachen Hand in das Gesicht Ihres Mandanten betrifft, war sein Verhalten nicht rechtswidrig.“ (11) Denn Berliner Polizeibeamte dürfen einfach zuschlagen, denn dies ist nach Ansicht von Oberstaatsanwältin Herberth gesetzlich so geregelt. Das von ihr zitierte einschlägige Paragraphenwerk lautet: Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin“. Frau Oberstaatsanwältin führt daher entsprechend weiter aus: „Nach § 1 UzwG Bln dürfen die Vollzugsbeamte des Landes Berlin in rechtmäßiger Ausübung ihres Dienstes unmittelbaren Zwang anwenden, soweit die Anwendung gesetzlich zulässig ist. Gemäß (…) kann Verwaltungszwang ohne vorausgehendem Verwaltungsakt angewendet werden, wenn der sofortige Vollzug zur Verhinderung einer rechtswidrigen Tat, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, oder zur Abwendung einer rechtswidrigen Tat, die einen straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, oder zur Abwehr einer drohenden Gefahr notwendig ist (…). Diese Voraussetzungen lagen hier vor, da das Zurückdrängen Ihres Mandanten Teil der polizeilichen Maßnahmen war, die dazu dienten, eine drohende gewalttätige Auseinandersetzung zwischen den gegnerischen Fangruppen abzuwenden. (…) Der leichte Schlag gegen das Gesicht Ihres Mandanten stellte demnach die Anwendung einfacher körperlicher Gewalt dar, die (…) nicht zu beanstanden ist.“ (12)

Spezialisten für Demonstrationseinsätze und andere Anlässe

Dem Berliner Tagesspiegel zufolge, schickte die Berliner Polizei ihre „neue Spezialeinheit“ in den 1. Mai 2007. Sie bestehe aus knapp hundert Zivilbeamten und nenne sich „Aufklärung und Intervention“. Hervorgegangen sei sie aus der zur Fußball-WM 2006 aufgestellten Sonderkommission gegen Hooligans. Diese Einheit habe Polizeipräsident Dieter Glietsch nach der Weltmeisterschaft nicht aufgelöst, sondern unter großer Geheimhaltung umgebaut, um sie nun bei Demonstrationen weiter einsetzen zu können. (13)

Auf Nachfragen des Hintergrund-Autors bestätigte der Einsatzreferent der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, daß es Polizeikräfte in Berlin gibt, die zu speziellen Anlässen nach einem speziellen Konzept, namens ‚Aufklärung und Intervention’, eingesetzt werden. (14) Er bestritt aber, daß es eine feste Polizei-Einheit ‚Aufklärung und Intervention’ gäbe, die ständig tätig sei. Vielmehr handele es sich bei ,Aufklärung und Intervention’ – kurz AuI – um ein „taktische(s) Konzept“ der Berliner Polizei zur Konfliktminderung bei besonderen Einsatzlagen durch Aufklärung und Intervention, „kurz AuI-Konzept“ genannt. Dieses Konzept verfolge durchaus einen „repressiven Ansatz“.

Dieses AuI-Konzept sei erstmalig anläßlich der Einsätze am 30. April und 1. Mai 2004 umgesetzt worden. Anläßlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 sei es in „speziell erweiterter Ausrichtung auf den Phänomenbereich gewaltbereiter und gewalttätiger Hooligans zur Anwendung“ gekommen.

Grundgedanken des Einsatzes von Polizei-Beamten nach dem AuI-Konzept sei „eine anlaß- und veranstaltungsbezogene Aufklärung sowie eine zentrale störergruppenorientierte Intervention mit einem starken präventiven, aber auch repressiven Ansatz sowohl im Vorfeld als auch am Einsatztag.“ Zielgruppe dieser nach dem AuI-Konzept eingesetzten Polizisten seien „vorrangig Personen, die nur aufgrund von Szene- oder Ermittlungserkenntnissen bekannt sind“ und seitens der Polizei „ausschließlich der gewaltgeneigten/gewalttätigen Klientel“ zugerechnet würden.

Anders als vom Tagesspiegel berichtet, handele es sich jedoch um keine ständig als Einheit tätige Personengruppe, sondern um „rund 80 Polizeivollzugskräfte aus dem Landeskriminalamt und den Direktionen der Berliner Polizei“ die normalerweise ihren regelmäßigen Dienst in ihren Dienststellen versehen und nur „zu den … Einsatzanlässen zusammengezogen und in die Einsatzorganisation eingegliedert“ würden. Diese Polizei-Beamten „sind für die Einsatzanlässe ausgebildet und werden regelmäßig fortgebildet … und erhalten ein situations- und praxisbezogenes Einsatztraining“.

Fassen wir also zusammen, was die Berliner Senatsverwaltung zur Existenz von Spezialeinheiten der Polizei Feinsinniges sagt: Es gibt in Berlin keine ständig existierende Spezialeinheit der Polizei, sondern lediglich Polizei-Beamte, die ständig nach einem taktischen Spezial-Konzept für besondere Anlässe ausgebildet werden. Bei Eintreten eines speziellen äußeren Anlasses – wie der Fußballweltmeisterschaft oder besonderer Demonstrationen – werden diese speziell trainierten Polizeikräfte zu einer temporären Spezialeinheit zusammengefaßt und eingesetzt. Nach Wegfallen des äußeren Anlasses werden die eingesetzten Polizisten wieder an ihre gewöhnlichen Dienststellen geschickt, so daß damit die jüngste polizeiliche Spezialeinheit wieder aufgelöst wird. Bei einem nächsten Anlaß wird dann anlaßbezogen eine neue temporäre Spezialeinheit aus den etwa 80 dauernd trainierten Beamten gebildet.

Es gibt in Berlin also keine ständige Spezialeinheit, sondern – anlaßbezogen – eine ständig neugebildete Spezialeinheit.

Schlechte Erfahrung mit Sondereinheiten

Mit der Einführung dieser ständig neu zu bildenden Spezialeinheit zog die Berliner Polizeiführung offensichtlich auch ihre Konsequenzen aus der für sie oft negativen öffentlichen Wahrnehmung einer früherer Spezialeinheit der Berliner Polizei, die als beständige Sondereinheit für besondere Lagen insbesondere für politische Demonstrationen in Berlin Ende der 80er Jahre existierte.

Zwischen 1987 und 1989 sorgte eine für ihre Brutalität bekannte Polizeitruppe Berlins für öffentliche Diskussion: diese Polizeitruppe namens ‚Einsatzbereitschaft für besondere Lagen und einsatzbezogenes Training (EbLT)‘ wurde schließlich auf Druck des damaligen Berliner Landesverbandes der GRÜNEN, der Alternativen Liste, aufgelöst, nachdem sie bei einer ihrer Prügelorgien dummerweise auf zwei hochrangige Zivilpolizisten eingedroschen hatte. (15) Die EbLT war übrigens auch bei den gewalttätigen Polizeieinsätzen gegen Gegner der seinerzeit im bayerischen Wackersdorf im Bau befindlichen Wiederaufbereitungsanlage für atomare Brennelemente im Einsatz. (15)

In einem Antrag verlangten Abgeordnete der Berliner Alternativen Liste eine Mißbilligung des Verhaltens des damaligen Innensenators Wilhelm Alexander Kewenig und des damaligen Polizeipräsidenten Georg Schertz und forderten die Auflösung der EbLT. Wörtlich heißt es: „Der Polizeieinsatz in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 1988 war durch eine bisher selbst in Berlin 36 (Kreuzberg) nicht erlebte Brutalität und Härte gekennzeichnet.(…) Es ist wohl in der Polizeigeschichte beispiellos, daß uniformierte Beamte ihre eigenen Vorgesetzten verprügeln und beweist mehr als alles andere, daß hier in einer Prügelorgie wahllos auf alle Anwesenden losgegangen wurde…“ (16) Die EbLT wurde schließlich aufgelöst – bzw. umbenannt in ‚LeiA – Landeseinheit in Alarmfällen.’ (17)

Auch damals mochte der Polizeipräsident seine auf Demonstrationen erprobte Truppe aber nicht einfach auflösen, sondern baute sie einfach etwas um. Die taz titelte Anfang 1989 deshalb: „EbLT knüppelt unter neuem Namen weiter“. (18)

Anzeigen gegen Polizisten bleiben ohne rechtliche Konsequenzen

Das Anzeigen gegen Beamte bei der Berliner Justiz ins Leere laufen, hat ebenfalls eine lange Tradition. Presseberichten zufolge gab es im Jahr 1992 allein 591 Strafverfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung, im November 1993 lagen bereits 452 solcher Anzeigen für das damals laufende Jahr vor. (19)

Die Berliner Zeitung berichtete am 15. April 2000: „Nur wenige Polizisten werden verurteilt. Jährlich 1.000 Anzeigen wegen Körperverletzung. Von insgesamt mehr als 2.000 Polizisten, gegen die 1997 Ermittlungen liefen, wurden am Ende 23 vor Gericht freigesprochen und 54 verurteilt.“

Für die folgenden Jahre legte der Innensenator auf Fragen der Abgeordneten Evrim Baba (PDS/Linkspartei) eine Statistik vor, der zufolge beispielsweise im Jahr 2001 902 Verfahrenseinstellungen 6 Freisprüche und 6 Verurteilungen gegen Polizeibeamte gegenüberstanden, im Jahr 2004 waren es 759 Verfahrenseinstellungen, 5 Freisprüche und 2 Verurteilungen. (20)

Nur selten wurde die Kumpanei zwischen Staatsanwälten und Polizisten bei der (Nicht)-Ahndung von ungesetzlicher Polizeigewalt so offensichtlich wie im Jahr 1998. Damals wurde bekannt, daß ein Staatsanwalt Anzeigen gegen Polizisten einfach nicht in den Amts-Computer eintrug. So konnte er Verfahren wegen Körperverletzung einfach einstellen. Die Sache flog auf, weil korrekte Polizeibeamte selbst „Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt“ erstattet hatten. (21)

Im November 1998 kritisierte sogar der damalige Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Norbert Spinrath, seine Berliner Kollegen. Der Gewerkschafter bezeichnete die Berliner Polizei damals „als nicht hauptstadtfähig“. Spinrath: „Im Vergleich mit der Bonner Polizei wartet die Berliner Polizei nicht so lange, bevor sie bei Demonstrationen Gewalt anwendet“. (22) Der Berliner Landesverband der GdP reagierte ziemlich barsch auf die Kritik aus den eigenen Reihen: dessen Geschäftsführer Klaus Eisenreich bezeichnete Spinraths Kritik damals als „völligen Quatsch“ (22)

Individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamten gefordert

Seit Jahren diskutieren Berliner Politiker über eine individuelle Kennzeichnung
der Polizeibeamten. Auf einer Veranstaltung über Polizeigewalt an der Berliner Humboldt-Universität Ende November dieses Jahres traten auch Polizisten, die sich bei amnesty international engagieren, auf. Diese Polizisten unterstützten dort gemeinsam mit Rechtsanwälten und Bürgerrechtlern die Forderungen nach einer Kennzeichnung der uniformierten Beamten sowie die Einführung zusätzlicher Kontrollgremien und Beschwerdestellen gegen Polizeigewalt. Die weiter oben bereits erwähnte dienstliche Anweisung eines Polizeiführers zum nächtlichen Prügeleinsatz gegen Unbeteiligte vom 1. Mai 2007 bezeichnete Falk Menzner Sprecher der „Koordinationsgruppe Polizei“ bei amnesty international als „rechtlich nicht haltbar“. Der Fall zeige, wie wichtig eine individuelle Kennzeichnung von Beamten in geschlossenen Polizeieinheiten sei. (9)

Die LINKE-Politikerin Judith Demba, früher Mitglied der GRÜNEN-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, kritisiert, daß es keine systematische Erfassung der angezeigten Polizeiübergriffe gebe. Daß in Berlin jetzt ausgerechnet die Beamten des Spezialeinsatzkommandos der Polizei (SEK) eine numerische Kennzeichnung erhalten würden, bezeichnete sie wörtlich als eine „doppelte Verarschung“ : erstens sei es eine „Verarschung“ der Beamten, die vermummt aufträten, und zweitens eine „Verarschung“ der Bevölkerung, die sich bei Demonstrationen eben nicht den Polizeibeamten der SEK, sondern den Mitgliedern der Einsatzhundertschaften der Bereitschaftspolizei gegenüber sähen. (10)

Für die gesamte Bundesrepublik – zunächst aber besonders dringlich für Berlin – wurde daher die Einrichtung von Polizei-Beiräten oder unabhängigen Polizei-Kommissionen verlangt, wie es sie beispielsweise bereits zwischen 1998 und 2001 in Hamburg gab und die gleich nach der Bürgerschaftswahl am 23. September 2001 durch den damals neuen Senat aus CDU, FDP und der rechtspopulistischen Partei des Amtsrichters Ronald Schill aufgelöst wurde.

Die Kommission bestand in der Hansestadt aus drei ehrenamtlichen Mitgliedern, die vom Senat berufen wurden. Die Kommission war bei der Behörde für Inneres angebunden, unterlag aber nur der Dienst- und Rechtsaufsicht durch den Innensenator, nicht aber der Fachaufsicht. Ihre Unabhängigkeit war gesetzlich garantiert. Bürger konnten sich mit ihren Anliegen direkt an die Kommission wenden. Es bestand ebenfalls die Möglichkeit für Polizeibedienstete – auch außerhalb des offiziellen Dienstweges – sich an die Mitglieder der Kommission zu wenden. Polizisten, die sich zu diesem Schritt durchrangen, waren durch ein gesetzlich verankertes Benachteiligungsverbot geschützt. Die Kommission hatte ein Recht auf Auskunft und Einsicht in alle Akten und Unterlagen aller Dienststellen der Polizei sowie das Recht auf unangemeldeten Zutritt zu allen Polizeidienststellen. Sie unterlag ausdrücklich keinem Strafverfolgungszwang, sie Kommission konnte aber dem Innensenator Einzelfälle zur Prüfung und weiteren Veranlassung vorlegen. (23) Sie hat der Bürgerschaft einen jährlichen Tätigkeitsbericht vorgelegt, in dem sie ihre Erkenntnisse hinsichtlich institutioneller Mißstände und struktureller Fehlentwicklungen darlegte. (24)
Ansicht vieler Fachleute wäre die Einrichtung einer solchen Polizeikommission in Berlin ein geeigneter und notwendiger Riesenschritt gegen die dort über Jahre hinweg offensichtlich gewordene Polizeiwillkür.

Nach Ansicht der derzeitigen Berliner Senatsverwaltung für Inneres ist eine solche Kommission überflüssig. Schließlich habe sich die Berliner Polizei „unter Maßgabe politischer Vorgaben in den zurückliegenden Jahren zu einer transparenten und bürgerorientierten Polizei entwickelt“ (25)

Der rot-rote Senat (SPD / Die LINKE) sieht das wohl genauso – und erweiterte statt dessen jüngst die Polizeibefugnisse zur Überwachung der Berliner Bevölkerung. (26)

Quellen:

(1) http://www.diefirma.net/index.php?aktuell

(2) Gesch.-Nr. 81 Js 556/07 6.11.07

(3) Angaben des Rechtswalts Sebastian Scharmer,

(4) Strafverfahren (242) 81 Js 5246/06 Ls (4/07) AG Tiergarten

(5) Orbitalbodenfraktur einen Bruch der Augenhöhle in die Kiefernhöhle hinein

(6) G. Die Berufungsverhandlung gegen den verletzten Demonstranten findet ab dem 17. 12.2007 um 10.00 Uhr vor dem Landgericht Berlin (Saal 704) statt.

(7) Myfest: Bezeichnung der alljährlichen internationalen Maifeierlichkeiten in Berlin-Kreuzberg

(8) Tagespiegel 10.12.07, Angaben vom Almuth W. gegenüber Hintergrund bestätigt.

(9) Tagesspiegel vom 11. 12. 2007

(10) Recherche des Autors

(11) Geschäftszeichen 81 Js 3976/05 vom 19.02.2007 StA Anselmann

(12) Generalstaatsanwaltschaft Berlin Gesch.-Z: 1 Zs 1618/07

(13) Tagesspiegel 30. 4. 2007

(14) E-Mail Antwort vom Einsatzreferenten Jens Malchin aus dem Fachreferat der Senatsverwaltung für Inneres und Sport 1 – III B 31 an den Autor, 14. Dezember 2007

(15) Broschüre der AL-Fraktion im Abgeordnetenhaus: „Die EbLT – (noch) eine Sondereinsatzgruppe der Berliner Polizei“

(16) Antrag der Fraktion AL, Abgeordnetenhaus von Berlin Drucksache 10/2213 vom 13. Mai 1988

(17) Tagesspiegel 28. 1. 1989

(18) taz 28.1.1989

(19) Berliner Zeitung 3. 11. 1993

(20) http://www.parlament-berlin.de:8080/starweb/adis/citat/VT/15/KlAnfr/ka15-13104.pdf

(21) Berliner Zeitung 8. 12. 1998

(22) taz 14. 11. 1998

(23) http://www.cilip.de/ausgabe/67/goessner.htm

(24) http://fhh1.hamburg.de/fhh/aktuelle_meldungen/archiv_2001/november/pe_2001_11_27_polkom_01.pdf

(25) E-Mail Antwort vom Einsatzreferenten Jens Malchin aus dem Fachreferat der Senatsverwaltung für Inneres und Sport 1 – III B 31 an den Autor, 14. Dezember 2007

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(26) http://www.heise.de/newsticker/meldung/99140

 

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